Das Zionslager war eine Expedition der Heiligen der Letzten Tage, die im Mai 1834 in KIRTLAND <Kirtland> im Bundesstaat Ohio begann und im Juni im Kreis Clay in Missouri endete. Die Mormonensiedler im benachbarten Kreis Jackson, Missouri, waren im Herbst 1833 von Feinden der Kirche vertrieben worden, und anfangs sollte das Zionslager diese Siedler beschützen, nachdem die Miliz sie in ihre Heime zurückbegleitet hatte. Das Lager sollte die verzweifelten Siedler mit Geld und Vorräten versorgen und ihnen Mut machen.
In einer Offenbarung, die Joseph SMITH <Smith, Joseph> im Juli 1831 empfangen hatte (LuB 57), war der Ort Independence <Independence> im Kreis Jackson im Bundesstaat Missouri als Zion <Zion> bezeichnet worden, der Sammlungsort für die Heiligen der Letzten Tage und Ort des Neuen Jerusalems <Jerusalem, das Neue>, das in der Bibel und im Buch Mormon erwähnt wird. Im Sommer 1833 waren die Heiligen der Letzten Tage an Zahl ungefähr ein Drittel so stark wie die Einwohner des Kreises Jackson. Ihre ständig zunehmende Zahl und ihre ungewöhnlichen Lehren versetzten die anderen Siedler in Unruhe, die deswegen schon bald verlangten, daß die Mitglieder der Kirche abziehen sollten. Als ihre Forderungen nicht sofort erfüllt wurden, griffen die Einwohner Missouris die Siedlungen der Mitglieder an und zwangen sie zur Flucht. Die meisten flüchteten im November 1833 nach Norden über den Missouri in den Kreis Clay.
Am 22. Februar 1834 brachten Lyman Wight <Wight, Lyman> und Parley P. PRATT <Pratt, Parley P.> Joseph Smith und den Heiligen der Letzten Tage in Kirtland Nachricht von der schlimmen Situation dieser Mitglieder. Sie berichteten dem Propheten, daß sie mit Gouverneur Daniel Dunklin <Dunklin, Daniel, Gouverneur von Missouri> verhandelt hatten und daß daraufhin Generalstaatsanwalt Robert W. Wells <Wells, Robert W., Generalstaatsanwalt von Missouri> versprochen hatte, die Vertriebenen durch eine Militäreinheit in ihre Heime zurückbegleiten zu lassen. Daraufhin erachtete es Joseph Smith für notwendig, selbst eine Militäreinheit zu entsenden, die die Mitglieder vor weiteren Angriffen schützen sollte, sobald sie heil in den Kreis Jackson zurückgekehrt waren.
In einer Offenbarung vom 24. Februar 1834 (LuB 103) wurden die Heiligen der Letzten Tage aufgefordert, eine Entsatzabteilung von mindestens 100, aber günstigerweise von 500 Freiwilligen nach Missouri zu entsenden. Acht Kirchenführern wurde aufgetragen, Teilnehmer für diesen Marsch zu rekrutieren, der später als “Zionslager” bezeichnet wurde. Vier Gruppen von je zwei Männern gingen in den Osten, um Männer anzuwerben und Geld und Vorräte zu sammeln. Ein fünftes Paar, Lyman Wight und Joseph Smiths Bruder Hyrum SMITH, reisten nach Michigan und Illinois. Die Abteilung aus dem Norden sollte sich mit der aus Kirtland am Haus von James Allred <Allred, James> treffen, einem Mitglied der Kirche, das am Salt-Fluß im östlichen Missouri, etwa 160 Kilometer nordwestlich von St. Louis entfernt wohnte.
Eine Vorausabteilung von zwanzig Mann verließ Kirtland am 1. Mai 1834, um das erste Lager bei der Ortschaft New Portage in der Nähe von Akron, Ohio, vorzubereiten. Die Hauptabteilung, bestehend aus 85 Mann, traf mit ihnen am 6. Mai zusammen. Als die Abteilungen von Joseph und Hyrum Smith bei James Allreds Besitz östlich des Ortes Paris im Kreis Monroe, Missouri, zu ihnen stießen, bestand die Truppe nun aus etwa 200 Männern, elf Frauen und sieben Kindern. Dazu kamen noch die zwanzig Männer, Frauen und Kinder der Abteilung von Hyrum SMITH, die aus der Gegend von Pontiac im Bundesstaat Michigan gekommen waren.
Die Teilnehmer am Marsch waren mit Gewehren, Pistolen, Degen und Messern bewaffnet und versuchten, die Expedition vor den Bewohnern Missouris geheimzuhalten. Die Bewohner des Kreises Jackson erfuhren jedoch, daß die Expedition unterwegs war und brannten praktisch alle noch verbliebenen Häuser der Momonen ab. Da die Teilnehmer der Expedition keine militärische Ausbildung hatten, führten sie während des 1.500 Kilometer langen Marsches militärische Übungen und Scheingefechte durch. Sie waren in Gruppen zu jeweils zehn bzw. fünfzig unter Führung eines Hauptmanns eingeteilt. Nach dem Zusammentreffen am Salt-Fluß am 8. Juni wurde Lyman Wight <Wight, Lyman, General von Zionslager>, ein Veteran des Krieges von 1812, zum General ernannt, und William Cherry <Cherry, William, Ausbilder in Zionslager>, der zwanzig Jahre lang als Dragoner in der Britischen Armee gedient hatte, wurde Ausbilder der Truppe.
Im Widerspruch zu der gewünschten militärischen Disziplin kam es zuweilen zu Streitereien. Als sich die Abteilung am 3. Juni dem Mississippi näherte, warnte Joseph Smith die Truppe, daß der Herr sie geißeln würde, wenn sich das Benehmen nicht bessern sollte. Seine Worte waren eine direkte Prophezeiung, denn am Ende des Marsches, am 23. Juni bei Rush Creek im Kreis Clay, wurde das Lager von der Cholera heimgesucht. Achtundsechzig Personen erkrankten, von denen dreizehn Männer und eine Frau starben. Vorher hatte bereits eine Abteilung von 300 bewaffneten Siedlern aus Missouri das Lager bedroht, wurde jedoch durch ein heftiges Hagelgewitter vertrieben, wodurch eine bewaffnete Auseinandersetzung verhindert wurde.
Inzwischen verhandelten die Führer des Zionslagers mit Beamten des Bundesstaates Missouri und Einwohnern des Kreises Jackson. Joseph Smith erfuhr, daß entgegen seiner Erwartung Gouverneur Dunklin keine Truppen entsenden würde, um die Mormonen in den Kreis Jackson zurückzubegleiten, da er einen Bürgerkrieg fürchtete. Beide Verhandlungspartner schlugen vor, Grundbesitz im Kreis Jackson auszutauschen, aber die Verhandlungen schlugen fehl.
Am 22. Juni 1834 empfing der Prophet am Fishing-Fluß eine Offenbarung, in der die Mitglieder der Kirche getadelt wurden, weil sie das Zionslager nicht genügend unterstützt hatten. Zugleich wurde jedoch das Opfer der Teilnehmer am Zionslager anerkannt. Sie wurden aufgefordert, nicht zu kämpfen, sondern zu warten, bis der Herr Zion erlösen würde. (LuB 105.) Das Unternehmen hatte darauf abgezielt, ihre Glaubenstreue zu prüfen. Die Heiligen der Letzten Tage wurden angewiesen, in dieser Gegend nach friedlichen Lösungen zu suchen und Zion auf dem Rechtsweg und nicht durch militärische Maßnahmen wiederzuerlangen. Da man nichts weiter tun konnte, um den vertriebenen Mitgliedern im Kreis Jackson zu helfen, verteilte man die verbliebenen Vorräte an die Vertriebenen und löste das Lager am 30. Juni 1834 auf. Die meisten Teilnehmer kehrten bald darauf nach Ohio zurück.
Das Zionslager hatte seinen eigentlichen Zweck, nämlich die Heiligen der Letzten Tage im Kreis Jackson zu schützen, verfehlt. Rückblickend kann man jedoch sagen, daß Brigham YOUNG <Young, Brigham> und die anderen Teilnehmer wertvolle Erfahrungen sammelten. Bei künftigen Abwanderungen kamen den Mormonen die Organisationserfahrungen sehr zustatten, die sie im Zionslager gesammelt hatten. Am wichtigsten war jedoch die Tatsache, daß sie die Aufforderung des Herrn befolgt hatten. (LuB 103.) Neun der ersten zwölf Apostel und alle Mitglieder des ersten Siebzigerkollegiums (sieben Präsidenten und dreiundsechzig Mitglieder) wurden später aus den Reihen des Zionslagers berufen.
BIBLIOGRAPHIE
Crawley, Peter und Richard L. Anderson. “The Political and Social Realities of Zion’s Camp.” BYU Studies 14, 1974, S. 406–420.
Launius, Roger D. Zion’s Camp. Independence, Missouri, 1984.
Talbot, William D. “Zion’s Camp.” Diplomarbeit, Brigham Young University, 1973.
LANCE D. CHASE