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WIRTSCHAFTSGESCHICHTE DER KIRCHE

Von Anfang an haben die Heiligen der Letzten Tage ihr wirtschaftliches Wohl als wesentlichen Bestandteil ihrer Religion angesehen. Joseph SMITH <Smith, Joseph> empfing 1830 eine Offenbarung, in der es heißt: “Darum wahrlich, ich sage euch: Für mich ist alles geistig, und niemals habe ich euch ein Gesetz gegeben, das zeitlich ist.” (LuB 29:34–35.) Dieses Prinzip akzeptieren die Heiligen der Letzten Tage als Teil des geoffenbarten Wortes Gottes, und es bedeutet für sie, daß jeder Lebensaspekt mit geistigen und ewigen Dingen verbunden ist. Für Präsident Brigham YOUNG <Young, Brigham>, der die Kirche im Westen der USA dreißig Jahre lang leitete, bedeutete diese Offenbarung, daß “Gott keinen Unterschied macht zwischen Geistigem und Zeitlichem oder zwischen Zeitlichem und Geistigem, denn sie sind eins im Herrn.” (JD 10:11:18.)

Wir können nicht über geistige Dinge sprechen, ohne sie mit Zeitlichem zu verbinden und wir können auch nicht über zeitliche Dinge sprechen, ohne sie mit Geistigem zu verbinden. ... Als Heilige der Letzten Tage gehen wir davon aus, durch das Wort Gottes in allem, was wir unternehmen, geführt und geleitet zu werden, sowohl in geistigen als auch in zeitlichen Angelegenheiten, und wir sind erst zufriedengestellt, wenn dies tatsächlich so ist. Wenn wir nicht danach trachten, dann leben wir nicht in der Absicht, eins mit Christus zu werden. (JD 10:329.)

Aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Erfahrungen der frühen Heiligen der Letzten Tage nahm die Wirtschaft eine immer größere Bedeutung ein, wobei zwei Entscheidungen aus den Anfangstagen der Kirche besonders wichtig waren: Erstens wurde der Hauptsitz der Kirche aus dem Bundesstaat New York nach KIRTLAND, OHIO und nach MISSOURI verlegt, wohin die meisten Mitglieder zogen. Das bedeutete, daß die Führung der Kirche das Problem lösen mußte, wie man allen bedürftigen Mitgliedern helfen konnte, in Richtung Westen zu ziehen. Die Kirchenführer mußten Land kaufen, Pläne für die Entwicklung von Siedlungen entwerfen (siehe STADTPLANUNG) sowie Finanz- und Industrieunternehmen gründen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Um das Reich Gottes aufzurichten, mußte die Kirche ihre Mitglieder sammeln, organisieren, sie ansiedeln und bei der Entwicklung einer komplexeren Gemeinschaft unterstützen. Schließlich mußte die Kirche laut Lehre der Heiligen der Letzten Tage Zion <Zion> errichten, d.h. das buchstäbliche Reich Gottes auf Erden, das Christus <Christus> eines Tages persönlich regieren soll.

Die zweite Entscheidung wurde als Reaktion auf die VERFOLGUNGEN getroffen. Die Kirchenführer nahmen die Verantwortung auf sich, auf die Verfolgungen zu reagieren und sich um die verfolgten Mitglieder zu kümmern. Die Verfolgungen führten dadurch zu Zusammenhalt und Gruppenidentität. Die Heiligen der Letzten Tage wurden aber auch immer wieder ausgewiesen, wodurch die Kirche gezwungen war, Auszüge zu organisieren und in einer neuen Heimat Land zu kaufen und Unternehmen zu gründen. Vor allem verhinderten die Verfolgungen die Entwicklung von Individualismus und Klassenunterschieden und die Anhäufung großen Reichtums, der zwischen Reichen und Armen Barrieren errichtet hätte.

Diese Erfahrungen sowie der soziale, intellektuelle und religiöse Ursprung der Kirche führten zur Entwicklung von wirtschaftlichen Idealen und Institutionen, die ein mehr oder weniger permanenter Bestandteil des Glaubens und der praktischen Lebensführung der Heiligen der Letzten Tage wurde und die HLT-Gemeinschaft zu einer einzigartigen Gruppe im Grenzgebiet Amerikas formte. Die enge Verbindung von Religion und wirtschaftlicher Tätigkeit machte Vorausplanen und Sorge für die Belange der Gemeinschaft unvermeidlich, wodurch eine gerechtere und permanentere Gesellschaft möglich wurde, wie sie ansonsten im amerikanischen Westen nicht existierte. Die frühen wirtschaftlichen Ziele der Heiligen der Letzten Tage können unter vier Gesichtspunkten zusammengefaßt werden: 1. Die Kirche förderte das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung der Wirtschaft, was oft als “das Reich Gottes errichten” bezeichnet wurde. 2. Die Kirche unterstützte die wirtschaftliche Unabhängigkeit einzelner Gruppen. 3. Die Kirche bestand auf Zusammenarbeit und organisierte Gruppenarbeit, um diese Ziele zu erreichen. 4. Die Kirche erzielte und bewahrte wirtschaftliche Gleichheit und Gerechtigkeit.

DIE FÖRDERUNG DES WIRTSCHAFTSWACHSTUMS. Eine frühe Offenbarung an Joseph Smith ruft zur Sammlung “meiner Auserwählten” auf und lautet: “Darum ist vom Vater der Beschluß hinausgegangen, daß sie an einem Ort in diesem Land gesammelt werden sollen.” (LuB 29:7–8.) Nach ihrer Sammlung, sollten die Heiligen der Letzten Tage das Reich Gottes errichten und sich auf das künftige Millennium vorbereiten.

Diese Methode, nämlich erst das Volk als Voraussetzung für die Errichtung des Reiches zu sammeln, wurde verwirklicht und in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen, und zwar mit der Entwicklung eines umfangreichen und wirksamen Missionarssystems, einem Einwanderungsprogramm (siehe EINWANDERUNG UND AUSWANDERUNG) und der Gründung von mehr als einem Zion bzw. Sammlungsorten. Das Einwanderungsprogramm ermöglichte 5.000 Bekehrten, aus Europa nach NAUVOO und ILLINOIS auszuwandern, und man wickelte ab 1846 den großen Treck der 16.000 in Nauvoo und Umgebung lebenden Mitglieder nach WINTER QUARTERS und später nach Nebraska und ins SALZSEETAL ab. Allein der AUSWANDERUNGSFONDS half 26.000 Mitgliedern von 1852 bis 1887 in den Westen der USA zu ziehen. (Im Jahre 1887 löste der amerikanische Kongreß diesen Fonds auf. (Siehe MEHREHE und GESETZGEBUNG GEGEN DIE MEHREHE.) Bis zum Jahre 1890 hatten Einwanderungsagenten mehr als 83.000 Mitgliedern bei der Einwanderung ins SALZSEETAL geholfen. Aufgrund dieses Systems wurden Vieh, Getreide und andere Produkte gegen Schiffspassagen, Planwagen und Ochsen eingetauscht. Gelehrte haben dieses System der Kirche als das vielleicht beste systematische Einwanderungssystem in die USA bezeichnet.

Vielen Neuankömmlingen wurde in Salt Lake City zunächst ein Arbeitsplatz an einem öffentlichen Bauprojekt zugewiesen. Das Kirchenamt für Öffentliche Bauvorhaben auf dem Tempelplatz in Salt Lake City vermittelte den Einwanderern während ihres ersten Winters einen Arbeitsplatz im Salzseetal. Sie bauten Straßen, Mauern, Versammlungshäuser, das SALT-LAKE-THEATER, den berühmten SALT-LAKE-TEMPEL und das TABERNAKEL, verlegten Eisenbahngleise, errichteten Telegraphenleitungen und hoben Bewässerungskanäle aus.

Die Neuankömmlinge wurden bald zu Abteilungen zusammengestellt, die sich in außenliegenden Dörfern ansiedeln sollten. (Siehe KOLONISATION.) In diesen Dörfern wurden die Rechtsverhältnisse geklärt, den Neuankömmlingen ein Grundstück zugewiesen und bestimmte Richtlinien aufgestellt, so daß die bestmöglichste Bearbeitung des Bodens und der Abbau der Bodenschätze gesichert war. Das maßgebliche Prinzip, die Treuhandschaft <Treuhandschaft>, entsprach dem göttlichen Gebot aus dem Jahre 1830: “Jedermann wird als Treuhänder über sein Eigentum ... vor mir rechenschaftspflichtig sein.” (LuB 42:32.) Jeder sollte genügend Eigentum zum Unterhalt seiner Familie haben und alles, was er nicht benötigte, in das “Vorratshaus des Herrn” bringen. Das Eigentumsrecht wurde bedingt erteilt, und der Besitzer verlor seinen Anspruch darauf, wenn er sein Eigentum nicht benutzte oder weiter ausbaute. Präsident Brigham Young <Young, Brigham> fügte der ersten Verwaltungsanweisung der neuen Pionierkolonie im Salzseetal folgende Bedingung hinzu:

Es ist niemandem erlaubt, sein Grundstück aufzuteilen oder durch dessen Verkauf seine Brüder zu übervorteilen. Niemand darf sein Grundstück aufteilen, denn der Herr hat uns das Land geschenkt. ... Jedes Stück Land wird vermessen und dem Eigentümer zum städtischen oder landwirtschaftlichen Nutzen zugewiesen. Er kann darauf anpflanzen, was er will, aber er muß fleißig sein und seinen Besitz pflegen. (Arrington, 1958, S.             46.)

Die Siedler dürften diese Anweisungen befolgt haben. Es war verboten, Land brach liegen zu lassen oder damit zu spekulieren, und der Erwerb oder die Besitzergreifung von städtischen Grundstücken lediglich um den Preis in die Höhe zu treiben, wurde unterbunden. Geld zu horten war ebenfalls gegen die Kirchenregeln.

Im Anschluß an die Besiedelung der Dörfer und der Regelung der Eigentumsrechte bestellten die Heiligen der Letzten Tage die Felder und bauten die vorhandenen Bodenschätze ab. Die Wüste in eine blühende Landschaft und den Boden in fruchtbares Ackerland zu verwandeln, war mehr als eine bloße wirtschaftliche Notwendigkeit: Es war eine Art von Gottesverehrung. Eine damals führende Persönlichkeit der Kirche meinte, die Religion der Heiligen der Letzten Tage bestehe aus Wassergräben und Wassertaufe, und die religiöse Pflicht umschließe sowohl die Erlösung der Heimat des Menschen (der Erde) als auch die seiner Seele. Die Erde, der künftige Wohnort des Gottesvolkes, solle fruchtbar gemacht und buchstäblich in einen Garten von Eden verwandelt werden. Brigham Young sagte: “Der Herr hat seinen Anteil an der Arbeit getan. Er hat uns mit Elementen umgeben, die Weizen, Fleisch, Flachs, Wolle, Seide, Obst und alles enthalten, was zur Errichtung, Verschönerung und Verherrlichung Zions in diesen Letzten Tagen notwendig ist. Jetzt liegt es an uns, diese Elemente gemäß unseren Wünschen und Notwendigkeiten zu nutzen und zwar aufgrund unserer jetzigen Erkenntnis und der Weisheit, die wir durch unsere Glaubenstreue vom Himmel empfangen können.” Nur so “und nicht anders wird der Herr Zion wieder auf die Erde zurückbringen.” (JD 9:283–84.)

Die leidenschaftlichen und hingebungsvollen Anstrengungen der Heiligen der Letzten Tage, die Schätze der großen Täler im amerikanischen Westen voll zu nutzen, läßt sich durch das Prinzip der Treuhandschaft erklären, das für die Entwicklung dieser Schätze verantwortlich war.

WIRTSCHAFTLICHE UNABHÄNGIGKEIT. Das Ziel der HLT-Kolonisation, der Hebung der Bodenschätze und der Entwicklung der Mormonensiedlungen war wirtschaftliche Unabhängigkeit: Das HLT-Gemeinwesen sollte finanziell and wirtschaftlich selbständig sein. Ein offenbartes “Gesetz” der Kirche führte dieses Prinzip im Jahre 1831 ein: “Laß alle deine Gewänder einfach sein - ihre Schönheit die Schönheit der Arbeit deiner eigenen Hände.” (LuB 42:40.) In einer anderen Offenbarung untersagte der Herr den Mitgliedern der Kirche, “bei deinen Feinden Schulden” zu machen. (LuB 64:27.)

Die Prinzipien dieser Offenbarung wurden oft angewandt und großzügig ausgelegt. In den großen Tälern des Westens wurden die Heiligen der Letzten Tage angehalten, selbst Eisen zu fördern, Baumwolle und Seide zu produzieren, und Getreide selbst zu malen - alles ohne von “Außenseitern” zu borgen. Man glaubte, daß Selbständigkeit eine praktische Notwendigkeit sei, weil Gott jede Region mit den Mitteln gesegnet habe, die für die Menschen und die Entwicklung in dieser Region notwendig seien. Als Resultat der Verwirklichung dieses Prinzips waren die großen Täler im Westen das einzige große Gebiet der Vereinigten Staaten, das anfangs hauptsächlich ohne Kapital von außen wirtschaftlich entwickelt wurde.

Offiziell wurden unter anderem folgende der Verselbständigung dienende Unternehmungen gefördert: Die “Eisen-Mission”, bestehend aus etwa 200 Familien, die von der Kirche berufen worden waren und unter großen Anstrengungen Eisen und Kohle bei Cedar City abbauten; die “Zucker-Mission”, in der mehrere hundert Menschen in den fünfziger Jahren zusammenarbeiteten, um die Zuckerrüben-Industrie in Utah zu entwickeln; die “Blei-Mission”, zu der fünfzig Männer berufen wurden, in den Bleibergwerken in der Nähe von Las Vegas, Nevada, Blei zu fördern, das für die Herstellung von Farben und Gewehrkugeln notwendig war; die “Baumwoll-Mission”, zu der über tausend Familien nach Süd-Utah berufen wurden, um Baumwolle, Oliven, Weintrauben, Indigo, Hirse und Feigen anzubauen, die “Seiden-Mission”, wo Maulbeerbäume angepflanzt und in jeder dazu geeigneten Gemeinde die Seidenindustrie entwickelt wurde; die “Flachs-Mission”, die “Holz-Mission” und sogar eine Weinkellerei, die Wein für das Abendmahl herstellte.

EINIGKEIT UND ZUSAMMENARBEIT. Die Ideale, die gefordert waren, um das wirtschaftliche Programm der Kirche erfolgreich durchzuführen, waren Einigkeit unter den Mitgliedern und die Fähigkeit, sich so zu organisieren, daß die wirtschaftlichen Ziele verwirklicht werden konnten. Das bedeutete die Zusammenarbeit der ganzen Kirche. Joseph Smith <Smith, Joseph> empfing im Januar 1831 die folgenreiche Offenbarung, in der die Mitglieder aufgefordert wurden, eins zu sein: “Ich sage euch: Seid eins! Und wenn ihr nicht eins seid, dann seid ihr nicht mein.” (LuB 38:27.) Der Gruppengeist wurde sowohl durch die Überzeugung hervorgerufen, daß Einigkeit eine christliche Tugend ist als auch durch die schwierige Lage, in der sich die HLT-Pioniere befanden, als sie danach trachteten, ein unabhängiges Gemeinwesen zu errichten. Solidarität und eine starke zentrale Organisation waren Ausdruck dieser Anstrengungen. Ob unterwegs auf dem Marsch, beim Bau von Forts, beim Ausheben von Gräben oder beim Bau von Fabriken - die Teilnehmer an dem großartigen Unterfangen, das Reich Gottes zu errichten, mußten sich den Anweisungen von Gottes Führern fügen und den Geist williger Zusammenarbeit pflegen.

Es ist bekannt, daß Brigham Young <Young, Brigham> einigende Tätigkeiten durch gemeinsame Bemühungen verband, indem er genossenschaftliche Einrichtungen für Auszüge, die Kolonisierung, Bauvorhaben, Landwirtschaft, Bergbau, Industrie, Handel und praktisch für jeden Aspekt wirtschaftlicher Tätigkeit einrichtete.

GLEICHHEIT. Um “die zeitliche Erlösung Zions zustandezubringen”, wie man damals oft zu hören bekam, konzentrierten die Gestalter der Kirchenrichtlinien ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Produktion und die Verbesserung des Managements der vorhandenen Ressourcen an Mensch und Natur. Unter dem Einfluß christlicher Prinzipien, der vorhandenen Notwendigkeit und den demokratischen Vorstellungen des damaligen Amerika war die Theologie und Wirtschaft des frühen Mormonismus dennoch eindeutig egalitär. Das beeinflußte die Richtlinien und Regelungen der Kirche im Westen der USA ganz wesentlich.

Die Lehre von der Gleichheit wurde schon früh verkündet: “Wenn ihr in dem, was irdisch ist, nicht gleich seid, so könnt ihr euch beim Erlangen des Himmlischen nicht gleich sein” (LuB 78:6), heißt es in einer Offenbarung vom März 1832. Von Anbeginn an machte man ernsthaft den Versuch, wirtschaftliche Angelegenheiten nach dem Geist der Gleichheit zu betreiben. Als die Bekehrten aus New York im Mai 1831 am kürzlich gegründeten Sammlungsort in Kirtland eintrafen, wurde Land und sonstiges Eigentum nach dem Prinzip zugeteilt, “einem jeden gleich - gemäß seiner Familie, gemäß seinen Umständen”, und jeder “soll ... ein Gleicher unter Gleichen sein und gleich empfangen, damit ihr eins seiet.” (LuB 51:3,9.) Ähnlich wurden die Mitglieder in Ohio ermahnt: “In euren zeitlichen Belangen sollt ihr gleich sein, und zwar ohne zu widerstreben, sonst wird euch das reiche Maß der Kundgebungen des Geistes vorenthalten werden.” (LuB 70:14.) So heißt es auch in den Anweisungen, die die Heiligen der Letzten Tage im Kreis Jackson, Missouri, empfingen, als ihnen das Prinzip der Teuhandschaft <Treuhandschaft> ans Herz gelegt wurde: “Und ihr sollt gleich sein, oder mit anderen Worten, ihr sollt jeder einen gleichen Anspruch auf das Eigentum haben, damit ihr die Belange eurer Treuhandschaften vorteilhaft erledigen könnt, ein jeder gemäß seinen Bedürfnissen und Notwendigkeiten, soweit seine Bedüfnisse gerecht sind.” (LuB 82:17.)

Der Kern dieses Prinzips wurde durch das Einwanderungssystem offenbar (wer wohlhabend war, wurde aufgefordert, Mittel zu spenden, um dadurch den ärmeren Bekehrten die Einwanderung zu ermöglichen), in den öffentlichen Bauvorhaben (von denen, die mehr besaßen, als sie selber benötigten, wurde Unterstützung erwartet), in der Land- und Wasserverteilung (ein gleich großer Anteil wurde durch das Los vergeben) und in der Gründung vieler genossenschaftlicher Läden und Unternehmen in den Siedlungen. Der Einfluß des Ideals der Gleichheit war jedoch noch weitreichender und führte zu verschiedenen Versuchen, die Gesellschaft grundlegend zu reformieren und wirtschaftliche Modelle auf egalitärerer Basis zu gründen. Die Heiligen der Letzten Tage versuchten Gemeinschaften dieser Art in Ohio und Missouri (siehe WEIHUNG), in über 150 Siedlungen in Far West, sowie in Siedlungen vom Norden zum Süden, von Paris in Idaho bis nach Bunkerville in Nevada und Joseph City in Arizona zu gründen, die danach trachteten, diese Ideale zu verwirklichen. (Siehe VEREINIGTE ORDNUNG.) Diese Gemeinschaften erreichten einen hohen Grad wirtschaftlicher Gleichheit, und obwohl die meisten nur eine kurze Zeit lang bestanden, ist ihr Einfluß auf das Denken und das Selbstverständnis der Heiligen der Letzten Tage bis zum heutigen Tage unverkennbar.

Man muß gerechterweise sagen, daß die Kirche der Verwirklichung ihrer wirtschaftlichen Ziele viel näher gekommen wäre, wenn die Bundesregierung in Washington nicht eingegriffen hätte, um genau dies zu verhindern. Die UTAH-EXPEDITION <Utah-Expedition> aus den Jahren 1857–1858, das Anti-Bigamie-Gesetz aus dem Jahr 1862, die Gesetzgebung gegen die Mehrehe <Mehrehe> in den späten sechziger und siebziger Jahren und noch viel mehr das kirchenfeindliche Edmunds-Gesetz <Edmunds-Gesetz> (1882) und das Edmunds-Tucker-Gesetz <Edmunds-Tucker-Gesetz> (1887) unterhöhlten die neuen wirtschaftlichen Anstrengungen der Kirche und zwangen sie, viele ihrer Aktivitäten aufzugeben.

Durch einen seltsamen Zufall der Geschichte wurde dieser Trend jedoch rückläufig gemacht, und zwar durch die Wirtschaftskrise von 1891, die die noch weit schlimmere Krise von 1883 und die Depression der neunziger Jahre verursachte. Da sich die Landwirtschaft und der Bergbau in Utah kaum rentierten, hatte Utah unter weit größeren Schwierigkeiten zu leiden als andere Bundesstaaten. Arbeitslosigkeit und geringes landwirtschaftliches Einkommen führten zu großer Beunruhigung. In dieser Krise setzte die Kirchenführung alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein, inklusive der Vermögenswerte, die die Bundesregierung zuvor beschlagnahmt aber mittlerweile zurückerstattet hatte, um die Wirtschaft im Westen anzukurbeln. Ihre gemeinsamen Anstrengungen machten die Gründung vieler neuer erfolgreicher Unternehmen möglich. Mit einer Investitionssumme von 500.000 Dollar wurde die Zuckerproduktion neu begonnen, mit weiteren 500.000 Dollar der Bau von Wasserkraftwerken im Westen finanziert und mit 250.000 Dollar die Salzproduktion an den Ufern des Großen Salzsees subventioniert. Um Arbeitsplätze zu schaffen, wurde die Saltair-Erholungstätte gebaut. Es wurden Eisenbahnlinien geplant, Bewässerungskanäle gegraben und neue Kolonien angefangen, kurzum, die Kirchenführer taten alles, was in ihrer Macht stand, um die wirtschaftliche Basis in den großen Tälern des Westens und in den angrenzenden Regionen zu vergrößern.

Die Ausdehnung dieser wirtschaftlichen Aktivitäten beunruhigte amerikanische Politiker und Großunternehmer, die aufgrund der SMOOT- ANHÖRUNGEN IM SENAT (1903–1907) die Kirche zwangen, die meisten ihrer Wirtschaftsunternehmen zu liquidieren. Anteile an der Zucker- und Salzindustrie, an Eisenbahnen, Wasserkraftwerken, am Telegraphensystem und anderen Unternehmen wurden an Unternehmer im Osten der USA verkauft, und in den nächsten Jahrzehnten glich die Wirtschaft in Utah der Wirtschaft eines jeden anderen Bundesstaates in der Rocky-Mountain-Region.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts war die Einstellung des übrigen Amerika den von der Kirche geförderten Unternehmen gegenüber freundlicher. Seit der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre im 20. Jahrhundert und ganz besonders seit dem Zweiten Weltkrieg wurden die wirtschaftlichen Ideale der Gründergeneration besonders durch das Wohlfahrtsprogramm und andere Unternehmen wieder agressiver verfolgt. Bedingt durch das ständige Wachstum der Kirche besonders in Gebieten außerhalb Nordamerikas mußte sich die Kirche wieder mehr auf ihre zentrale Mission konzentrieren. Der Zehnte und andere Spenden bleiben wie seit ehedem der Schlüssel zur aktiven wirtschaftlichen Aktivität der Kirche. In der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Kirche ihr vollständiges Programm, einschließlich Tempel, ausdrücklich allen Mitgliedern überall in der Welt zugänglich gemacht. Seitdem die “Errichtung des Reiches” immer internationaler wird, werden die Finanzen hauptsächlich für die Errichtung von Versammlungshäusern und Tempeln in vielen Ländern verwendet. Zugleich hat die Kirche aber auch in Medienunternehmen, wie z.B. in ein Satelliten-Kommunikationssystem, investiert, läßt Mikrofilme von genealogischen Dokumenten anfertigen, die in der ganzen Welt erfaßt werden und errichtet ein Netz von genealogischen Bibliotheken, in denen diese Dokumente jedermann in der ganzen Welt zugänglich gemacht werden. Andererseits hat sie viel Eigentum liquidiert, das lediglich den Heiligen der Letzten Tage im Westen zugute gekommen war.

Ende der achtziger Jahre führte die Kirche ein neues Budgetsystem ein, das auf größere finanzielle Gleichheit hinzielte. Die Finanzierung von Projekten ist nun nicht mehr abhängig von der Höhe der Spenden örtlicher Mitglieder, sondern die Finanzierung von Einrichtungen und Aktivitäten der Kirche wird für alle Mitglieder innerhalb eines bestimmten finanziellen Grundrahmens gewährleistet. Das bedeutet auch, daß die Ausgaben der wohlhabenderen Gemeinden beschränkt werden. Da die Zahl der Mitglieder in der ganzen Welt ständig weiter zunimmt, macht die Kirche immer größere Anstrengungen, wirtschaftliche Unabhängigkeit auf individueller Basis (d.h. in der Familie) zu erzielen und die Mitglieder überall dabei zu unterstützen, finanziell unabhängiger zu werden und sich für Notfälle zu wappnen. Zugleich werden jedoch auch das Wohlfahrtsprogramm und das Katastrophenhilfsprogramm der Kirche ausgebaut und immer mehr Menschen zugänglich gemacht.

Obgleich die Kirche heutzutage in Wirtschaftsbelangen nicht mehr so häufig eingreift wie in der Pionierzeit, bleiben Selbständigkeit, Einigkeit und Zusammenarbeit sowie Gleichheit weiterhin grundlegende Ziele der Kirche. Die Heiligen der Letzten Tage hoffen auf eine künftige Welt, in der Wohlstand und Gerechtigkeit vorherrschen, setzen jedoch ihre Anstrengungen fort, Institutionen ins Leben zu rufen, die zum Segen der Menschheit wirken - was sie als wesentliche Vorbereitung auf das Zweite Kommen Christi ansehen.

[Siehe auch KIRTLAND, WIRTSCHAFT IN KIRTLAND; NAUVOO, WIRTSCHAFT IN NAUVOO; PIONIERZEIT, DIE WIRTSCHAFT IN DER PIONIERZEIT.]

BIBLIOGRAPHIE

Arrington, Leonard J. Great Basin Kingdom: An Economic History of the Latter-day Saints, 1830–1900. Cambridge, Massachusetts, 1958.

———. “Religion and Economics in Mormon History.” BYU Studies 3, Frühjahr/Sommer 1961, S. 15–33.

Arrington, Leonard J., Feramorz Y. Fox und Dean L. May. Building the City of God: Community and Cooperation Among the Mormons. Salt Lake City, 1976.

LEONARD J. ARRINGTON