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VEREINIGTE ORDNUNG

Der Begriff “Vereinigte Ordnung” bezieht sich auf die Genossenschaften, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in den Mormonen-Ortschaften im amerikanischen Westen, in Mexiko und Kanada gegründet wurden und zwar mit dem Ziel, eine ideale christliche und wirtschaftlich unabhängige Gemeinschaft zu errichten. In den Offenbarungen aus dem Jahr 1831 umriß Joseph SMITH <Smith, Joseph> das Gesetz der WEIHUNG <Weihung> und der Treuhandschaft <Treuhandschaft> als Grundlage für eine ideale Gemeinschaft. Zu den wirtschaftlichen Zielen der Vereinigten Ordnung gehörten eine annähernde Einkommensgleichheit, die Unabhängigkeit der Gemeinschaft sowie die Ausrottung der Armut. (Siehe WIRTSCHAFTSGESCHICHTE DER KIRCHE.) Unter diesem Plan weihte oder übertrug jedes Familienoberhaupt sein Grundeigentum und sein persönliches Eigentum urkundlich dem Präsidierenden Bischof der Kirche und erhielt dafür eine “Treuhandschaft” oder ein “Erbteil” aus dem geweihten Eigentum. Danach weihten die Mitglieder der Kirche jährlich allen Überschuß aus ihrer Treuhandschaft dem Vorratshaus des Bischofs. Dieses System bestand in dieser Form während der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts auf kurze Zeit in einigen Mormonen-Ortschaften im amerikanischen Mittelwesten. Im Westen bereiteten die Mitglieder der Kirche von 1855 bis 1858 zwar Weihungsurkunden vor, vollzogen die eigentliche Weihung in diesen Jahren jedoch nicht.

In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts legte Präsident Brigham YOUNG <Young, Brigham> erneut Nachdruck auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und Unabhängigkeit, und ein Netz von über 150 genossenschaftlichen Handels- und Produktionsunternehmen wurde in Utah errichtet. (Siehe DIE WIRTSCHAFT IN DER PIONIERZEIT.) Die Genossenschaften verlangten nicht die Weihung des Eigentums, sondern gaben Aktien aus, verkauften sie und zahlten Lohn und Gewinnanteile aus. Das sollte Einigkeit schaffen und die Abhängigkeit von Kaufleuten und Händlern reduzieren, die keine Mitglieder der Kirche waren. Zu den erfolgreichsten Genossenschaften zählte die sogenannte “Brigham City Mercantile and Manufacturing Association”, die vierzig Abteilungen betrieb und die wirtschaftliche Aktivität der ganzen Ortschaft ausmachte. Präsident Brigham Young war überzeugt, daß diese genossenschaftliche Bewegung ein wichtiger Schritt in Richtung einer idealen Gesellschaft sei, er wußte aber auch, daß ein größeres System notwendig war, um seine politischen und wirtschaftlichen Ziele verwirklichen zu können.

Es waren zweifellos drei konkrete Ereignisse, die Brigham Young 1874 dazu veranlaßten, das System der Vereinigten Ordnung einzuführen. Das erste war die Fertigstellung der transkontinentalen Eisenbahn im Jahre 1869, die zur Zuwanderung vieler Nichtmormonen führte. Deren Begleiterscheinungen -Individualismus, Konkurrenzdenken sowie die Institutionen des amerikanischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts - stellten eine ernstliche Bedrohung der Bande der Selbstlosigkeit und Zusammenarbeit dar, die die Mormonengesellschaft bis dahin zusammengehalten hatte. Das zweite waren vom amerikanischen Kongreß verabschiedete Gesetze, die darauf abzielten, die politische und wirtschaftliche Macht sowie die individuellen Rechte der Heiligen der Letzten Tage einzuschränken und die zur Verfolgung der Kirche und 1871 zur Verhaftung Brighams Youngs <Young, Brigham wird verhaftet> führten. Das dritte war die Wirtschaftskrise von 1873. Sie verursachte eine Bergbaukrise in Utah und den Verlust von Arbeitsplätzen für Arbeiter und von Absatzmärkten für Bauern und Händler. Vom allgemeinen Verfall des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens bedroht, führte Brigham Young die “Vereinigte Ordnung Henochs” ein. Am 9. Februar 1874 gründete er die erste örtliche Gemeinde der Vereinigten Ordnung in St. George in Süd-Utah. Die letzte von der Kirche genehmigte örtliche Vereinigte Ordnung wurde am 9. Januar 1893 in Cave Valley im Bundesstaat Chihuahua in Mexiko gegründet. In den Jahren dazwischen wurden mehr als zweihundert örtliche Genossenschaften der Vereinigten Ordnung in mehreren Bundesstaaten der Rocky-Mountain-Region ins Leben gerufen, und zwar in erster Linie während der Jahre 1874 und 1875 in Utah, Idaho, Wyoming, Arizona und Nevada. Dieser ehrgeizige Versuch, eine utopische Gesellschaft zu errichten, war eine direkte Reaktion auf Kräfte, die die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der Kirche bedrohten, und auch gleichzeitig ein letzter Versuch Brigham Youngs, eine ideale Gesellschaft zu errichten, so wie Joseph SMITH sich diese vorgestellt hatte. (Siehe STADTPLANUNG.)

Brigham Young betrachtete die Vereinigte Ordnung als Übergang von den Genossenschaften der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zur idealen Gemeinschaft Joseph Smiths, die auf Weihung und Treuhandschaft basierte. Obgleich sich die örtlichen Varianten der Vereinigten Ordnung strukturell voneinander unterschieden, waren sie fast alle freiwillige Produktionsgenossenschaften, deren Mitglieder nicht für einen bestimmten Lohn arbeiteten, sondern wo das Nettoeinkommen des Unternehmens unter den Mitgliedern aufgeteilt wurde. Es entwickelten sich hauptsächlich zwei Formen von Produktionsgenossenschaften. Im Modell der Stadt St. George übertrugen die Mitglieder ihr Eigentum der Genossenschaft und erhielten dafür Dividenden und Lohn im Verhältnis zum Kapital, das sie investiert und der Arbeit, die sie geleistet hatten.

Das zweite Modell der Vereinigten Ordnung war ein Gemeinschaftsmodell. Die Mitglieder übertrugen der Gemeinschaft ihren gesamten Besitz, teilten mehr oder weniger gleich die gemeinsamen Erzeugnisse unter sich auf, leisteten ihren Beitrag, sorgten für Lebensmittel und arbeiten zusammen wie eine gut organisierte Familie. Dieses Modell war das Orderville-Modell <Orderville>, so benannt nach dem berühmtesten Beispiel der Vereinigten Ordnung. Die Gemeinschaft in Orderville wurde 1875 gegründet und war wirtschaftlich fast völlig unabhängig. Sie produzierte Nahrung, Brennstoff, Faserstoffe und fast alle Fertigwaren, von denen einige sogar in andere Teile des Territoriums exportiert wurden. Es war dies die erfolgreichste gemeinschaftliche Ordnung; sie wurde jedoch 1885 aufgelöst. Außer Orderville gab es auch noch andere ähnliche Gemeinschaften dieser Art, und zwar in Süd-Utah, Nevada, Arizona und Mexiko.

Die wenigen Gemeinschaften der Vereinigten Ordnung, die keine Produktionsgenossenschaften waren, folgten dem Brigham-City-Modell (früher “Brigham City Mercantile and Manufacturing Association” genannt ), eine Aktiengesellschaft mit im wesentlichen genossenschaftlichen Zügen. Das Brigham-City-Modell sollte die bereits bestehenden kooperativen Einrichtungen stützen. Wer nach diesem Modell lebte, brauchte weder sein ganzes Eigentum noch seine Arbeitskraft zu weihen. Es wurde wie ein kapitalistisches Unternehmen mit Gewinnbeteiligung geführt, das Dividenden für Aktien und Arbeitsleistung ausschüttete. Man war nicht gezwungen, Aktien zu besitzen, um in diesem Modell der Vereinigten Ordnung mitzuwirken, aber die Arbeitnehmer wurden gebeten, einen Teil ihres Lohns in Form von Aktien ausbezahlt bekommen zu dürfen. Mehrere Ortschaften in Nord-Utah und Süd-Idaho lebten die Vereinigte Ordnung nach dem Brigham-City-Modell. Kirchengemeinden in größeren Städten des Territoriums entwickelten einen modifizierten Brigham-City-Plan, nach dem die Mitglieder ihr Kapital zusammenlegten, um so je nach Bedarf eine Genossenschaft oder ein gemeinsam betriebenes Unternehmen zu gründen. Diese Unternehmen ähnelten in vieler Hinsicht den Wohlfahrtsprojekten, die im 20. Jahrhundert in den Pfählen der Kirche als Teil des Wohlfahrtsprogramms eingerichtet wurden.

Brigham Young war davon überzeugt, daß eine Zusammenlegung von Kapital und Arbeitskraft nicht nur die Einigkeit und Unabhängigkeit förderte, sondern daß die Produktion, Investition und Verbrauch durch Spezialisierung, Arbeitsteilung und gezieltes Einsetzen der Mittel steigen würde. Trotz einiger bemerkenswerter Erfolge war die Vereinigte Ordnung nur von kurzer Dauer. Die meisten St.-George-Modelle kamen nie völlig oder nur kurzfristig in Gang. Als Präsident Young 1877 starb, hatte man die meisten genossenschaftlichen Unternehmungen bereits aufgegeben. Einige, wie die von Orderville und Brigham City, waren ein Jahrzehnt lang erfolgreich, aber nur wenige überlebten auf die eine oder andere Weise bis zur Jahrhundertwende. Ein gemeinsames Unternehmen der Gemeinden Logan 2 und 3 bestand bis ins 20. Jahrhundert, wurde jedoch 1909 an Privatfirmen verkauft. Es waren viele gemeinsame Faktoren, die die Vereinigte Ordnung in ihrem Fortschritt hemmten. Dazu gehörten die Unsicherheit, wie ein solches Unternehmen zu führen war, der Zustrom von Einwanderern, die kein Kapital beisteuern konnten, interne Zwistigkeiten, Unkenntnis von Gesetzen über die Gründung von Körperschaften sowie gerichtliche Verfolgung führender Beamten durch die amerikanische Regierung.

Obgleich die Bewegung nur von kurzer Dauer war, war die Vereinigte Ordnung dennoch eine wichtige Entwicklung der Pioniergesellschaft und -wirtschaft der Kirche, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens trug die Vereinigte Ordnung wesentlich zur KOLONISIERUNG des unwirtlichen Südens des amerikanischen Westens bei, wo Zusammenarbeit und Organisation zum Überleben unentbehrlich waren. Zweitens ermöglichte die Vereinigte Ordnung den Kirchenführern, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu fördern. Die wirtschaftliche Vielfalt Utahs, die eine Folge der Vereinigten Ordnung war, ermöglichte es diesem Bundesstaat, die Ende des 19. Jahrhunderts sich auf Bergbau spezialisierende Wirtschaft anderer Bundesstaaten der Rocky-Mountain-Region zu vermeiden. Letzten Endes bot die Vereinigte Ordnung den Heiligen der Letzten Tage der damaligen Zeit symbolisch die Möglichkeit, anders als die Welt zu sein, ihre Identität als Gemeinschaft in einer ihnen feindlich gesinnten Gesellschaft zu bewahren und ihren Glauben an die Möglichkeit der Vervollkommnung des Einzelnen und der Gemeinschaft praktisch unter Beweis zu stellen. Bis heute bleibt das Erlebnis der Vereinigten Ordnung im historischen Bewußtsein der Mitglieder der Kirche als Symbol einer vollkommeneren Gesellschaft bestehen, einer Gesellschaft - und davon sind die Heiligen der Letzten Tage überzeugt - die sie eines Tages verwirklichen werden.

BIBLIOGRAPHIE

Arrington, Leonard J. Great Basin Kingdom: An Economic History of the Latter-day Saints, 1830–1900. Cambridge, Massachusetts, 1958.

Arrington, Leonard J., Feramorz Y. Fox und Dean L. May. Building the City of God: Community and Cooperation Among the Mormons. Salt Lake City, 1976.

Israelsen, L. Dwight. “An Economic Analysis of the United Order.” BYU Studies 18, Sommer 1978, S. 536–562.

L. DWIGHT ISRAELSEN