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UTAH, EIGENSTAATLICHKEIT DES BUNDESTAATES

Bereits vor 1847 war den Heiligen der Letzten Tage bewußt geworden, daß mehr politische Autonomie und Möglichkeiten zum Selbstschutz extrem wichtig waren, denn die künftige Territorialregierung, deren Beamte von der U.S.-Regierung ernannt werden sollten, würden für die Lebensweise der Heiligen der Letzten Tage kaum Verständnis aufbringen. Aus diesem Grund bemühten sich die Mormonenpioniere sogleich nach ihrer Ankunft in Utah um Eigenstaatlichkeit und Selbstregierung. In den Jahren 1850, 1856, 1862, 1867, 1872 und 1882 machten HLT-Abgeordnete vergeblich Eingaben an den amerikanischen Kongreß um Eigenstaatlichkeit, aber die Aussicht darauf schien mit der Zeit immer geringer zu werden, weil deren Gegner aufgrund der in Utah praktizierten MEHREHE <Mehrehe> emotionalen Widerstand wecken konnten. Im Jahr 1865 besuchte Schuyler Colfax <Colfax, Schuyler>, der Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses, Utah und machte Brigham YOUNG <Young, Brigham> unmißverständlich darauf aufmerksam, daß das Utah-Territorium niemals Bundesstaat werden würde, solange die Kirche an der Mehrehe festhielt. Die Heiligen der Letzten Tage gaben die Mehrehe jedoch nicht auf, und dadurch wurde die Eigenstaatlichkeit Utahs eine weitere Generation lang verhindert.

Nachdem das amerikanische Verfassungsgericht die Mehrehe 1879 für ungesetzlich erklärt hatte (siehe REYNOLDS GEGEN DIE VEREINIGTEN STAATEN), begannen Bundesbeamte die Gesetze mit strengeren Maßnahmen durchzusetzen, was als der “Kreuzzug” gegen die Polygamisten bezeichnet wurde (siehe GESETZGEBUNG GEGEN DIE MEHREHE). Noch bevor 1887 das Edmunds-Tucker-Gesetz <Edmunds-Tucker-Gesetz>, das denjenigen, die die Mehrehe praktizierten, das Wahlrecht entziehen sollte, vom Kongreß verabschiedet wurde, trachteten Vertreter der Kirche nach der Zustimmung der amerikanischen Regierung unter Präsident Grover Cleveland <Cleveland, Grover, US-Präsident> und des Präsidenten der Kirche, John TAYLOR <Taylor, John>, und zwar nach der Zustimmung für eine Strategie, nach der Utah erst dann die Eigenstaatlichkeit beantragen würde, nachdem in der Verfassung des Bundesstaates die Mehrehe ausdrücklich untersagt worden war. Präsident Taylor war weiterhin vom Grundsatz der Mehrehe überzeugt, es war ihm jedoch klar, daß gewählte Beamte einer Bundesstaatsregierung die Gesetze weit weniger streng auslegen würden als es ernannte Vertreter der amerikanischen Regierung bis dahin getan hatten. Mitte 1887 wurde eine entsprechende Verfassung für den Bundesstaat Utah verabschiedet. Trotzdem stimmten die Abgeordneten der Demokratischen Partei im Kongreß solange gegen die Eigenstaatlichkeit, bis die Kirche die Mehrehe aufgab.

Kurz darauf begann die Erste Präsidentschaft der Kirche in ihrer Eigenschaft als Komitee für Eigenstaatlichkeit mit Mitgliedern der Republikanischen Partei zusammenzuarbeiten. Einige Republikaner waren der Kirche gegenüber wegen der Mehrehe feindlich gesinnt, andere hingegen erkannten, wie wichtig die Wählerstimmen der Mormonen für die Republikanische Partei im Westen sein konnten. Mit der Unterstützung freundlich gesinnter Republikanischer Parteiführer vereitelten George Q. Cannon <Cannon, George Q.>, Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, und andere die Verabschiedung eines Gesetzes, das nicht nur denjenigen, die die Mehrehe praktizierten, sondern allen HLT-Stimmberechtigten, das Stimmrecht entzogen hätte. Die Bedrohung durch ein derartiges Gesetz blieb jedoch bestehen, ebenso die weitaus bedrohlichere Gefahr, daß die vier Tempel in Utah aufgrund des Edmunds-Tucker-Gesetzes beschlagnahmt werden könnten.

Die Kirchenführer sahen sich der ironischen Situation gegenüber, daß die Eigenstaatlichkeit und Selbstregierung, die man als Schutz für die Kirche und für ihre Institutionen anstrebte, scheinbar nur dann erreicht werden konnte, wenn man einen Teil der Kirchenlehre aufgeben würde, den man eigentlich beschützen wollte. Da immer schärfere Gesetze verabschiedet wurden, mußte sich die Kirche dazu entscheiden, in weniger wichtigen Angelegenheiten nachzugeben, um die grundlegende Mission der Kirche und ihre allerheiligsten Handlungen zu bewahren. In dieser Zeit bemühte sich Präsident Wilford WOODRUFF <Woodruff, Wilford> inbrünstig um göttliche Führung, und er erhielt sie. So gab er 1890 in seinem MANIFEST <Manifest> bekannt, daß er die Mehrehe nicht mehr zulassen würde, da sie gegen die Gesetze der Vereinigten Staaten verstoße. Auf diese Weise räumte er das größte Hindernis für die Eigenstaatlichkeit Utahs aus dem Weg und bewahrte die Tempel und mehr vor dem Zugriff durch die amerikanische Bundesregierung.

Das wichtigste noch zu lösende Problem war die Normalisierung des politischen Lebens im Utah-Territorium. Bisher hatten Nichtmitglieder die sogenannte Liberale Partei unterstützt; die Mitglieder der Kirche hingegen die sogenannte Volkspartei, die auf nationaler Ebene hauptsächlich mit der Demokratischen Partei zusammenarbeitete. Die Führer der Kirche erkannten die Bedeutung dessen, die Kongreßabgeordneten davon zu überzeugen, daß die Wähler in Utah nicht ausschließlich der Demokratischen Partei treu bleiben müßten. Es war an der Zeit, daß sich die Wähler in Utah den amerikaweiten politischen Gegebenheiten anpaßten, so daß die Demokratische Partei und die Republikanische Partei im Bundesstaat gleich stark vertreten wären. Dies geschah ohne größere Umstände durch die Bemühungen des Apostels John Henry Smith <Smith, John Henry> und anderer, denn aufgrund ihres Drängens wurden führende Beamte der Kirche - und in einigen Fällen ganze Gemeinden - gleichmäßig unter den beiden Parteien aufgeteilt.

Als sich jedoch abzuzeichnen begann, daß als Folge der Eigenstaatlichkeit Utahs die Republikanische Partei im Bundessenat, wo beide Parteien gleich stark vertreten waren, möglicherweise zwei zusätzliche Senatoren bekommen konnte, zeigten sich die Demokratischen Politiker der Eigenstaatlichkeit Utahs weit weniger zugetan. Das machte in der Folge sehr intensive, hinter den Kulissen stattfindende Verhandlungen nötig. Die Hauptvertreter bei diesen Verhandlungen waren Bischof Hiram B. Clawson <Clawson, Hiram B.> und dessen Verwandter, Oberst Isaac Trumbo <Trumbo, Oberst Isaac>, ein enger Freund von Präsident Wilford WOODRUFF, deren Einflußnahme auf Republikanische Politiker sich als äußerst wichtig erwies. In einer Reihe von Besprechungen und Übereinkommen erwirkten Trumbo und Clawson schließlich die Zusammenarbeit führender Demokraten. Diese Kooperation kam wenigstens teilweise deswegen zustande, weil die Verhandler aus Utah das Zugeständnis machten, daß Utah erst 1896 Bundesstaat würde, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Demokraten ihre politischen Ziele im Kongreß erreicht haben würden, und zwar ohne Opposition zweier zusätzlicher Republikanischer Senatoren aus Utah.

Das Gesetz, das Utah die Eigenstaatlichkeit verlieh, wurde im Juli 1894 verabschiedet und ermöglichte es der verfassungsgebenden Versammlung, sich Anfang 1895 zu konstituieren. Sobald die Verfassung vom amerikanischen Kongreß verabschiedet worden war, wurde sie den Bürgern Utahs zur Ratifizierung vorgelegt. In der gleichen Wahl wählten sie auch die ersten politischen Mandatare des neuen Bundesstaates. Am 4. Januar 1896 erklärte US-Präsident Grover Cleveland Utah zum fünfundvierzigsten Bundesstaat, und zwei Tage darauf nahm die neue Bundesstaatsregierung ihre Tätigkeit auf.

BIBLIOGRAPHIE

Larson, Gustave O. The “Americanization” of Utah for Statehood. San Marino, Kalifornien, 1971.

Lyman, Edward Leo. Political Deliverance: The Mormon Quest for Utah Statehood. Urbana, Illinois, 1986.

Wolfinger, Henry J. “A Reexamination of the Woodruff Manifesto in the Light of Utah Constitutional History.” Utah Historical Quarterly 39, Herbst 1971, S. 328–349.

EDWARD LEO LYMAN