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CA. 1898–1945. ÜBERGANG: ERSTE HÄLFTE DES 20. JAHRHUNDERTS

(Um die Jahrhundertwende litt die Kirche besonders unter den finanziellen Folgen der rechtlichen Angriffe auf sie wegen der Mehrehe. Die amerikanische Öffentlichkeit glaubte auch nicht, daß das vor kurzem offiziell bekanntgegebene Ende der Mehrehe tatsächlich auch in die Praxis umgesetzt wurde. Nach einer Beschreibung der Entwicklung auf diesem Gebiet befaßt sich der folgende Artikel mit der Integration der Heiligen der Letzten Tage in die amerikanische Gesellschaft, ebenso mit dem offiziellen Standpunkt der Kirche zum Krieg. Dem folgt ein Überblick über den Versuch der Kirche, ihre Programme straffer zu organisieren - eine Folge des kontinuierlichen Wachstums der Kirche. Zusätzlich zu der diesem Artikel folgenden Bibliographie empfiehlt sich auch die Lektüre des Artikels WIRTSCHAFTSGESCHICHTE DER KIRCHE. Im Jahr 1930 wurde das hundertjährige Bestandsjubiläum der Kirche gefeiert. Die Präsidenten der Kirche der damaligen Epoche waren Lorenzo SNOW, Joseph F. SMITH und Heber J. GRANT.)

Die Kirche beschritt die Schwelle zum 20. Jahrhundert in einem Zustand der Verfolgung und Isolation. Die Gründung, der Auszug in den isolierten amerikanischen Westen, der Aufbau eines kirchlichen und zeitlichen Gottesreiches sowie das Ringen mit einer feindseligen und verständnislosen amerikanischen Umwelt hatten bisher die Geschichte der Kirche ausgemacht. Das Jahr 1898 kennzeichnete jedoch einen Umschwung. Nach Präsident Wilford WOODRUFFs <Woodruff, Wilford> Tod im September wurde Lorenzo SNOW <Snow,Lorenzo> (1898–1901) dessen Nachfolger und rief eine Folge von Änderungen ins Leben, die auf Erneuerung und Neudefinition abzielten. Gemeinsam mit seinen Nachfolgern Joseph F. SMITH <Smith, Joseph F.> (1901–1918) und Heber J. GRANT <Grant. Heber J.> (1918–1945) reagierte er auf die gewaltigen Änderungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bemühte sich, alte Wertvorstellungen in einer sich ständig ändernden Welt zu erhalten. Die Folge dessen war, daß die Kirche gegen Mitte des Jahrhunderts schließlich von der amerikanischen Gesellschaft akzeptiert und in sie integriert wurde, und zwar so sehr, wie dies nur ihre treuesten Befürworter vor einem halben Jahrhundert hätten vorhersehen können.

Das unmittelbarste Problem der Kirche war die Geldnot. Der amerikanische Kampf gegen die Mehrehe <Mehrehe> (siehe MEHREHE, GESETZGEBUNG GEGEN DIE MEHREHE) hatte die Einkünfte und das Eigentum der Kirche immens geschwächt, und zwar durch die Inhaftierung der Kirchenführer, die die Spenden an die Kirche verwalteten und zweitens durch die Konfiszierung des Eigentums und der Mißwirtschaft im Umgang mit Kircheneigentum. Die Wirtschaftskrise des Jahres 1893 und die damit einhergehende Flaute verschlimmerte die Situation noch. Zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Ankurbelung der Wirtschaft hatte die Kirche Kredite aufgenommen und damit in öffentliche Versorgungsbetriebe und Firmen investiert. Präsident Snow bereitete dem ein schnelles Ende. Während seiner Amtszeit wurden Ausgaben gekürzt, unwichtiges Eigentum verkauft und die Mitglieder zu großzügigeren Spenden aufgerufen.

Diese neuen Richtlinien gab er während einer Predigtreise durch das südliche Utah bekannt. Im Mai 1899 sprach er zu den Mitgliedern in St. George und verhieß ihnen, daß größerer Gehorsam gegenüber dem von der Kirche schon lange gelehrten Gesetz des Zehnten den Mitgliedern Segen bringen und gleichzeitig die Kirche von ihrer Schuldenlast befreien würde. Ein Jahr später danach hatte sich das Einkommen der Kirche bereits verdoppelt. Die Kirchenführung drang auf Spenden in Form von Bargeld anstatt in Naturalien, und führte systematische Spenden und die Buchprüfung ein. Aufgrund dieser Reformen konnte Präsident Smith 1907 bekanntgeben, daß die Kirche ihren Schuldenberg abgetragen hatte. Die jährlichen Zehnteneingänge beliefen sich auf 1,8 Millionen Dollar, obwohl die Kirche im Jahr 1898 noch mit 1,25 Millionen Dollar in den roten Zahlen gewesen war. Außerdem besaß die Kirche nun Eigentum im Wert von 10 Millionen Dollar. Nie wieder ließ sich die Kirche auf Defizitfinanzierungen ein - nicht einmal während der Weltwirtschaftskrise nach 1929.

Präsident Snows Reformen schlossen aber nicht den Besitz von Investitionsgütern und die Führung von Unternehmen durch Kirchenbeamte und Vorstandsdirektoren, die der Kirche angehörten, aus. (Siehe WIRTSCHAFTSGESCHICHTE.) Während man sich zwar von einigen Betrieben trennte (z.B. von Deseret Telegraph, der Utah Light and Railway Company, sowie des am Salzsee gelegenen Tanzsaals “Saltair”), investierte die Kirche in Unternehmen, die ihrem gesellschaftlichen und kirchlichen Einfluß förderlich waren. So behielt die Kirche die Tageszeitung Deseret News <Deseret News Tageszeitung>, und in den frühen zwanziger Jahren gründete die Kirchenführung einen der ersten amerikanischen Radiosender, der später als Radio KSL <KSL Radiostation> in die Geschichte einging. Das SALT-LAKE-THEATER, das Schauspielhaus der Pionierzeit, war nach Ende der Krise wegen der Mehrehe an die Kirche zurückgegeben worden, wo dann nur kirchlich genehmigte Aufführungen stattfanden. Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise wurde das Theater aufgrund ungenügender Einnahmen und des in den Augen der Kirchenführung immer schlechter werdenden Niveaus geschlossen.

In Nachahmung des NAUVOO-HAUSES <Nauvoo-Haus> wurde in Salt Lake City das Hotel Utah <Hotel Utah> errichtet, um den mormonenfeindlichen Hoteliers Touristen wegzuschnappen und das Image der Kirche buchstäblich aufzupolieren. Die Versicherungsgesellschaft Beneficial Life Insurance Company <Beneficial Life Versicherungsgesellschaft> bot ihren Kunden Versicherungen zu Tiefstpreisen an. Die Zuckerfabrik Utah Sugar Company (die später zur Utah-Idaho Sugar Company wurde) bot den örtlichen Landwirten einen Absatzmarkt für ihre wichtigsten Anbaufrüchte, während das Kaufhaus “Zion’s Cooperative Mercantile Institution” (ZCMI) <ZCMI> und die Bank “Zion’s Savings Bank & Trust” <Zion’s Savings & Trust Bank> die Öffentlichkeit mit konkurrenzfähigen Dienstleistungen auf dem Einzelhandels- und Banksektor versorgte. Diese altruistische Investitionsphilosophie fand auch auf breiterer Ebene Anwendung, da die Kirchenführer auch in den Vorständen zahlreicher anderer Unternehmen saßen, die für Utah von Bedeutung waren.

Diese Art der Investitionen sowie Lösungsansätze zu anderen gesellschaftlichen Problemen gingen auf den alten Pioniergeist mit seinen Idealen des Gemeinschaftssinns und der Förderung des Einzelnen zurück. Dies war aber nicht das einzige Überbleibsel der Vergangenheit. Die MEHREHE blieb nach wie vor ein Problem und erregte das Interesse der breiten amerikanischen Öffentlichkeit an der Kirche, besonders während der Amtszeit der Präsidenten Snow und Smith. Auch wenn viele Mitglieder glaubten, daß die Mehrehe <Mehrehe> seit dem MANIFEST VON 1890 <Manifest> abgeschafft sei, so legten andere dies wiederum so aus, daß die Verpflichtung zur Mehrehe von der Kirche nun auf den einzelnen übertragen worden sei. Daher wurden auch von 1890 bis 1904 immer wieder Mehrehen geschlossen, wenn auch nur in verschwindend kleiner Zahl. Außerdem gab es immer noch Männer, die zwar nicht mehr mit ihren Frauen unter einem gemeinsamen Dach lebten, die sich aber dennoch sittlich und moralisch verpflichtet fühlten, ihre Familien zu versorgen und zu erhalten.

Diese Verwirrungen und Verwicklungen machten auch vor der Politik nicht halt. Im Jahr 1898 wurde Elder B. H. Roberts <Roberts, B.H.> vom Ersten Rat der Siebzig und Ehemann dreier Frauen, in das amerikanische Repräsentantenhaus gewählt. Der Verwaltungsverband der Stadt Salt Lake City und ähnliche Organisationen in ganz Amerika verwendeten die Wahl von Roberts dazu, darauf hinzuweisen, daß es in Utah noch immer die Mehrehe gab und beschuldigten die Kirche, sich nicht an die Abmachungen zu halten, durch die Utah seine Eigenstaatlichkeit erhalten hatte. Der Kongreß wurde mit sieben Millionen Unterschriften gegen Roberts überschwemmt, was dazu führte, daß ihm sein Sitz im Repräsentantenhaus aberkannt wurde.

Noch schlimmer war der Fall von Reed Smoot <Smoot, Reed>. Die Wahl von Smoot (einem nicht in Mehrehe lebenden Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel) in den amerikanischen Senat führte erneut zu einem amerikaweiten Aufruhr. Der Senatsausschuß für Wahlen begann im Jahr 1904, Anhörungen über Smoot durchzuführen (siehe SMOOT, ANHÖRUNGEN IM SENAT). Der Kongreß selbst befaßte sich aber mehr mit der Kirche. Herrschte in Utah tatsächlich eine klare Trennung zwischen Staat und Kirche? Übte die Kirche Kontrolle über das Verhalten ihrer Mitglieder aus? Förderte die Kirche die Mehrehe? Während der zweijährigen Untersuchungen machten sowohl Präsident Joseph F. Smith <Smith, Joseph F.> als auch andere Kirchenführer Aussagen vor dem Komitee. Andere, wie z.B. Matthias F. Cowley <Cowley, Matthias F.> und John W. Taylor <Taylor, John W.>, die man in Verdacht hatte, auch nach dem Manifest Mehrehen eingegangen zu sein, verweigerten die Aussage. Um diese Kontroversen zu einem Ende zu bringen und die Bereitschaft der Kirche unter Beweis zu stellen, das Problem der Mehrehe durch Kirchengerichtsbarkeit zu lösen, verfaßte Präsident Smith eine zweite Amtliche Erklärung, in der ab sofort verboten wurde, Mehrehen zu schließen. Cowley und Taylor mußten von ihrem Amt im Kollegium der Zwölf zurücktreten. Nach einer knappen Abstimmung im Jahr 1907 durfte Smoot seinen Sitz behalten.

Noch immer waren die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Mehrehe nicht gelöst, auch wenn Präsident Smith und Präsident Grant resolut durchgriffen. Gegen Elder Cowley und Elder Taylor wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, wobei Elder Cowley Gemeinschaftsentzug erhielt und Taylor aus der Kirche ausgeschlossen wurde, weil er vor kurzem wieder eine Mehrehe eingegangen war. Ihr Verhalten war typisch für das Verhalten einer immer größer werdenden Anzahl Heiliger der Letzten Tage des 20. Jahrhunderts. Als echte Fundamentalisten ließen sie sich lieber von der Kirche ausschließen als die Mehrehe oder andere Praktiken der Kirche aus dem 19. Jahrhundert aufzugeben. Im Gegensatz zu den meisten anderen Heiligen der Letzten Tage, die sich durch ihren Glauben an prophetische Offenbarung gestärkt fühlten und der neuen Zeit mit neuen Methoden begegneten, blickten die Fundamentalisten der neuen Zeit ins Auge, indem sie in die Vergangenheit zurückblickten.

Das Thema Mehrehe war auch nicht aus der öffentlichen Presse wegzuschaffen. In den ersten zehn Jahren nach der Jahrhundertwende (und sogar noch danach) wurde die Kirche von Skandalmachern und politischen Kontrahenten in Utah genauestens unter die Lupe genommen. Zeitungen, Zeitschriften und Kinos sowohl in den USA als auch in Europa berichteten ausschließlich sensationelle (und häufig frei erfundene) Skandalgeschichten über die Mehrehe, beschrieben die Kirchenführer als Autokraten und prangerten die Kirche als unamerikanisch und unchristlich an. Aufgewärmte Geschichten über angebliche Verbrechen der DANITER <Daniter> und die Blutsühne <Blutsühne> tauchten wieder auf, wobei die Schlammschlacht in Utah von den beiden US-Senatoren Frank J. Cannon <Cannon, Frank J., Senator> und Thomas Kearns <Kearns, Thomas, Senator> geführt wurde, die die Tageszeitung Salt Lake Tribune <Salt Lake Tribune Tageszeitung> dazu verwendeten, üble Angriffe gegen Smoot und die Kirche zu führen sowie die “Amerikanische Partei” zu unterstützen - eine kurzlebige mormonenfeindliche Partei, die von 1905 bis 1911 Salt Lake City regierte.

Die Kirche bemühte sich, sich gegen die geballten Angriffe zur Wehr zu setzen, auch wenn es sehr schwer war. Zu ihren ersten Bemühungen zählten die Einrichtung des “Saltair”-Tanzsaals und die Einführung von Besucherzentren auf dem TEMPELPLATZ von Salt Lake City. Durch die TABERNAKELORGEL und den Mormonen-Tabernakelchor <Mormonen-Tabernakelchor> gelang es, im Jahr 1905 200.000 Besucher nach Salt Lake City zu locken. Seither ist die Besucherzahl jährlich im Steigen begriffen. Wo möglich, nahm die Kirchenführung zu den Behauptungen der Skandalmacher Stellung. Während der Generalkonferenz im Jahr 1911 wurde eine Entkräftung Punkt für Punkt vorgelesen. Die vielleicht beste und wirkungsvollste Erwiderung stammte von B. H. Roberts <Roberts, B.H.>. Zwischen 1909 und 1915 gab er in der Zeitschrift Americana <Americana Zeitschrift> eine ganze Artikelserie über die Kirchengeschichte heraus, die später als sechsbändige objektiv gehaltene “Comprehensive History of the Church” erschien.

Nun begannen immer mehr Menschen außerhalb der Kirche die Heiligen der Letzten Tage zu verteidigen. Im Jahr 1900 bezeichnete C. C. Goodwin <Goodwin, C.C., Zeitungsherausgeber>, der ehemalige Herausgeber der mormonenfeindlichen Tageszeitung Salt Lake Tribune und langjähriger Kritiker der Kirche, die Mormonen als erfolgreiche, wohlhabende und im allgemeinen nette Leute. Der damals führende Soziologe Richard T. Ely <Ely,Richrad T., Soziologe> pries das Gemeinschaftsverhalten der Mormonen. Morris R. Werner <Werner, Morris B., Biograph> gab eine Biographie von Brigham YOUNG <Young, Brigham> heraus, in der die bisher üblichen Gemeinheiten und Stereotype fehlten. Diesen bahnbrechenden Ereignissen folgten noch andere. In den späten zwanziger Jahren meinte Präsident Grant einmal, daß die Kirche wohl mit fast allem in die Medien kommen könne. Und richtig - die Zeitschrift Time Magazine <Time Magazine Zeitschrift> widmete ihm eine Titelgeschichte, während die Filmstudios in Hollywood hochwertige Filme wie Union Pacific <Uniuon Pacific, Film> und Brigham Young <Brigham Young Film> drehten.

Die Änderung der öffentlichen Meinung zugunsten der Kirche war aber auch eine Folge der Integration der Mitglieder in die amerikanische Gesellschaft. Die Heiligen der Letzten Tage des 19. Jahrhunderts hatten ihre landwirtschaftlichen Siedlungen im ganzen Westen entlang der Rocky Mountains bis hinauf nach Kanada und hinunter nach Mexiko (siehe KOLONISIERUNG) ausgedehnt, die aber im wesentlichen geschlossene, provinzielle Enklaven waren. Im Gegensatz dazu verkehrten die Mitglieder der Kirche des 20. Jahrhunderts nun mit ihren Nachbarn in städtischen Wohngebieten. Während der zwanziger Jahre ging der Prozentsatz der Heiligen der Letzten Tage in den Regionen entlang der Rocky Mountains zurück, während die Mormonen an der Westküste zahlenmäßig zunahmen. Im Jahr 1923 wurde in Los Angeles der erste moderne Pfahl außerhalb des traditionellen Siedlungsgebietes der Mormonen gegründet. Zwischen 1919 und 1927 stieg die Zahl der Heiligen der Letzten Tage in Kalifornien von 2000 auf über 20.000 an. Die Zerstreuung der Kirche des 20. Jahrhunderts hatte begonnen - zuerst mit der Umsiedlung vieler Mitglieder an die Westküste und dann mit dem Strom in den Osten und mittleren Westen.

Der unmittelbare Kontakt mit den Nachbarn baute kulturelle, religiöse und sogar psychologische Schranken ab, wobei sowohl Mormonen als auch Nichtmormonen einander schätzen lernten. Die wachsende Anzahl erfolgreicher Amerikaner, die der Kirche angehörten oder aus Utah stammten, beschleunigte dies ebenfalls. Maud Adams <Adams, Maud, Schauspielerin> wurde für ihre Darstellung der amerikanischen Märchenfigur Peter Pan auf der Bühne gefeiert, Philo T. Farnsworths <Farnsworth, Philo T., Wissenschaftler> Arbeiten führten zur Erfindung des Fernsehens, Cyrus Dallin <Dallin, Cyrus, Künstler> und Mahonri Young <Young, Mahonri, Künstler> wurden bekannte Künstler.

Die Heiligen der Letzten Tage fühlten sich aber besonders zu öffentlichen Ämtern hingezogen. Edgar B. Brossard <Brossard, Edgar B.> wurde Mitglied und später Vorsitzender der amerikanischen Zollkommission. J. Reuben Clark jun. <Clark, J. Reuben jun., Botschafter in Mexiko> arbeitete sich bis in höhere Etagen des amerikanischen Außenministeriums hinauf und beschloß seine Laufbahn als amerikanischer Botschafter in Mexiko. Während der Zeit des New Deal (= Wirtschafts- und Sozialpolitik unter Präsident F. D. Roosevelt) war Marriner S. Eccles <Eccles, Marriner S.> Vorsitzender des “Federal Reserve System”. James H. Moyle <Moyle, James H.> war von 1917 bis 1921 stellvertretender Schatzamtsminister, William Spry <Spry, William> von 1921 bis 1929 Komissar der Landbehörde, Heber M. Wells <Wells, Heber M.> Finanzsekretär der Transportbehörde. Richard W. Young <Young, Richard W.> wurde US-Kommissar auf den Philippinen und kehrte aus dem 1. Weltkrieg als erster Armeegeneral Utahs zurück. Für die Mitglieder einer einst verfolgten religiösen Minderheit war jeder dieser persönlichen Erfolge ein Zeichen des wachsenden Ansehens und der Anerkennung der Kirche. Aus Außenseitern waren Zugehörige geworden.

Zwei Mitglieder der Kirche hatten besonderen Einfluß auf das neue Image der Kirche: Reed Smoot <Smoot, Reed> und Heber J. Grant <Grant, Heber J.>. Reed Smoot war reserviert, aber ehrlich und fast unermüdlich bei der Erfüllung seiner Aufgaben für die Regierung und die Kirche. Smoot war dreißig Jahre lang Mitglied des US-Senats. Als Vorsitzender des mächtigen Finanzkomitees des Senats hatte er wesentlichen Einfluß auf die amerikanische Wirtschaftspolitik. Mehr als irgendein anderer Heiliger der Letzten Tage in der Politik verkörperte er die Kirche und beschwichtigte durch seine Persönlichkeit und sein Auftreten Zweifel an ihrem Patriotismus und ihrer moralischen Integrität.

Der zweite war Heber J. Grant, der schon in jungen Jahren zum erfolgreichen Geschäftsmann geworden war und durch sein unkompliziertes Wesen und seinen Geschäftssinn jedes an Wirtschaftsfragen interessierte Publikum jeder Altersgruppe in seinen Bann ziehen konnte. Besonders Nichtmormonen fanden seine Vorträge unterhaltsam. Nach Ende seiner Rede vor dem San Francisco Commonwealth Club wurde er mit “Weiter, weiter!”-Rufen zur Fortsetzung aufgefordert. Seine Rede vor der 2. Konferenz für Landwirtschaft, Industrie und Wissenschaft in Dearborn erntete zweimal den tosenden Applaus der Chemurgiker. (Die Chemurgie ist die Gewinnung chemischer Produkte aus der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung.) Doch seine Mission der Öffentlichkeitsarbeit erschöpfte sich nicht im Halten von Vorträgen. Er förderte Tourneen des Tabernakelchors. Er persönlich führte amerikaweit bekannte Wirtschaftskapitäne und Politiker durch Salt Lake City und pflegte Freundschaft mit ihnen. Er besuchte die amerikanischen Präsidenten Warren G. Harding <Harding, Warren G., US-Präsident>, Calvin Coolidge <Coolidge, Calvin, US-Präsident> Herbert Hoover <Hoover, Herbert, US-Präsident> und Franklin D. Roosevelt <Roosevelt, Franklin D., US-Präsident> im Weißen Haus. Präsident Grant war nicht nur innerhalb der Kirche eine Respektsperson, sondern wurde auch von Nichtmormonen gemocht und idealisiert.

Das starke Wachstum der Kirche in jenen Tagen war Ausdruck ihres positiven Bildes in der Öffentlichkeit. Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdreifachte sich die Mitgliederzahl von 268.331 auf 979.454. Vor 1898 hatte es 37 Pfähle gegeben (von denen 16 aufgelöst wurden), aber bis 1945 wurden 116 neue Pfähle gegründet. Die Zahl der Missionare der Kirche nahm zu, da nun jüngere, unverheiratete Männer auf Mission gehen wollten; nach 1898 gingen auch immer mehr Frauen auf Mission. Um die Jahrhundertwende wurden nicht einmal 900 Missionare pro Jahr berufen; im Jahr 1940 waren es 2117.

Die Missionsarbeit stellte einen wichtigen Schwerpunkt der Arbeit der Kirche dar. Das ehrgeizigste Projekt war die Eröffnung der Japan-Mission im Jahr 1901 durch den damaligen Apostel Heber J. Grant. Drei Jahre später wurde die Mexiko-Mission neu gegründet. In den zwanziger Jahren kamen über 11.000 Neubekehrte aus deutschsprachigen Ländern dazu. Die meisten Bekehrten stammten aber nach wie vor aus englischsprachigen Gebieten wie Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten, wobei die Südstaaten-Mission die größten Erfolge zu verbuchen hatte. Leider wurden die Missionare auch dort mißhandelt. Zu Beginn des Jahrhunderts wurden jährlich 3786 Personen getauft; ein halbes Jahrhundert später waren es 7877.

Die Kirche trachtete jetzt danach, die Missionsarbeit noch erfolgreicher zu machen. Anstatt Missionare ohne “Beutel und Tasche” auszusenden, wurden die meisten nun von ihrer Familie oder Gemeinde finanziell unterstützt. Kirchenschulen boten Missionsvorbereitungsunterricht an, und Mitte der zwanziger Jahre wurde in Salt Lake City ein “Missionsheim” für Schwestern und Älteste gegründet, wo die neu berufenen Missionare zwei Wochen lang über Ernährung, Hygiene, gute Umgangsformen, Belehrungsmethoden und Kirchenlehre unterwiesen wurden. Damals entstanden auch viele neue Broschüren. Charles W. Penrose <Penrose, Charles W. verfaßt Rays of Living Light> verfaßte die Artikelserie Rays of Living Light, James E. Talmage <Talmage, James E. schreibt Der Abfall vom Glauben> schrieb Der Abfall vom Glauben und Ben E. Rich<Rich, Ben E. verfaßt A Friendly Discussion> verfaßte A Friendly Discussion. Um ihre Geschichte zu bewahren und sie auch erzählen zu können, erwarb die Kirche zahlreiche historische Stätten aus der Zeit ihrer Anfänge (siehe HISTORISCHE SEHENSWÜRDIGKEITEN): das CARTHAGE-GEFÄNGNIS in Illinois (1903), wo Joseph Smith und sein Bruder Hyrum ermordet worden waren, einen Teil des Tempelgrundstücks in Independence, Missouri (1904), Joseph Smiths Geburtsstätte in Sharon, Vermont (1905–1907) und die Heimstätte der Familie Smith in Manchester, New York (1907). Die historischen Stätten wurden im Laufe der Zeit alle mit Besucherzentren versehen.

Diese Epoche war - abgesehen vom Wachstum der Kirche - besonders von innerer Konsolidierung geprägt. Lorenzo Snows Amtsantritt war kennzeichnend dafür. Zum ersten Mal wurde die “Beförderung” des dienstältesten Apostels zum Präsidenten der Kirche innerhalb von Tagen anstatt nach einem Interregnum von bis zu drei Jahren vollzogen, wie dies in der Vergangenheit der Fall gewesen war. Präsident Snow erkannte den Aufwand, dessen die Führung einer modernen Kirche bedurfte und ersuchte die Generalautoritäten, sich ihrem Amt nunmehr vollzeitig zu widmen. Ab 1941 ging es nicht mehr allein um wirkungsvolles Führen, sondern um Expansion. “Das schnelle Wachstum der Kirche in den letzten Jahren, die ständige Gründung neuer Gemeinden und Pfähle ... und die Dringlichkeit der Gründung neuer, leistungsfähiger Missionen haben zum Aufbau eines apostolischen Dienstes erhabenster Größe geführt”, schrieb die Erste Präsidentschaft im Jahr 1941. (CR, April 1941, S. 94,95.) Als Reaktion auf diese neuen Umstände wurden fünf Männer als Assistenten der Zwölf Apostel berufen. Im Gegensatz zu den nur auf kürzere Zeit berufenen Laienbeamten, die die meisten Ämter der Kirche innehatten, gab es nun ca. 30 Generalautoritäten der Kirche, die für ihre Dienste bezahlt und auf Lebenszeit berufen wurden.

Auch die Führung im Priestertum wurde geändert. Während der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurde immer mehr dezentralisiert, wobei die örtlichen Führer auf Gemeinde- und Pfahlebene größere Vollmacht erhielten. Die Pfähle wurden verkleinert, um sie leichter verwaltbar zu machen, und die Heimlehrarbeit wurde zu einem besonderen Schwerpunkt gemacht. Durch kleinere Heimlehrdistrikte und mehr Jungen und Männer schoß der Prozentsatz der monatlich besuchten Familien von 28% (1911) auf 70% (1921) hinauf. Eine grundlegende Abweichung von der alten Pionierphilosophie stellte die Anweisung der Kirchenführung an die Mitglieder dar, zivil- und strafrechtliche Auseinandersetzungen vor weltlichen Gerichten anstatt Kirchengerichten auszutragen. Früher waren die Kirchengerichte auch dazu dagewesen, soziale und finanzielle Probleme zu regeln. Nun befaßten sie sich ausschließlich mit Fragen der Kirchendisziplin.

Auch die Priestertumskollegien wurden gestärkt. Priestertumsversammlungen fanden nun wöchentlich statt, wobei die Qualität der Versammlungen durch die von der Kirche herausgegebenen Unterrichtsunterlagen erheblich verbessert wurde. Im Jahr 1906 stellte Präsident Joseph F. Smith <Smith, Joseph F.> das Schema für den Fortschritt der männlichen Jugend im Priestertum vor: Unter der Voraussetzung der persönlichen Würdigkeit wurde ein junger Mann im Alter von zwölf Jahren zum Amt eines Diakons berufen, mit fünfzehn zum Amt eines Lehrers und drei Jahre später zum Amt eines Priesters. Würdige erwachsene Männer wurden meistens zum Amt eines Ältesten oder Hohen Priesters ordiniert, was der Praxis des neunzehnten Jahrhunderts ein Ende bereitete, bei der erwachsene Männer in erster Linie zu Siebzigern ordiniert wurden. Im Jahr 1910 wurden der Wirkungskreis der Hohenpriester- und Siebzigerkollegien auf ihre eigenen Pfähle beschränkt, wodurch sie leichter von örtlichen Führern geleitet werden konnten.

Die Tendenz zu größerer Konsolidierung machte auch vor den Hilfsorganisationen der Kirche nicht halt. Die früher zwanglos existierenden verschiedenen örtlich organisierten Jugendprogramme machten immer mehr zentral gesteuerten Altersgruppenprogrammen und einheitlichen Lehrplänen Platz. Die Primarvereinigung mußte sich nun nicht mehr um jüngere Jugendliche kümmern, weil die Gemeinschaftliche Fortbildungsvereinigung junger Männer und ihr weibliches Gegenstück, die Gemeinschaftliche Fortbildungsvereinigung junger Damen, sich nun auch schon mit den zwölfjährigen Jugendlichen befaßte. Zu Anfang wurden für die jüngeren GFV-Mitglieder auch die Programme der amerikanischen Pfadfinder verwendet, aber schon bald brachte die Kirche ihr eigenes Unterrichtsmaterial heraus, wobei immer größerer Wert auf Aktivitäten gelegt wurde. Da die Sonntagsschule und die Priestertumskollegien nun Religionsunterricht anboten, konnte sich die GFV mehr auf Tanzen, Laienspiel, Musik und Sport konzentrieren. Die Kirche gab für jede Hilfsorganisation eine eigene Zeitschrift heraus: Für die Primarvereinigung gab es die Kinderzeitschrift Children’s Friend <Children’ Friend Kinderzeitschrift> (1902), für die Sonntagsschule den Juvenile Instructor <Juvenile Instructor, Zeitschrift für Jugendliche> (1900; 1929 in Instructor umbenannt), für die GFVJM gab es ab 1897 den Improvement Era <Improvement Era, Zeitschrift für junge Männer> und für die GFVJD ab 1898 das Young Woman’s Journal <Young Woman’s Journal, Zeitschrift für junge Damen>. Ab 1929 wurden die beiden Zeitschriften zusammengelegt und nun lasen beide Hilfsorganisationen den Improvement Era. Artikel, Lehrpläne und Programme wurden regelmäßig überprüft und korreliert. So gab es beispielsweise das Korrelationskomitee der Kirche und den sogenannten “Beratungsausschuß für gesellschaftliche Belange”, die im Jahr 1921 gemeinsam einen wichtigen Bericht vorlegten.

Auch die Frauenhilfsvereinigung blieb vom Geist der Zeit nicht verschont. Ihre drei ersten Präsidentinnen dieses Jahrhunderts, Zina D. H. YOUNG <Young, Zina D.H.> (1888–1901), Bathsheba B. SMITH <Smith, Bathsheba B.> (1901–1910) und Emmeline B. WELLS <Wells, Emmeline B.> (1910–1921) konnten sich noch an die Gründung der FHV in Nauvoo erinnern. In ihren Augen sollten die FHV-Versammlungen spontan, voll lebhafter Geistigkeit und örtlich geplant sein. Das neue Jahrhundert führte jedoch zu einer Umgestaltung ihrer Visionen. Im Jahr 1901 waren nur einige wenige Lehrunterlagen für die FHV-Klassen vorhanden. Zwölf Jahre später führte die FHV-Leitung auf Empfehlung des Korrelationskomitees der Kirche einen einheitlichen, vorgeschriebenen Lehrplan ein. Es wurden auch ein einheitlicher Versammlungstag (Dienstag), Berichtsformulare sowie monatliche Botschaften für die Besuchslehrerinnen eingeführt. Im Jahr 1915 wurde die halb-unabhängige Frauenzeitschrift Woman’s Exponent <Woman’s Exponent, Frauenzeitschrift>, die seit 1872 Organ der FHV gewesen war, durch die offizielle Zeitschrift Relief Society Magazine <Relief Society Magazine, Zeitschrift der FHV> ersetzt. Einige Zeit lang gestattete die Erste Präsidentschaft noch Krankenheilungen durch das Gebet der Frauen, die oft spontan während der Versammlungen durchgeführt wurden; gegen Mitte des Jahrhunderts wurde dies aber generell abgeschafft. Ein anderes wichtiges Merkmal der Zentralisierung durch das Priestertum war der Umzug der FHV in das Büro der Präsidierenden Bischofschaft, wodurch die FHV ihre Anweisungen mehr und mehr von der Präsidierenden Bischofschaft anstatt von der Ersten Präsidentschaft empfing. Während die FHV in der Vergangenheit direkt an der Gestaltung und Verwaltung der Primarvereinigung und der GFVJD mitgewirkt hatte, wurde ihrem Einfluß auf die Programme für die Kinder und Jugendlichen nun ein Ende gesetzt.

Die späteren Präsidentinnen der Frauenhilfsvereinigung, Clarissa S. WILLIAMS <Williams, Clarissa S.> (1921–1928), Louise Y. ROBISON <Robison, Louise Y.> (1928–1939) und Amy Brown LYMAN <Lyman, Amy Brown> (1940–1945), machten diese Änderungen mit. Sie vertraten moderne Ansichten, befürworteten effizientes Arbeiten und gaben gemeinsam mit ihren Beratungsausschüssen Einrichtungen der Vergangenheit (wie die HEIMARBEIT und die SEIDENINDUSTRIE) auf, ebenso den Kommissionsverkauf der in Heimarbeit erzeugten Produkte. Gefördert wurden Arbeit im Gemeinwesen, Ausbildung in der Sozialarbeit, Kampagnen gegen Alkohol, Tabak und Kriminalität, sowie während der Weltwirtschaftskrise die Unterstützung Bedürftiger. Letzteres war besonders wichtig. “Je mehr die FHV in den Gemeinden mit den Priestertumskollegien und Bischofschaften zusammenarbeitet, desto eher gibt es in den einzelnen Gemeinden ein gesichertes Wohlfahrtsprogramm”, schrieb Elder Harold B. Lee <Lee, Harold B.>, der damals für die kirchenweite Unterstützung der Bedürftigen zuständig war. (Relief Society Magazine, Nr. 24, März 1937, S. 143.) All dies war eine Widerspiegelung des Ideals der weiblichen Heiligen der Letzten Tage des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Die Aufgabe der damaligen Frau bestand darin, andere aufzurichten, zu besänftigen und zu helfen. Auch wenn die Führungsbeamtinnen der Kirche im amerikanischen und internationalen Frauenrat eine wichtige Rolle spielten, so war die durchschnittliche Frau in der Kirche auf politischem, sozialem und beruflichem Gebiet nicht einmal annähernd so aktiv wie bei ihrer Tätigkeit als Hausfrau.

Es wurden auch verschiedene Fragen in bezug auf die Lehre der Kirche geklärt - auch dies ist ein Beispiel für die damalige Systematisierung der Kirche. Seit den frühen Amtsjahren von Präsident Snow debattierte die Kirchenführung darüber, wie streng das 1833 als Offenbarung erhaltene Wort der Weisheit einzuhalten sei. Im Jahr 1921 wurde die Frage dahingehend geklärt, daß das Sich-Enthalten von Alkohol, Tabak, Tee und Kaffee eine Bedingung für die Gewährung eines Tempelscheins sei. In den ersten drei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts unterstützten die meisten Heiligen der Letzten Tage das amerikanische Alkoholverbot zur Zeit der Prohibition.

Im Jahr 1909 gab die Erste Präsidentschaft eine Erklärung heraus, die den Standpunkt der Kirche zum Thema Evolution klarstellen sollte. Der Schöpfungsvorgang selbst wurde nicht angesprochen, aber die Erklärung besagte, daß “Adam der erste Mensch war und als Abbild Gottes erschaffen worden sei.” Dies änderte aber an der gesamten Problematik nur wenig. In Verbindung mit der Frage nach höherer Bibelkritik führte sie 1911 zum Rücktritt dreier Professoren der Brigham Young Universität und zwei Jahrzehnte später zu intensiven privaten Diskussionen unter der Kirchenführung.

Im Jahr 1916 gab die Erste Präsidentschaft und das Kollegium der Zwölf eine zweite Erklärung heraus, die “Der Vater und der Sohn” hieß. Als offensichtliche Reaktion auf mormonenfeindliche Schriften, in denen der Kirchenführung vorgeworfen worden war, Adam zu einem Gott erhoben zu haben, erläuterte die Erklärung die Rollen der beiden ersten Mitglieder der Gottheit. Kurz vor seinem Tod hatte Joseph F. Smith eine Vision über die Missionsarbeit und das Dasein der Geister im Leben nach dem Tode empfangen, die zum Abschnitt 138 des Buches “Lehre und Bündnisse” wurde. Abgesehen von Aussagen zu konkreten Anlässen wurde die Geschichte und Lehre der Kirche zum ersten Mal wirklich systematisch behandelt, z.B. durch Präsident Smiths Buch Evangeliumslehre <Evangeliumslehre vonJoseph F. Smith>, Elder James Talmages Bücher Die Glaubensartikel <Die Glaubensartikel von James E. Talmage> und Jesus der Christus <Jesus der Christus von James E. Talmage> sowie Elder B. H. Roberts’ dreibändiges Werk New Witnesses for God <New Witnesses for God von B.H. Roberts>.

Da der Großteil der Kirchenmitglieder damals noch Amerikaner waren, mußte sich die Kirche hauptsächlich mit den Geschehnissen in den USA auseinandersetzen. Präsident Grants Amtszeit war von Anfang an mit schweren finanziellen Schwierigkeiten belastet. In den zwanziger und besonders in den dreißiger Jahren (während der Weltwirtschaftskrise) gingen die Landwirtschaft und der Bergbau, zwei der wichtigsten Industriezweige Utahs, stark zurück. Präsident Grant ging mit den Kirchengeldern ganz besonders sparsam um, indem er Ausgaben kürzte und Bauprojekte einstellte. Mit Hilfe seiner Verbindungen zu amerikanischen Geschäftsleuten und Politikern gelang es ihm, die wichtigsten Unternehmen in Utah sowie die Kirche finanziell über Wasser zu halten. Er machte sich auch um das einzelne Mitglied Sorgen. Nach reiflicher Überlegung gab er 1936 die Gründung des Wohlfahrtsprogrammes der Kirche bekannt, das den Bedürftigen durch die Beschaffung von Arbeit und den Gütern des täglichen Bedarfs zu mehr Unabhängigkeit verhelfen sollte.

Trotz harter Zeiten gelang es der Kirche, ihren wichtigsten Aufgaben nachzukommen. Gerade noch vor dem Beginn der Wirtschaftskrise wurde ein imposantes fünfstöckiges Verwaltungsgebäude in Salt Lake City fertiggestellt. Die Tempel auf Hawaii <Hawaii-Tempel> (1919), in Cardston, Kanada <Cardston-Tempel> (1923) und in Mesa, Arizona <Mesa-Tempel>, (1927) wurden fertiggebaut. Auch die Bildung kam nicht zu kurz. Zwischen 1875 und 1911 baute die Kirche 34 Akademien. Im Laufe der Jahre verkaufte die Kirche (aufgrund finanzieller Engpässe und der immer beliebter werdenden öffentlichen Schulen) eine Schule nach der anderen oder überließ sie der öffentlichen Hand. Ganz gab die Kirche ihren Einfluß auf das Bildungswesen aber nicht auf. Im Jahr 1912 wurde das Seminarprogramm für Oberschüler eingeführt, und in den zwanziger Jahren das Institutsprogramm für College-Studenten (zu allererst an der University of Idaho).

Die Kriege des 20. Jahrhunderts zeigten, wie weit sich die Kirche von ihrer Isolation und Entfremdung des neunzehnten Jahrhunderts entfernt hatte. Die Heiligen der Letzten Tage nahmen nun am Spanisch-Amerikanischen Krieg sowie an den beiden Weltkriegen teil. Während des Spanisch-Amerikanischen Krieges gab die Erste Präsidentschaft eine Erklärung heraus, in der die Vaterlandstreue der Heiligen der Letzten Tage betont wurde, und man telegraphierte den örtlichen Führern der Kirche, die Meldung Freiwilliger zu fördern. Utah war einer der

wenigen Bundesstaaten, die ihre Quote erfüllten. Der Erste Weltkrieg brachte sogar noch bessere Statistiken. Zuerst war sich die Kirche ihrer Rolle noch nicht ganz sicher, aber dann trug sie dazu bei, die von den einzelnen Bundesstaaten (und natürlich auch von Utah) verlangten finanziellen Leistungen an die Kriegskasse sogar noch zu überbieten. Im September 1918 waren 18.000 Männer aus Utah bewaffnet - die Hälfte davon Freiwillige. Am Zweiten Weltkrieg nahm man in Utah schon etwas widerwilliger teil. Dies mag an privaten Befürchtungen Präsident Grants und seines Ratgebers J. Reuben Clark <Clark, J. Reuben jun.> an der New-Deal-Politik gelegen sein. Dennoch waren im April 1942 sechs Prozent der gesamten Mitglieder der Kirche im Militär oder in der Rüstungsindustrie tätig, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada, Großbritannien und Deutschland.

In jedem Krieg gab es gelegentliche pazifistische Rufe, ja, sogar Widerstand, aber im allgemeinen unterstützten die Mitglieder der Kirche ihre verfassungsmäßigen Regierungen. “Die Kirche ist und muß gegen Krieg sein”, schrieb die Erste Präsidentschaft im April 1942. Aber “wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz ... die Männer der Kirche zum Dienst mit der Waffe für ihr Land ruft, dem sie zur Treue verpflichtet sind, besteht ihre höchste Bürgerpflicht darin, diesem Ruf zu folgen.” (CR, S. 88–97.)

Auch wenn es schwer ist, Religiosität zu dokumentieren, so geben manche Statistiken doch Aufschluß über den Einfluß der Kirche auf das Alltagsleben ihrer Mitglieder. Die Teilnahme an Versammlungen nahm zur damaligen Zeit stark zu. Im Jahr 1920 betrug die Teilnahme an der wöchentlichen Abendmahlsversammlung 16 Prozent, 1930 waren es schon 19 Prozent. Im Jahr 1940 nahmen 23 Prozent teil, 1950 waren es 25 Prozent. Infolge des Wertes, den die Kirche auf die Familie legte, überstiegen die Geburtenzahlen der Heiligen der Letzten Tage den amerikanischen Durchschnitt, ebenso die Zahl der Eheschließungen. Es besteht wohl kein Zweifel daran, daß die Gesundheitsregeln der Kirche dazu beitrugen, daß die Heiligen der Letzten Tage erheblich gesünder waren als der amerikanische Durchschnittsbürger.

Eine genauere Untersuchung der Statistiken offenbart außerdem, daß in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Zahl der Kinder in HLT-Familien zurückging, das Alter zum Zeitpunkt der Eheschließung hinaufrückte und die Scheidungsrate meistens dem amerikanischen Durchschnitt glich. Sie hinkte zwar ein bißchen nach, bewegte sich im allgemeinen aber in dieselbe Richtung, so als hätte sich die Anpassung einfach noch nicht vollständig vollzogen.

Die Mitte des Jahrhunderts brachte die soziale, kulturelle und politische Integration mit sich, ebenso ein noch größeres Wachstum, organisatorische Straffung sowie Programme, die die Ideale der Kirche neu definierten und sie anders in die Praxis umsetzten. Jene Zeit zeigte aber auch, daß die Mitglieder der Kirche gegen breite Strömungen wie die zunehmende Verweltlichung und sogar gegen Materialismus nicht immun waren. Den Beobachtern stellte sich zur Mitte des Jahrhunderts die Frage: Würde es der Kirche gelingen, ihre traditionellen Werte und ihre Kraft zu bewahren? Oder würde die Reise in die moderne Welt die Kirche ihrer Identität und Mission berauben?

BIBLIOGRAPHIE

Einen allgemeinen Überblick über diese Periode bieten:

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Roberts, B. H. A Comprehensive History of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints. Salt Lake City, 1930.

Weitere Information über Programme, Richtlinien und Lehren der Kirche jener Zeit:

Alexander, Thomas G. “Between Revivalism and the Social Gospel: The Latter-day Saints Social Advisory Committee, 1916–1922.” BYU Studies 23, Winter 1983, S. 19–39.

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Hartley, William G. “The Priesthood Reform Movement, 1908–1922.” BYU Studies 13, Winter 1973, S. 137–156.

Hefner, Loretta L. “This Decade was Different: Relief Society’s Social Services Department, 1919–1929.” Dialogue 15, Herbst 1982, S. 64–73.

RONALD W. WALKER

RICHARD W. SADLER