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THEOLOGIE

Die traditionelle Aufgabe der Theologie (vom Griechischen theos, Gott, und logos, Lehre von) ist es, danach zu suchen, Gottes Realität zu verstehen, göttliche Dinge rational zu beschreiben und die gegenwärtige Bedeutung vergangener Kundgebungen Gottes zu durchdenken. Dies kann theoretisch, praktisch, deskriptiv oder kritisch erfolgen. Da die Schriften und spezifische Offenbarungen die Heiligen der Letzten Tage mit zuverlässigen Antworten auf viele der traditionellen Glaubensanliegen ausstatten, neigen die Mitglieder der Kirche dazu, für die theoretische, spekulative oder systematische Theologie nur wenig Energie aufzubringen. Für Heilige der Letzten Tage ist Glaube in Offenbarungen verankert, die durch die Geschichte gegeben worden sind (Siehe Geschichte, Bedeutung für Heilige der Letzten Tage)). Aus der Perspektive des wiederhergestellten Evangeliums muss alles, was über Göttliches bekannt werden kann, von Gott offenbart werden. Obwohl der Glaubensinhalt der Heiligen der Letzten Tage rational strukturiert, schlüssig und geordnet ist, ist er nicht das Ergebnis von Spekulation. Auch ist er nicht von Prämissen oder philosophischen oder wissenschaftlichen Untersuchungen über die Natur der Dinge abgeleitet. 

Das Wort „Theologie“ und vieles dessen, was es beschreibt, enstand mit Plato, Aristoteles und den Orphikern. Das Wort findet sich weder in der Bibel noch anderen HLT-Schriften. Origenes (185-254 n.Chr.) und Augustus (354-430 n.Chr.) entwickelten das, was typischerweise im Christentum als Theologie verstanden wird. Heilige der Letzten Tage haben in dem Sinn wenig Interesse an Theologie, als sie nicht versuchen, göttliche Dinge mit den ununterstützten  Ressourcen des menschlichen Verstandes zu erkennen. Selbst wenn man Theologie als im Wesentlichen deskriptiv oder apologetisch betrachtet, ist sie in der Gemeinschaft der Heiligen der Letzten Tage nicht vollkommen zu Hause.

 Heilige der Letzten Tage verfügen zwar über keine im traditionellen Sinne verstandene Theologie, aber stattdessen haben sie Texte, die göttliche Erscheinungen und besondere Offenbarungen enthalten sowie inspirierte Lehren. Darunter befinden sich mehrere Berichte darüber, wie Gott sein Bundesvolk errichtet, normalerweise verbunden mit Berichten über eine Dialektik bezüglich Gehorsam und Ungehorsam, die solchen Ereignissen folgten. Man kann behaupten, diese Berichte enthielten „Theologie“, jedoch nicht in dem Sinn, dass ihre Bedeutung durch menschlichen Scharfsinn anstatt das verkündete Wort und den Willen Gottes entdeckt worden ist.

Der Kern des Glaubens liegt nicht in einem Glaubensbekenntnis, sondern in dem persönlichen Zeugnis, dass Jesus von Nazareth der Christus ist (Siehe Religiöse Erfahrung; Zeugnis. Ereignisse wie die erste Vision des Propheten Joseph Smith und Glaube and den fortlaufenden Kontakt zwischen Gott und seinen Propheten verankern den Glauben der Heiligen der Letzten Tage. Dies erlaubt dem Glauben eine klare Idenfikation und die Anpassung an sich ändernde Umstände. Es lässt wenig Platz für systematische Abhandlungen, die dazu gedacht sind, das Verständnis der Gläubigen zu bestimmen, zu ordnen und niederzulassen. Es lässt jedoch Platz für den Verstand als Werkzeug, Zusammenhänge zu finden und Bedeutungen von Offenbarungen zu verstehen (Siehe Vernunft und Offenbarung).

Auch das Buch Mormon ist keine theologische Abhandlung. Stattdessen ist es eine lange und tragische Geschichte, die mit prophetischen Warnungen über das Verletzen der Bündnisse mit Gott gefüllt ist. In diesem heiligen Text bildet das Evangelium Jesu Christi – beginnend mit Glaube, Umkehr, Taufe und der Gabe des Heiligen Geistes – die Grundlage für den weiteren Glauben. Dem Plan Gottes entsprechend werden diejenigen, die sich aufrichtig fügen und bis zum Ende ausharren, am Ende im Reich Gottes errettet werden. Diese Punkte der Lehre sind sowohl Grundlage als auch Inhalt des HLT-Glaubens und werden als Wirklichkeit verstanden, nicht als Frage der Mutmaßung. Es ist ein Fehler, sie (oder etwas anderes, das auf ihnen „Zeile um Zeile“ durch zusätzliche göttliche Offenbarung aufbaut) als „Theologie“ in dem Sinne zu sehen, wie der Begriff allgemein unter Christen verstanden wird. Da die Texte, die das Evangelium oder die Lehre Jesu Christi darlegen, in Ereignisse verwurzelt sind, von denen Heilige der Letzten Tage glauben, dass sie tatsächlich geschahen, findet sowohl die  Erklärung als auch die Verteidigung des Glaubens in der auslegenden und historischen Arbeit statt.

Man kann von Heiligen der Letzten Tage kaum behaupten, sie hätten  viel von  einer dogamtischen Theologie, obwohl sie manchmal informell die christliche Neigung borgen, die Fülle ihres Glaubens und ihrer Lehre als „Theologie“ zu bezeichnen. Es scheints als hätten einige der frühen Führer mit konfessionellem Hintergrund das Bedürfnis gehabt, sich einer systematischen und verbindlichen Darstellung ihres Glaubens zu nähern. Was sie produzierten, wurde ursprünglich „Theological Lectures“ (theologische Vorträge) genannt (Siehe Abhandlungen über den Glauben). Sie scheinen nach den formellen Abhandlungen wie denen von Charles G. Finney (1792-1875) oder Alexander Campbell (1788-1866) gestaltet zu sein. Andere HLT-Schriftsteller haben die formale Methodik dieser sieben Vorträge weitgehend nicht angenommen.

Die frühen Heiligen der Letzten Tage hatten eine Vorliebe für das Wort „Theologie“ und es taucht in manchen ihrer Schriften auffällig oft auf. Ein wohlbekanntes Beispiel ist Parley P. Pratts A Key to the Science of Theology (Ein Schlüssel zur Theologiewissenschaft, 1855),  in der er Theologie definiert als „die Wissenschaft der Kommunikation oder Verbindung zwischen Gott, Engeln, Geistern und Menschen durch Visionen, Träume, Darstellungen, Konversationen, Inspirationen oder die Gabe der Prophezeiung und Offenbarung.“ Für Pratt umfasste Theologie alle Grundsätze und Mächte, aufgrund derer die Welten geordnet, getragen, geläutert und erlöst werden: „Es ist die Wissenschaft aller Wissenschaften und nützlichen Künste“ (S. 1f). Solche Bücher stillten den Bedarf nach einer scheinbar systematischen Erklärung über das, wovon man glaubte, es sei durch Joseph Smith offenbart worden und über Hinweise, wie man diese Offenbarungen „in den Pflichten des Lebens“ (AF, S. 5) anwenden könne. In einem gewissen Ausmaß nähern sich solche Werke systematischer Theologie an, nämlich indem sie sich damit befassen, Wahrheit zu erkennen, sowie ihre Struktur, Verbindung und Einheit. Diese Bände haben dogmatische Dimensionen bezüglich der Eigenschaften und der Rolle Gottes, seiner Regierung, der Schöpfung, Erlösung, Eschatologie und Ähnliches. Sie beschäftigten sich außerdem mit dem Hinterfragen moralischer Aspekte menschlichen Lebens, freien Handelns, Leidens, Unwissenheit und Sünde. Aber ihre Autoren nähern sich diesen Themen nicht, indem sie ihren Verstand ohne die Zuhilfe von Offenbarung benutzen. Trotzdem sehen Heilige der Letzten Tage sie nicht als offiziell verbindlich an.

Der Wunsch nach eindeutigen Antworten auf einen Schwarm irritierender und verunsicherter Fragen  ist in der heutigen Zeit durch Bücher wie Bruce R. McConkies Mormon Dorctrine erfüllt worden. Dieses Buch leitete sich nicht von einer philosophischen Kultur ab, so wie es ein Großteil der tradtionellen christlichen Theologie tat. Es ähnelt mehr einem Beispiel für etwas, was Menschen außerhalb des Mormonenkreises als dogmatisch bezeichnen würden, nicht  als formelle oder systematische Theologie. Solche Handbücher haben keine offizielle Stellung und repräsentieren die Meinungen ihrer Autoren. Unter einigen Mitgliedern der Kirche sind ihre Äußerungen jedoch popluär.

Sterling M. McMurrin stellte einige Lehren der Heiligen der Letzten Tage in einem scheinbar philosophischen Rahmen dar. Er versuchte zu zeigen, wie klassische Philosphie und christliche Theologie zu etwas angepasst werden können, was er als die den HLT-Lehren innewohnende Metaphysik definiert. Dennoch ignoriert er göttliche Offenbarung, nimmt den HLT-Ansatz bezüglich der Erkenntnistheorie nicht ernst und sucht stattdessen nach Zeichen für Naturalismus und Humanismus. Dementsprechend sind seine Ansichten den meisten Heiligen der Letzten Tage unverständlich, da er die Aufmerksamkeit von den historischen Angelenheiten und den ausschlaggebenden prophetischen Ansprüchen entfernt, auf denen der Glaube der Heiligen der Letzten Tage beruht.

Einige Historiker, die daran interessiert sind, zu zeigen, dass die mormonische Theologie in ihren ersten 150 Jahren eine radikale Rekonstruktion erfahren hat und dass sie sich von einer pessimistischen Orthodoxie zu einer optimistisch liberalen und wieder zurück zu einer pessimistischen Neo-Orthodoxie bewegt hat, haben sich Elemente von McMurrins Stellung zu Eigen gemacht. Solche ausdrücklich theologische Literatur scheint selektiv, wenn nicht sogar erfunden oder aufgezwungen, und sie hat geradezu keinen Einfluss auf das Leben Gläubiger. Stattdessen neigen die einflussreichen wissenschaftlichen Werke unter Heiligen der Letzten Tage dazu, entweder streng historisch zu sein oder aber auslegend. Trotzdem sind auch diese Werke nicht offiziell anerkannt.

BIBLIOGRAPHIE

Zu weiteren Informationen lies Louis Midgley, "Prophetic Messages or Dogmatic Theology?" Review of Books on the Book of Mormon 1 (1989):92-113. Zu einer HLT Perspektive über den Unterschied zwischen prophetischem und theologischem Zugang zum Glauben siehe Hugh W. Nibley, The World and the Prophets, in CWHN 3; auch M. Gerald Bradford, "On Doing Theology," BYU Studies 14 (Spring 1974):345-58. Zu einem Versuch HLT Vorstellungen an traditionelle theologische Terminiologie anzupassen und sie dann mit den Ansichten verschiedener Philosophen und Theologen zu vergleichen und sie ihnen gegenüberzustellen siehe  Sterling M. McMurrin, The Theological Foundations of the Mormon Religion (Salt Lake City, 1965). Richard L. Bushman bespricht, warum aus historischen Gründen und Tendenzen frühe Heilige der Letzten Tage systematische Auseinadersetzungen und eine formale Theologie vermeiden in Joseph Smith and the Beginnings of Mormonism (Urbana, Ill., 1984). Yves Congar präsentiert eine gute, kurze Einführung zur Theologie in "Christian Theology," in Encyclopedia of Religion, Vol. 14, pp. 455-64 (New York, 1987). Zu einer detaillierteren Besprechung siehe Brian Hebblethwaite, The Problems of Theology (Cambridge, 1980); Theodore W. Jennings, Jr., Introduction to Theology (Philadelphia, 1976); and Wolfhart Pannenberg, Theology and the Philosophy of Science (Philadelphia, 1976).

LOUIS C. MIDGLEY