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THEODIZEE

Theodizee ist der Versuch, Gottes Güte und Macht zu erklären und sie mit dem offenkundigen Schlechten in der erschaffenen Welt unter einen Hut zu bringen. Da die meisten westlichen Theologen und religiösen Philosophen sowohl Gottes bedingungslose Macht als auch seine absolute Güte als gegeben annehmen, werden die Existenz und Fortdauer des Bösen oft als unerklärlich angesehen. In den jüngsten Jahrhunderten haben die Abwesenheit einer überzeugenden Theodizee und die häufigen theologischen Ausflüchte zum Geheimnis als Erklärung viele Menschen zum Atheismus geführt. 

Die HLT-Schriften haben bestimmte Dimensionen dieses Problems und seine Lösung neu geformt.

SELBST-EXISTENZ UND ALLMACHT. Traditionell wird die Bestätigung Gottes souveräner Macht philophisch gesehen mit dem Konzept der „Allmacht“ ausgedrückt. Diese bedeutet, dass Gott absolut alles tun kann oder zumindest alles „logisch mögliche“ tun kann. Dies begleitet oft die Lehre, dass alles ex nihilo (aus dem Nichts) von Gott erschaffen worden ist. Die Schlussfolgerung ist also: Alle Formen des Schlechten, sogar „dämonische Ausmaße“, müssen direkt oder indirekt von Gott geschaffen sein.

In HLT-Quellen ist Gott nicht nur selbstexistierende Wirklichkeit. Die Schöpfung berichtet und andere Texte lehren, dass Gott nicht ein ermächtigender Schöpfer ist, sondern ein Organisierer und Lebensgeber und dass die „reinen Prinzipen der Elemente“ weder erschaffen noch zerstört werden können (LuB 93; TPJS, S. 351) und dass die Untermauerung des ewigen Gesetzes, mit bestimmten „Grenzen und Bedingungen“ mit ihm koexistieren (vgl. LuB 88:34-45). „Allmacht“ bedeutet dementsprechend, dass Gott alle Macht hat, die man in einem Universum – einem Puriversum – mit diesen Gegenbenheiten haben kann. Er hat das Böse nicht erschaffen.

SCHEIN UND WIRKLICHKEIT. Oft wird Allmacht so verstanden, als bedeute sie, Gott sei fähig, jede geringere Macht, die seinen eigenen souveränen Willen stört, außer Kraft zu setzen oder zu überwinden. Diese Ansicht lässt immer noch Gott als den Verantwortlichen für alles, gerade so, wie es passiert. Sie schließt daraus, dass wenn Gott wirklich gut ist, dementsprechend alles, was passiert, auch gut ist, egal, wie es erscheint und egal wie schrecklich das „Gute“ für die Menschen sein mag. Das „Schlechte“ wird als sich entziehend angenommen (eine Abwesenheit), nur im menschlichen Verstand vorhanden oder als eine Frage der Perspektive. Die Schlussfolgerung besagt, dies sei die beste aller möglichen Welten. Aber dann kommt das Problem von Neuem auf. Denn warum benutzt Gott nicht seine Macht, um die Schmerzen zu nehmen, die durch sterbliches Missvertändnis aufkommen?

Die HLT-Schriften lehren unmissverständlich, dass Sünde und Sündhaftigkeit, Unwissenheit, Fehlbildungen, Krankheiten und Tod real sind. Da sie und ihre Auswirkungen weiterhin zunehmen und vorherrschen, ist dies sogar aus der Perspektive Gottes eine unvollkommene Welt. Ein anderes Gefilde ist denkbar, in dem diese Übel im individuellen und gemeinschaftlichen Leben überwunden sind.

UNBERÜHRTE FREIHEIT. Ein traditioneller Gedanke nimmt an, dass Gott seine eigene Macht auf das übergeordnete Wohl beschränkt. Gewöhnlicherweise wird diese Ansicht mit dem Beharren auf die Wichtigkeit menschlicher Freiheit in Verbindung gebracht. Es wird argumentiert, Charakter und Persönlichkeit könnten sich nur entwickeln, wenn Menschen wirklich frei sind. Ebenso muss Gottes Liebe, wenn sie authentisch ist, freiwillig sein. Dieses Gute übertreffe das Böse, welches durch freie Akteure in die Welt komme, auch wenn die Kosequenzen furchtbar zerstörend sind. Mormonische Auffassungen stimmen damit überein. Die Schöpfung ist tatsächlich ein „Tal des Seele formens“. Gegensätzliche Erfahrungen sind für Wissen und Wachstum unverzichtbar (2 Ne 2; LuB 122). Die Selbstbegrenzung Gottes ist für das Erreichen seines Zweckes wesentlich. Darüber hinaus will Gott nicht nur, sondern kann auch nicht, Menschen dazu zwingen, das Leben über den Tod zu wählen. „Alle [Intelligenz] ist unabhängig in dem Bereich, worein Gott sie gestellt hat, und kann für sich selbst handeln....Siehe, hier ist die Selbständigkeit des Menschen, und hier ist die Schuldigsprechung des Menschen“ (LuB 93:30-31). Gott kann aus Erfahrungen mit Schlechtem zu dem Grad etwas Gutes hervorbringen, dass seine Geschöpfe ihren Willen mit dem seinen in Einklang bringen und ihn weiterhin suchen, bestätigen und annehmen. In diesem kooperativen Zustand kann er und wird er alle seine Geschöpfe dazu befähigen, zu dem zu werden, was ihr Potenzial ihnen erlaubt (LuB 88:14-40).

NATÜRLICHES ÜBEL UND DIE BESCHAFFENHEIT VON MACHT. Es ist eine allgemeine Beobachtung, dass nicht alles Schlechte von Menschen verursacht wird. Es passieren Erdbeben, Epidemien, Plagen, Vulkanausbrüche und andere Naturkatastrophen. Des Weiteren sind solche und Schlechtigkeiten, die durch Menschen verursacht werden, von solcher Größe, dass sie ein göttliches Einschreiten fordern. Der Holocaust ist ein krasses modernes Beispiel hierfür. Solche Überlegungen unterstreichen die Lehre der Schriften, dass obwohl Gott Macht über die Elemente hat und obwohl es göttliches Einschreiten gibt, die Beeinflussung menschlicher Wesen niemals „kontrollierend“ oder „manipulierend“ ist. Sie ist befreiend, ermächtigend und überzeugend. Dies ist die Macht, die Gott ständig ausübt, sogar inmitten von Tragischem oder Leid. Es ist die Macht, nach der man am meisten suchen und eifern sollte. 

Lehre und Bündnisse sagt über den Gebrauch von Vollmacht, dass „keine Macht und kein Einfluss...anders geltend gemacht werden [kann] als nur mit überzeugender Rede, mit Langmut, mit Milde und Sanftmut und mit ungeheuchelter Liebe“ (LuB 121:41). Tatsächlich ist es, wenn es um die Ausübung von Macht „ohne Zwangsabsichten“ geht, nicht genug, zu sagen, dass der Mensch Gott braucht. Sondern es ist der Fall, und dies ewiglich, dass Gott auch den Menschen braucht.

KREATIVE MITSCHULD. Einige gegenwärtige Bewegungen versichern, dass menschliche Wesen entweder aus einem langen und sinnlosen Evolutionsprozess hervorgekommen sind oder dass sie auf die Erde „geworfen“ oder gedrängt worden sind. So oder so befänden sie sich in einer misslichen Lage, in die sie sich selbst nicht hineingebracht haben. Die Ansicht der Heiligen der Letzten Tage kommt auf die oft vergessene These in den Schriften zurück, dass die ganze Menschheit an einem ursprünglichen Plan des Lebens teilnahm und für die sie auf der Welt erwartenden Stürme und Schocks vorbereitet wurde. In einem Akt des Glaubens und der Weitsicht entschied sich die ganze menschliche Familie dazu, in die Sterblichkeit einzutreten. Für Heilige der Letzten Tage ist das gesammelte Zeugnis heiliger Texte, ob alt oder neuzeitlich, dass mit nur wenigen Ausnahmen jede Person, die jemals lebt, von diesem sterblichen Aufenthalt und dem Körper Nutzen ziehen wird. 

JOHN COBB JR. 

TRUMAN G. MADSEN