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SÜNDE

Sünde ist absichtliches Falschhandeln. Jakobus sagt, dass es auch das absichtliche Versäumnis sein kann, Gutes zu tun: „Wer also das Gute tun kann und es nicht tut, der sündigt“ (4:17). Sündigen bedeutet das Übertreten der Gesetze (1 Joh. 3:4). Aber niemand wird für Sünden gegen ein Gesetz verantwortlich gemacht, das man nicht kennt. Orson F. Whitney, ein Apostel, erklärt:
Sündigen ist die Übertretung des göttlichen Gesetzes, wie es durch das Gewissen oder durch Offenbarung bekanntgemacht wird. Ein Mensch sündigt, wenn er sein Gewissen verletzt und entgegen dem Licht und der Kenntnis handelt – nicht dem Licht und der Kenntnis seines Nächsten, sondern dem, was er selbst empfangen hat. Er sündigt, wenn er das Gegenteil von dem tut, was nach seinem Wissen richtig ist. Bis zu dem Punkt macht er nur einen groben Fehler. Man bekommt vielleicht schmerzliche Folgen für ledigliche Fehler zu spüren. Aber man kann keine Sünde begehen, wenn man nichts Besseres weiß, als das zu tun, worin die Sünde besteht. Man muss ein Bewusstsein haben, bevor man es betrügen kann [S. 241-42].

Gott macht einen nicht für etwas verantwortlich, das man aus Unwissenheit falsch gemacht hat, oder etwas, das man anderen unabsichtlich angetan hat, weil solche Taten keine Sünde darstellen. Unwissenheit, Unreife oder sogar Rücksichtslosigkeit verletzen vielleicht andere und einzelne werden möglicherweise für die Folgen zur Verantwortung gezogen, die sie verursachen. Aber in solchen Situationen, wo es keinen schlechten Vorsatz gibt, gibt es keine Sünde. Das bedeutet nicht, das Personen, die unwissentlich etwas verkehrt machen, vielleicht nicht körperlich oder in ihren Beziehungen mit anderen leiden. Außerdem wird es gewöhnlich als Sünde angesehen, es zu vermeiden, Wiedergutmachung zu leisten, oder sich zu weigern, die geschaffenen Schwierigkeiten zu beheben, wenn man sich bewusst wird, dass man zu Problemen beigetragen hat.

Das griechische Verb, das im Neuen Testament in der Bedeutung „sündigen“ benutzt wird,  ist hamartanein. Dieses Wort erweckt das Bild eines Bogenschützen und kann bedeuten: „das Ziel verfehlen“. Wenn Menscheen sündigen, sehen sie „am Ziel vorbei“ auf minderwertige oder egoistische Ziele. Die Schriften definieren das hohe Ziel oder die Berufung der Menschheit so: „damit sie Freude haben können“ (2 Ne. 2:25). Man sollte Gott, der eine Fülle der Freude erfährt (siehe weiter 3 Ne. 28:10), zutrauen, dass er weiß, wie man die Glückseligkeit erlangt. Er bietet seinen Kindern alles, was er hat. Er sandte seinen Sohn um „sein Volk von seinen Sünden zu erlösen“ (Mt. 1:21). Wissentlich zu sündigen bedeutet, die Grenzen des Pfades zum Frieden und Glück zu übertreten und die Mission des Heilandes abzulehnen.

Jeder Sterbliche besitzt von Natur aus ein Herz, das sich auf die Tiefe der Liebe, des Friedens und der Reinheit einstimmen kann (siehe weiter Moro. 7:14-18). Aber durch Sünde (absichtliches Falschhandeln) löschen Menschen die Freude und fördern Hass, Gewalttätigkeit und Elend (siehe 2 Ne. 2:26-27; Mosia 3:19; He 14:30-31). Sünde verschwendet, verdirbt, betrübt und zerstört. Sie tilgt den „Glanz der Hoffnung“, die Christus anbietet (2 Ne. 31:20), und ersetzt sie mit Verzweiflung (Moro. 10:22). Ihr Stich erleichtert und erfreut das Herz nicht, sondern erweckt „ein lebendiges Bewusstsein seiner eigenen Schuld“ (Mosia 2:38), was eine unerwünschte aber unausweichliche Folge für den Reuelosen ist.

Sünde ist gleich zu Anfang bitter. Wenn Kinder heranwachsen, „so keimt die Sünde in ihrem Herzen ...und sie schmecken das Bittere“ (Mose 6:55). Das Experimentieren mit  der Sünde macht trügerischerweise abhängig. Selbst während die geistigen Empfindungen einer Person dahinschwinden, scheint der Stachel vielleicht mit der Zeit nachzulassen. Die Dinge stehen nicht so, wie es einem, der sündigt, erscheint. Es ist, als ob man schläft. Die Wiederholung der Sünde (in den Schriften bekannt als Schlechtigkeit) trübt den Blick. Und die Wirkungen der Sünde werden mit zunehmendem Alter immer bitterer. Jesaja vergleicht dies damit, „wenn ein Hungriger träumt, dass er isst, dann aber aufwacht und immer noch hungrig ist“ (Jes 29:8). Und Paulus bemerkt: Sünder, „haltlos wie sie sind, geben sich der Ausschweifung hin, um voll Gier jede Art von Gemeinheit zu begehen“ (Eph. 4:19).

Sündigen beinhaltet das bewusste Brechen der Bündnisse mit Gott. Es zerreißt Familienbande und gesellschaftliche Beziehungen, schafft Verwirrung und Misstrauen und ermutigt zum Erstreben eigennütziger Ziele auf Kosten der Gemeinschaft. Bündnisse geben einem das Gefühl von Stabilität und Dauer. Sie signalisieren, was man voneinander erwarten kann. Aber die Sünde schafft Unsicherheit und Instabilität. Sie führt nie zu Fröhlichkeit, sondern zu Enttäuschung. Wie Jakob bezeugte, schafft das Bündnisbrechen Leiden für die Unschuldigen: „Ihr habt euren zarten Frauen das Herz gebrochen ...und ihres Herzens Wehklagen steigt empor bis zu  Gott, gegen euch ... Viele Herzen [sind] gestorben, durchbohrt von tiefen Wunden“ (Jak 2:35).

Sünden sind Ausdruck eines Lebens im Widerstand zu Gott und geistigen Dingen. „Ein Mensch, der böse ist, [kann] nicht das tun, was gut ist“ (Moro. 7:10), weil sein Verhalten einem verhärteten oder bitteren Herzen entspringt. Man kann nur durch eine Veränderung des Herzens aufhören böse zu „sein“. Es ist nicht nur eine Änderung oder Kontrolle äußerlicher Handlungen (siehe weiter Mosia 5:2-15). Entweder empfängt man die Wahrheit, oder man lehnt sie ab. Als die Samariterin, die mit dem Heiland am Brunnen sprach, ihre Unterhaltung anderen erzählte, sagte sie: „Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe“ (Joh 4:29). Was der Heiland ihr sagte, umschloss ihre derzeitigen Sünden – „und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann”  (Joh 4:18). Trotzdem empfing sie seine Erklärungen. Sie akzeptierte sein Zeugnis, dass er der Christus war, und lud ihre Freunde ein, ihn selbst zu sehen (Joh 4:25-26, 29). Wäre sie hartherzig gewesen oder hätte sie an ihren Sünden festgehangen, hätte sie seine Aussagen über sie oder sein Zeugnis über seine eigene Göttlichkeit nicht angenommen. Sie wäre nicht auf den Pfad der Umkehr und Vergebung gelangt.

Um den Wirkungen der Sünde zu entgehen, muss man das Sühnopfer annehmen und umkehren. Amulek, ein Prophet im Buch Mormon, erklärt, dass das Sühnopfer Menschen aus ihren Sünden und nicht in ihren Sünden errettet (Alma 11:37). Es sind zum Großteil die eigenen Sünden die Gefühle des Leidens und der Verzweiflung hervorrufen, vielleicht mehr als was man von anderer Hand leidet. Wir werden eher durch als für unsere Sünden bestraft. Dieser Zustand wird in den Schriften als „Knechtschaft der Sünde“ bezeichnet (LuB 84:49-51; Morm. 8:31).

Jemand, der in dieser Knechtschaft steckt, lebt im Widerspruch zu den zwei großen Geboten, an dem das ganze Gesetz samt den Propheten hängt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken“ und „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt. 22:37, 39). Wenn dies die größten Gebote sind, ist vielleicht die hinderlichste Sünde sich zu weigern zu lieben. Selbstsucht, Gier, Neid, Stolz, Selbstgerechtigkeit, Groll, Feindseligkeit, Selbstgefälligkeit, Selbstmitleid und Sinneslust bedeuten alle, dass man es ablehnt zu lieben. Eine von Sündern erbetene Berücksichtigung in dieser Hinsicht trägt vielleicht mehr zu negativen Familienbeziehungen oder sogar einer gewissen Kriminalität in unserer Gesellschaft bei als angenommen. Unhöflichkeit kann in Feindseligkeit ausarten, die wiederum in Gewalttätigkeit umschlagen kann.

Sünder stören sich oft an der Wahrheit und betrachten sie als Bürde. Wie zum Beispiel  Laman und Lemuel. Nachdem ihr Bruder Nehpi ihnen den Plan der Erlösung erklärt hatte,  beklagten sie sich: „Du hast uns Hartes verkündet, härter, als wir es ertragen können“ (1 Ne. 16:1). Wer es ablehnt, die Wahrheit zu leben, rationalisiert und rechtfertigt sein falsches Handeln. Kain hatte bereits einen Mord begangen und antwortete dem Herrn auf seine Anfrage über Abels Verbleib mit einer Lüge („Ich weiß es nicht“). Dann forderte er Gott scheinheilig heraus: „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ (Gen. 4:9; Mose 5:34).

Sünde verblendet einen gegenüber der Wahrheit in jeglicher Siutation. Der Prophet Nathan erzählte König David eine Geschichte über einen Mann, der viele Schafherden besaß, aber der trotzdem das Lieblingslamm einer armen Familie schlachtete, um es einem Gast vorzusetzen. David war erbost. Er urteilte, dass solch ein Mann der Familie, der das Unrecht geschehen war, vierfach zurückerstatten sollte und hingerichtet werden sollte. Nathan erklärte: „Du selbst bist der Mann“ (2 Sam. 12:7). Geistig verblendet durch seinen Ehebruch mit Batseba und den Mord an ihrem Mann Uriah (2 Sam. 11) sah David sich nicht länger so, wie er vom Propheten oder anscheinend jedem gesehen wurde, der willens war, die Situation im Lichte der Gebote Gottes zu untersuchen.

„Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit [Christus] haben, und doch in der Finsternis leben, lügen wir und tun nicht die Wahrheit: …Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1 Joh 1:6, 8). Wenn Wahrheit nicht gelebt wird, wird sie falsch gesehen. Selbst persönliche Sündenschuld wird von dem Unreuigen so angesehen, als ob sie ihm von jemandem auferlegt wurde, und nicht als ein Symptom ihrer eigenen Verhärtung gegen die Wahrheit. Ob nun die Sünde „groß“ ist wie Mord, Ehebruch oder Veruntreuung—oder klein wie Stolz, Härte oder Eifersucht, zeigen sich ihre Wirkungen in vorhersehbaren Verhaltensmustern. Diese Muster umfassen gewöhnlich, dass man sich belastet von dem fühlt, was bekanntlich wahr ist, dass man blind demgegenüber ist oder Entschuldigungen findet, es nicht zu tun.

Selten zählen die Schriften Sünden im Detail auf. Gewöhnlich geben sie erläuternde Beispiele (siehe weiter Alma 1:32; 16:18; He 4:12). Präsident Ezra Taft Benson beschrieb die Einstellungen, die mit der universellen Sünde des Stolzes einhergehen: „Unsere Feindseligkeit zu Gott trägt viele Namen wie Rebellion, Hartherzigkeit, Halsstarrigkeit, unreuig, aufgeblasen, übelnehmend und nach Zeichen trachtend“ (Benson, S. 4). König Benjamin bemerkte: „Ich kann euch schließlich nicht alles sagen, wodurch ihr Sünde begeht, denn es gibt da verschiedene Mittel und Wege, ja, so viele, dass ich sie nicht aufzählen kann. Aber soviel kann ich euch sagen: Wenn ihr nicht ...den festen Glauben behaltet an das, was ihr über das Kommen unseres Herrn gehört habt, ja, bis ans Ende eures Lebens, dann müsst ihr zugrunde gehen. Und nun, o Mensch, denke daran und gehe nicht zugrunde“ (Mosia 4:29-30).

Geistig aus Gott geboren zu sein bedeutet erweckt zu werden, von der Last der Sünde befreit zu sein (siehe Vergebung, Natürlicher Mensch; Umkehr). Das Buch Mormon berichtet die Geschichte eines Volkes, das zeitweilig die Knechtschaft der Sünde überwunden hatte. Es heißt über dieses Volk: „Und es begab sich: Wegen der Gottesliebe, die dem Volk im Herzen wohnte, gab es im Land keinen Streit.Und es gab weder Neid noch Streit, noch Aufruhr, noch Hurerei, noch Lüge, noch Mord, noch irgendeine Art von Sittenverderbnis; und gewiss konnte es kein glücklicheres Volk unter allem Volk geben, das von der Hand Gottes erschaffen worden war“ (4 Ne. 1:15-16).

Sünde zu überwinden und Vergebung zu erlangen bedeutet das, was ungöttlich ist, abzulegen, Abhängigkeit von Gott anzuerkennen und danach zu streben, seinen Willen zu tun. Gottes Hilfe ist unerlässlich beim Aufgeben der Sünde: „Er veränderte ihnen das Herz; ...er erweckte sie aus einem tiefen Schlaf, und sie sind in Gott erwacht“ (Alma 5:7). Wer die Sünde ablegt, „sein Abbild in [seinem] Gesichhtsausdruck aufgenommen [hat]“ und Glauben an die Erlösung durch Christus ausübt (siehe weiter Alma 5:14-19), ist erfüllt von Liebe (Mosia 3:19; Joh 13:35; 15:10).

Von einer ewigen Perspektive aus betrachtet gibt es keine Tragödie außer der Sünde. Wir sind nicht auf der Erde, um uns einander etwas zu beweisen, sondern um Gott zu zeigen, wie wir sind. Dieses Erdenleben ist eine Bewährungszeit, eine Prüfung um zu sehen, ob die Menschen „alles tun werden, was auch immer der Herr, ihr Gott, ihnen gebietet“ (Abr. 3:25; siehe weiter Alma 34:34). Wer „sein Herz ...auf die Dinge dieser Welt gesetzt [hat] und nach den Ehren der Menschen [strebt]“ oder wer seine Sünden verdeckt, seinen Stolz und eitlen Ehrgeiz befriedigt oder „mit dem geringsten Maß von Unrecht“ Herrschaft und Nötigung auf andere ausüben will, betrübt den Geist des Herrn (LuB 121:35, 37).

Der Sünde zu entfliehen ist eine unkomplizierte aber nicht einfache Angelegenheit. Die Umkehr erfordert tiefempfundenes Leiden, den äußersten Preis, alles, wozu man fähig ist: „niemand als nur der wahrhaft Bußfertige [wird] errettet“ (Alma 42:24; siehe weiter LuB 19). „Wir [werden] durch Gnade errettet, nach allem, was wir tun können“ (2 Ne. 25:23). Wer die Sünde aufgibt, muss „mit Beständigkeit in Christus vorwärtsstreben, erfüllt vom Glanz der Hoffnung und indem [er] Liebe hat zu Gott und allen Menschen“ (2 Ne. 31:20).

BIBLIOGRAPHIE

Benson, Ezra Taft. „Beware of Pride“. Ensign 19 (Mai 1989): 4-6.

Kimball, Spencer W. The Miracle of Forgiveness. Salt Lake City, 1969.

Kimball, Spencer W. The Teachings of Spencer W. Kimball, ed. Edward L. Kimball, S. 80-114. Salt Lake City, 1982.

Whitney, Orson F. Saturday Night Thoughts. Salt Lake City, 1927.

 

BRUCE L. BROWN

TERRANCE D. OLSON