Sidney Rigdon (1793–1876) war Joseph Smiths enger Freund und Berater. Er war einer der ersten und bekanntesten Bekehrten der Kirche, in den dreißiger Jahren ein überzeugender Redner und von 1832 bis 1844 Erster Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft. Nach dem Märtyrertod des Propheten Joseph Smith <Smith, Joseph> machte sich Rigdon als Abtrünniger der Kirche einen Namen.
Sidney Rigdon wurde am 19. Februar 1793 auf einem Bauernhof in der Ortsgemeinde St. Clair in der Nähe von Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania als viertes Kind und jüngster Sohn von William und Nancy Briant Rigdon <William und Nancy Briant Rigdon, Eltern von Sidney Rigdon> geboren. Während er im Jahre 1817 seine verwitwete Mutter auf dem Bauernhof versorgte, erfuhr er seine christliche Bekehrung und bekam ein Jahr darauf die Erlaubnis in der Baptistengemeinde zu predigen. Er zog in den östlichen Teil des Bundesstaates Ohio, um dort unter Anleitung des beliebten Baptistenpastors Adamson Bentley <Bentley, Adamson> zu predigen und heiratete im Juni 1820 Bentleys Schwägerin Phebe Brooks <Brooks, Phebe>. Nach seiner Ordination wurde er 1821 Pastor der Ersten Baptistengemeinde in Pittsburgh. Er war berühmt für seine dynamischen Predigten und machte seine Gemeinde zur größten in der Stadt. William Hayden <Hayden, William>, einer seiner Kritiker beschrieb ihn. “Er war von mittlerer Größe, rundlicher Gestalt und hatte beim Sprechen einen offenen, einnehmenden, aber ein wenig melancholischen Gesichtsausdruck. Seine Gebärden waren elegant, seine Sprache reichhaltig, fließend, klar und musikalisch” (Zitat aus Chase, S. 24.)
In den ersten Jahren seiner geistlichen Tätigkeit suchte Rigdon nach der ursprünglichen Kirche des Neuen Testaments, in der das Händeauflegen für die Gabe des Heiligen Geistes und zur Krankenheilung praktiziert wurde. Seine Kollegen Alexander Campbell <Campbell, Alexander> und Walter Scott <Scott, Walter> vertraten ähnliche Ansichten, und alle drei verkehrten mit Mitgliedern der “Mahoning Baptist Association” <Mahoning Baptist Association>, den Vorläufern der auf Wiederherstellung hoffenden “Disciples of Christ”-Bewegung <Jünger Christi>. Im Jahre 1826 wurde er Pastor der “Grand River Association” in Mentor, Ohio, aber 1830 überwarf er sich mit Campbell und Scott, die die “Disciples of Christ” [Jünger Christi] ins Leben riefen, während Rigdon eine “Familiengemeinschaft” in der Nähe von Kirtland gründete.
Ende Oktober 1830 besuchten vier Mormonenmissionare Rigdon in Ohio. Einer davon war Parley P. PRATT <Pratt, Parley P.>, den Rigdon im Jahr zuvor Jahr zu den Reformierten Baptisten bekehrt hatte. Pratt berichte Rigdon vom Buch Mormon und der Wiederherstellung des Evangeliums durch Joseph Smith. Nach zwei Wochen ernsthafter Untersuchung verkündete Rigdon, er glaube, daß die neue Kirche die wahre, auf Erden wiederhergestellte apostolische Kirche sei. Mitte November wurde er getauft und zum Ältesten ordiniert. Über hundert Mitglieder seiner Gemeinde und seiner Gemeinschaft in Kirtland schlossen sich ebenfalls der Kirche an.
Zusammen mit Edward Partridge <Partridge, Edward>, einem jungen Hutmacher, der sich für die Lehren der Kirche interessierte, machte Rigdon sich sofort nach Fayette im Bundesstaat New York auf, um Joseph Smith kennenzulernen. Nach deren Ankunft empfing Joseph Smith eine Offenbarung, in der Rigdon für seine bisherige Arbeit gelobt und zu einem “gößeren Werk” berufen wurde, unter anderem, um als Schreiber Joseph Smiths an der neuen Übersetzung der Bibel mitzuarbeiten (LuB 35). Im Dezember 1830 arbeitete Joseph Smith mit Rigdons Hilfe an dem Manuskript, das später als siebtes und achtes Kapitel dem “Buch Mose” im Buch “Die Köstliche Perle” hinzugefügt wurde.
Rigdons Berichte von der Bekehrung seiner Anhänger in der Mentor-Kirtland Gegend mögen Joseph Smith <Smith, Joseph> bewogen haben, Gott um Rat zu bitten, ob er den Hauptsitz der Kirche dorthin verlegen solle, denn im Dezember 1830 wurde er in einer Offenbarung aufgefordert, den Bundesstaat New York zu verlassen und nach Ohio zu ziehen (LuB 27; auch 38). Am 1. Februar 1831 kamen Joseph Smith und Sidney Rigdon in Kirtland an und setzten ihre Übersetzungsarbeit an der Inspirierten Version der Bibel fort.
Im Sommer 1831 reisten Joseph Smith, Sidney Rigdon und andere Kirchenführer nach Independence im Bundessaat Missouri, das in einer Offenbarung als das Zion der letzten Tage und als das Neue Jerusalem bezeichnet worden war. Rigdon wurde beauftragt, das Land Zion für die Sammlung der Heiligen der Letzten Tage zu weihen und eine Beschreibung der Gegend zu verfassen (LuB 58:50). Nach ihrer Rückkehr nach Ohio, nahmen Smith und Rigdon die Übersetzungsarbeit wieder auf, und am 16. Februar 1832 empfingen beide zusammen die Vision von den drei Herrlichkeiten, die im 76. Abschnitt des Buches “Lehre und Bündnisse” aufgezeichnet ist. Im März 1832 wurden sie brutal von einem Pöbelhaufen überwältigt und geteert und gefedert. Rigdon wurde am Kopf schwer verletzt, was seine emotionale Stabilität bis ans Ende seines Lebens beeinträchtigte. Sein Freund Newel K. Whitney <Whitney, Newel K.> berichtet, daß er danach “entweder tief im Keller oder oben in der Dachkammer war” (Chase S. 115).
Im März 1833 wurden Sidney Rigdon und Frederick G. Williams <Williams, Frederick G.> offiziell als Ratgeber Joseph Smiths in der Ersten Präsidentschaft eingesetzt. Rigdon war bereits bevor die Erste Präsidentschaft bestand als Berater des Propheten berufen worden. Er wurde auch zum “Sprecher” für die Kirche und für Joseph Smith berufen, und ihm wurde verheißen, daß er “mächtig im Auslegen aller Schriften” sein würde (LuB 100:11). Joseph Smith sagte über ihn: “Ich liebe Bruder Rigdon, aber er ist nicht imstande, seinen Wohltätern die reine, beständige Liebe zu erwiesen, die den Präsidenten der Kirche Christi kennzeichnen sollte. Das, zusammen mit ein paar anderen Kleinigkeiten, wie Selbstsucht und intellektuelle Unabhängigkeit ... sind seine Schwächen. Trotzdem ist er ein großer und guter Mensch, der die Macht des Wortes besitzt und sehr schnell die Sympathie seiner Zuhörer erlangt. Er ist ein Mann, den Gott stützen wird, wenn er seiner Berufung treu bleibt” (HC 1:443).
Im Jahre 1834 half Sidney Rigdon Freiwillige für das ZIONSLAGER zu rekrutieren und leitete in Abwesenheit von Joseph Smith die Angelegenheiten in Kirtland, unter anderem auch den Bau des Tempels (Siehe KIRTLAND-TEMPEL). Unter den Lehrern der Kirtland-Schule nahm er eine führende Stellung ein und half dabei, die Offenbarungen für die Auflage des Buches “Lehre und Bündnisse” von 1835 zu vereinbaren (Siehe SCHULEN DER PROPHETEN). Rigdon hielt viele der in dogmatischer Hinsicht recht komplizierten Vorlesungen über den Glauben, die er unter Anleitung des Propheten vorbereitet hatte. Häufig hielt er lange, aufwendige, auf die Bibel fußende Predigten, wie z.B. bei der Weihung des Kirtland-Tempels. Während der Verfolgungen nach dem Zusammenbruch der “Kirtland Safety Society”, flohen Rigdon, Joseph Smith und andere Heilige der Letzten Tage im Jahre 1838 nach Far West im Bundesstaat Missouri. Dort hielt Rigdon zwei berühmte explosive Reden, die “Salt Sermon” und die “Independence Day- Rede”, die in Missouri Angst verbreiteten, zu Auseinandersetzungen, zum Erlaß des AUSROTTUNGSBEFEHLS und zum Gefecht von Far West mit beitrugen (Siehe MISSOURI, KONFLIKTE IN ...). Rigdon wurde zusammen mit Joseph und Hyrum Smith <Smith, Hurum> verhaftet und im LIBERTY-GEFÄNGNIS eingesperrt, jedoch bald aufgrund schwerer apoplektischer Anfälle wieder entlassen.
Sidney Rigdon beteiligte sich aktiv an der Gründung Nauvoos und begleitete Joseph Smith 1839 nach der Bundeshauptstadt Washington, um der Bundesregierung die Beschwerden der Heiligen der Letzten Tage zu unterbreiten. Er wurde in den Nauvoo-Stadtrat gewählt und diente als Staatsanwalt, Postamtvorsteher und Professor für Kirchengeschichte an der in Vorbereitung begriffenen Universität der Stadt. Obgleich er während dieser Zeit viele Ämter innehatte, hörte man verhältnismäßig wenig von ihm, denn er war oft krank. Man beschuldigte ihn, zusammen mit John C. Bennet <Bennet, John C.> und anderen Abtrünnigen Pläne für die Absetzung Joseph Smiths zu schmieden, aber das stritt er stets ab. Er befürwortete das Prinzip der MEHREHE nicht, sprach sich jedoch nie offen dagegen aus. Joseph Smith vertraute ihm schließlich nicht mehr und wollte ihn 1843 aus seinem Amt als Ratgeber entlassen, aber weil Hyrum Smith <Smith, Hyrum> sich für ihn einsetzte, behielt er ihn als Ratgeber.
Als Joseph Smith Anfang 1844 für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten kandidierte, wurde Sidney Rigdon zu seinem Mitkandidaten nominiert und richtete seinen Wohnsitz in Pittsburgh ein, um von dort den Wahlkampf zu führen. In dieser Stadt erreichte ihn die Nachricht von Joseph Smiths Ermordung. Er eilte sofort nach Nauvoo, schlug sich als “Guardian of the Church” [Kirchenverweser] vor und versprach in diesem Amt zu bleiben, bis Joseph Smith von den Toten wieder auferstanden sei. Sein Anspruch auf Verwesung wurde ernsthaft geprüft, aber in einer denkwürdigen Versammlung am 8. August 1844 von den Mitgliedern der Kirche verworfen, und die zwölf Apostel beauftragt, die Führung der Kirche zu übernehmen. Als Rigdon versuchte, mit der Kirchenführung zu rivalisieren, wurde er im September 1844 aus der Kirche ausgeschlossen. Daraufhin zog er mit einigen Anhängern nach Pernsylvanien und gründete eine Kirche Christi <Kirche Christi>. Aufgrund seiner launenhaften Handlungsweise verließen ihn innerhalb von zwei Jahren fast alle seine Anhänger. Im Jahre 1863 unternahm er einen erneutenVersuch und gründete die Kirche Jesu Christi der Kinder Zions <Kirche Jesu Christi der Kinder Zions>, die bis in die achtziger Jahre bestand. Von 1847 bis zu seinem Tod im Jahre 1876 wohnte er in Friendship im Bundesstaat New York. In diesen Jahren war er fast andauernd emotional unausgeglichen und unglücklich.
Im Jahre 1834 griff Eber H. Howe <Howe, Eber H.> in seinem Buch Mormonism Unveiled die Echtheit des Buches Mormon an, indem er sich auf das Argument von Philastus Hurlbut <Hurlbut, Philastus> berief, Sidney Rigdon habe das Manuskript von Salomon Spaulding <Spaulding, Salomon> gestohlen, es daraufhin plagiiert, um so das Buch Mormon zu verfassen. Er habe es dann Joseph Smith übergeben, der es unter seinem Namen veröffentlicht habe. Sein ganzes Leben lang verneinten sowohl Sidney Rigdon als auch seine Familienangehörigen beständig jegliche Verbindung mit Spaulding. Nach der Entdeckung von Spauldings Manuskript im Jahre 1885, wurde die ganze Geschichte endgültig diskreditiert.
BIBLIOGRAPHIE
Backman, Milton V. jun. The Heavens Resound: A History of the Latter-day Saints in Ohio, 1830–1838. Salt Lake City, 1983.
Chase, Daryl. “Sidney Rigdon - Early Mormon.” Diplomarbeit, University of Chicago, 1931.
McKierman, F. Mark. The Voice of One Crying in the Wilderness: Sidney Rigdon, Religious Reformer 1793–1876. Lawrence, Kansas, 1971
BRUCE A. VAN ORDEN