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Die Reorganisierte Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage

Die Reorganisierte Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ging in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts aus dem Konflikt und der Kirchenspaltung hervor, die im Mormonismus nach dem 27. Juni 1844 entstand, dem Tag an dem Joseph SMITH, der PROPHET, der die Kirche gegründet hatte, ermordet wurde. Von 1834 bis 1844 hatte Joseph Smith <Smith, Joseph> bis zu acht verschiedene Möglichkeiten der prophetischen Nachfolge angedeutet, von denen eine seinen Sohn Joseph III. <Smith, Joseph III.> (1832–1914) betraf, der unter Umständen das Amt des Propheten und Präsidenten hätte übernehmen sollen. Der Prophet hatte jedoch niemanden dazu bestimmt, die Kirche übergangsweisezu leiten, bis sein Sohn alt genug gewesen wäre, selbst die Leitung zu übernehmen. Im Jahrzehnt nach Joseph Smiths Tod spaltete sich die Mormonenkirche in über ein Dutzend verschiedener Splittergruppen auf. Die meisten Gläubigen erkannten das Kollegium der Zwölf Apostel als Leitung der Kirche an, der Hauptsitz der Kirche blieb bis 1846 in NAUVOO <Nauvoo>, und nach 1846 zogen die meisten Heiligen der Letzten Tage ins heutige Utah. Brigham YOUNG <Young, Brigham>, der dienstälteste Apostel, der seit dem 14. April 1840 Präsident des Kollegiums der Zwölf war, organisierte den Treck in den Westen und wurde 1847 als Präsident in der Ersten Präsidentschaft der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bestätigt.

Jason W. Briggs <Briggs, Jason W.> (1821–1899), der Leiter der Gemeinde in Beloit im Bundesstaat Wisconsin, lehnte Brigham Youngs Führung von 1848 an ab und schloß sich der Gruppe an, die von James J. Strang <Strang, James J.> (1813–1856) geleitet wurde. Als Strang 1850 die Mehrehe <Mehrehe> einführte, sagte sich Briggs von ihm los und schloß sich der Kolonie von William B. Smith <Smith, William B.> (1811–1893), dem jüngeren Bruder des ermordeten Propheten an. Im Herbst 1851 erfuhr Briggs, daß Smith ebenfalls die Mehrehe befürwortete und sagte sich auch von ihm los.

Am 18. November 1851 empfing Briggs angeblich eine göttliche Offenbarung über die Zukunft der Kirche. Seine Anhänger verbreiteten Kopien der Offenbarung in den nahegelegenen Gemeinden. Die vier Hauptpunkte dieses Dokuments waren: 1) Niemand außer ihm habe ein Anrecht auf prophetische Vollmacht, 2) die Ältesten sollten falsche Lehren, die in die Kirche eingedrungen seien, aufdecken, 3) die Ältesten sollten das ursprüngliche Evangelium verkünden, wie es in der Bibel, dem Buch Mormon und dem Buch “Lehre und Bündnisse” aufgezeichnet sei, und 4) der künftige rechtmäßige Führer der Kirche müsse von Joseph Smith abstammen. Zenas H. Gurley sen. <Gurley, Zenas H. sen.> (1801–1871), Pastor einer Kirchengemeinde in Yellow Stone im Bundesstaat Wisconsin, verlas die Botschaft von Briggs in seiner Gemeinde. Gurley hatte ebenfalls zur gleichen Zeit wie sein neuer Verbündeter Briggs den Führungsanspruch von Brigham Young, James Strang und William Smith abgelehnt. Im Winter und Frühjahr 1852 tat sich eine Gruppe von Heiligen der Letzten Tage in Wisconsin und im nördlichen Illinois zusammen und gründetete die ihrer Meinung nach echteFolgegemeinschaft der ursprünglichen Kirche.

Die erste öffentliche Konferenz der Ältesten dieser neuen Bewegung fand am 12. und 13. Juni 1852 in der Nähe von Beloit, Wisconsin, statt. Die Konferenz verabschiedete Richtlinien, die die Gesinnung von Briggs’ sogenannter Offenbarung bestätigte und erweiterte und veranlaßte die Veröffentlichung eines Pamphlets, in dem die Richtlinien ebenfalls bestätigt und eine zweite Konferenz für Oktober einberufen wurde.

In der Oktober-Konferenz wurde das Pamphlet verlesen und Jason Briggs bevollmächtigt, 2000 Kopien drucken zu lassen, um dadurch die Öffentlichkeit über die Grundsätze der neuen RHLT-Bewegung zu informieren. Während des Drucks wurden drei weitere Seiten hinzugefügt, auf denen die Mehrehe verworfen wurde. Eine wichtige Konferenz fand im April 1853 statt, auf der sieben neue Apostel von einem Komitee ernannt und ordiniert wurden. Diese Interimsgruppe präsidierte über die Gemeinschaft bis der direkte Nachkomme des Kirchengründers Joseph Smith zur Verfügung stehen sollte. Nach der Herbstkonferenz 1856 wurden zwei Abgeordnete zu Joseph Smith III. nach Nauvoo geschickt und dieser offiziell gebeten, die Kirche zu führen. Smith lehnte kategorisch ab, nahm aber aufgrund späterer Offenbarungserlebnisse Anfang 1860 das Angebot an. In der Konferenz am 6. April 1860 in Amboy, im Bundesstaat Illinois wurde Joseph Smith III. zum Propheten und Präsidenten der Reorganisierten Kirche ernannt. Für die ersten “Reorganisatoren” war damit die direkte Nachfolge in der Präsidentschaft, für die sie eingetreten waren, Wirklichkeit geworden.

Smith lehnte die Mehrehe scharf ab und war tief davon überzeugt, daß sein Vater mit der Einführung der Mehrehe nichts zu tun gehabt hatte. Er und andere RHLT-Führer, Schreiber, Missionare und Mitglieder verfochten jahrzehntelang die Meinung, daß die ursprünglichen Heiligen der Letzten Tage die Mehrehe abgelehnt hätten, aber der öffentliche Sturm der Entrüstung gegen die Lehre und die Praxis der Mehrehe seitens der Heiligen der Letzten Tage in Utah, zusammen mit dem fast gleichlautenden Namen der beiden Kirchen erschwerten die Bemühungen der RHLT-Kirche, sich von der Kirche in Utah abzugrenzen.

Die Mehrehe war die am schärfsten umrissene Frage, mit der die RHLT-Mitglieder sich von der Kirche Jesu Christi in Utah absondern und öffentlich Antipathie gegen die Mormonen in Utah hervorrufen konnten. Aber auch andere Standpunkte trennten die Mormonen in Utah ideologisch von der RHLT-Gemeinschaft. Einige bezogen sich auf Lehren, die Joseph Smith 1839–1844 in Nauvoo verkündet hatte. Gegen Ende des Jahrhunderts lehnte die RHLT-Kirche diese entweder ab oder nahm ihnen gegenüber eine abwartende Haltung ein. Sie verwarf folgende angebliche falsche Lehren der Utah-Kirche: Das künftige politische Reich Gottes, Militarismus (d.h. militärische Organisationen wie die Nauvoo-Legion), die Lehre von Adams Gottestum ( YOUNG, BRIGHAM; DIE LEHREN BRIGHAM YOUNGS), die Lehre von der Mehrheit der Götter, die absolute Theokratie und die Tatsache, daß Negern das Priestertum verweigert wurde. Sie faßte noch keinen Entschluß bezüglich des Tempels und der errettenden Verordnungen für die Lebenden und die Toten, das Buch Abraham, und die strikte Ablehnung von Kaffee, Alkohol und Tabak.

Im 19. Jahrhundert prägte die RHLT-Kirche ihre Identität vielfach entlang der Grenze zum Mormonismus und machte einen schwierigen Entwicklungskurs durch. Missionare, die unter den Mormonen in Utah arbeiteten, versuchten die Menschen davon zu überzeugen, daß sie den “wahren Mormonismus” vertraten. Wenn sie jedoch Protestanten zu überzeugen versuchten, spielten sie Parallelen zum Mormonismus herunter und konzentrierten sich auf Lehren, die sie mit den meisten christlichen Glaubensgemeinschaften gemeinsam hatten.

Die Widersprüche, die dadurch innerhalb der RHLT-Kirche entstanden, führten zu internen theologischen Konflikten. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein versuchten die Ältesten und Führer der Kirche die Streitfragen bei Generalkonferenzen beizulegen. Joseph Smith III. und andere Kirchenführer wollten lediglich die wichtige, entscheidende Fragen durch Offenbarung seitens des Propheten klären. Das bedeutete, daß die RHLT-Kirche im wesentlichen einen Balanceakt zwischen dem demokratischen und theokratischen Regierungsprinzip in der Kirche ging.

Die anfängliche Politik von Joseph Smith III <Smith, Joseph III>, die verstreut lebenden Mitglieder der Kirche davon abzuhalten, sich an einem zentralen Ort zu sammeln, beeinflußte die Entwicklung der Kirche auf lange Zeit. Smith hatte die Verfolgungen in Erinnerung, die die Heiligen anfangs erlitten hatten, sobald sie sich irgendwo als Gemeinschaft niedergelassen hatten. Er ermutigte seine Anhänger, wo sie auch wohnen mochten, christlich zu handeln und zu leben. Von seinem Büro in Plano im Bundestaat Illinois aus veröffentlichte Smith wiederholt Leitartikel in der Kirchenzeitschrift The True Latter Day Saints’ Herald, in denen er die weitverstreuten Gemeinden aufforderte, dort heimisch zu werden, wo sie sich niedergelassen hatten. Er riet ihnen dringend, eine feste Grundlage christlichen Zeugnisses und gemeinschaftlicher Verantwortung zu schaffen als Voraussetzung für die künftige Wiederbesiedelung der Stadt Independence in Missouri.

Der Sammlungsimpuls unter den Mitgliedern blieb jedoch stark. Im Jahre 1870 gründete eine Gruppe begüterter Männer die Gesellschaft First United Order of Enoch [Die Erste Vereinigte Ordnung Henochs]. Gemäß ihren Satzungen kauften Aktionäre mehrere tausend Hektar Land im Kreis Decatur im Bundesstaat Iowa und begannen Landwirtschaft zu betreiben und landwirtschaftliche Betriebe zu gründen. Sie errichteten die Stadt Lamoni (der Name stammt aus dem Buch Mormon), die 1881 zum Hauptsitz der Kirche wurde und wo sich die Druckerei der Kirche mit ihrem Chefredakteur Joseph Smith III. befand.

Einige Mormonen, die sich auf ihrem Weg in den Westen gerade in Iowa befanden oder erst kürzlich in den Tälern des Westens angekommen waren, verließen die Marschroute bzw. kehrten um und schlossen sich den RHLT-Gemeinden im Südwesten Iowas an. Im Jahre 1890 befand sich die Mehrzahl der Kirchenmitglieder (ungefähr 25.000) nicht mehr in Illinois, sondern in Iowa. Sogar in Missouri, wo die Mitgliederzahl in St. Louis und Independence <Independence> sowie in der Umgebung dieser Städte stark angewachsen war, befanden sich mehr Mitglieder als in Illinois. Im Jahre 1895 gründete die Kirche das Graceland College in Lamoni <Graceland College in Lamoni>, an dem 1990 mehr als 1300 Studenten inskribiert waren.

Nach dem Tod von Joseph Smith III. im Dezember 1914 übernahm sein Sohn Frederick M. Smith <Smith, Frederick M.> (1874–1946) das Amt des Propheten. Seit 1902 war er Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft gewesen. In seiner einunddreißigjährigen Amtszeit zentralisierte er die Verwaltung und brachte die Kirche unter theokratische Kontrolle, legte Nachdruck auf die praktische und theologische Ausbildung der Geistlichen, verlegte 1920 den Hauptsitz der Kirche von Lamoni nach Independence im Bundesstaat Missouri und machte die Stadt und ihre Umgebung zum geographischen, kulturellen und schulischen Zentrum und Ort des Zionsgeistes. Er veranlaßte die Mitglieder, besonders in Independence und in der Nähe dieser Stadt, gemeinschaftliche Unternehmen zu organisieren und straffte und erweiterte die Missionstätigkeit der Kirche.

Smiths Pläne zur Verbreitung und Entwicklung der Kirche stießen sowohl auf höherer als auch auf lokaler Ebene auf Widerstand. Noch größeren Kummer machten ihm die wirtschaftlichen Probleme der Welt. Wegen der beiden Weltkriege, der Wirtschaftskrise von 1920–1921 und der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre mußten viele der angestrebten Ziele zurückgestellt werden. Mehrere Jahre Defizitfinanzierung verursachte 1931 eine Finanzkrise. Eine vom Präsidierenden Bischof L.F.P. Curry <Curry, L.F.P.> (1887–1977) und seinem Ratgeber G.L DeLapp <DeLapp, G.L.> (1895–1981) verfolgte strikte Finanzpolitik stellte das Vertrauen der Mitglieder wieder her. Ihre Opferbereitschaft trug dazu bei, die Schuldenlast von fast zwei Millionen Dollar im Januar 1942 abzutragen. Während der Präsidentschaft von F.M. Smith wuchs die Mitgliederzahl von 74.000 im Jahre 1915 auf fast 133.000 zum Zeitpunkt seines Todes am 20. März 1946. Der Bau des riesigen Auditoriums in Independence - dem Hauptsitz der Kirche und Versammlungszentrum für Generalkonferenzen - wurde 1926 während seiner Amtsperiode begonnen. Das Gebäude wurde ab 1928 benutzt, aber erst 1962 fertiggestellt.

Israel A. Smith <Smith, Israel A> (1876–1958), Fredericks Bruder, wurde im April 1846 Präsident der RHLT-Kirche. In den zwölf Jahren seiner Amtszeit erhöhte die Kirche ihre Finanzreserven und breitete ihre Missionstätigkeit aus. Sie gründete ein Heim für ältere Menschen, “Resthaven”, in Independence, die “Schule der Wiederherstellung” zur Ausbildung der Kirchenführer und Mitglieder und ein Sozialzentrum zur Versorgung Notleidender. Das Krankenhaus der Kirche wurde mit Hilfe städtischer Gelder vergrößert. In dieser Zeit wurden auch viele Kirchengebäude errichtet. Hunderte von Gemeinden bauten entweder neue Gemeindehäuser oder renovierten alte Gebäude. Auch das Graceland College wurde weiter ausgebaut.

William Wallace Smith <Smith, William Wallace> (1900–1989), der dritte Sohn von Joseph Smith III., der Präsident der Kirche wurde, wurde im Oktober 1958 ordiniert. Mit Hilfe vieler fähiger Menschen führte er die RHLT-Kirche in über 20 Nationen. Auch in den Jahren seit seiner Pensionierung im April 1978 hat sich die Kirche ständig vergrößert.

Die neuerliche Überschreitung kultureller Grenzen hat in der Kirche große ideologische und theologische Unruhe gestiftet. Es wurde den Führern der Kirche sehr bald bewußt, daß zu dieser Aufgabe mehr gehört als lediglich eine amerikanische Kirche in andere Kulturen zu verpflanzen. Die Vielfalt der Kulturen veranlaßte die Kirche, nach Möglichkeiten zu suchen, das christliche Zeugnis in anderen Kulturen auf eine Art und Weise groß zu machen und es mit den Lebenserfahrungen und Erwartungen unterschiedlicher Völker und Weltanschauungen zu vereinbaren. Aufgrund dieser Bestrebungen versuchte die RHLT-Führung, die universellen Aspekte des Evangeliums festzustellen, die auch für andere Kulturen annehmbar sind, während man sie zugleich den einheimischen Werten und Bedürfnissen angleichen konnte. Die Generalautoritäten der Kirche erkannten daraufhin die Notwendigkeit zum Pluralismus, da das, was man zuvor als allgemeingültiges Ganzes angesehen hatte, nun als gleichberechtigtes, vielseitiges Besonderes betrachtet wurde.

Eine vordringliche Aufgabe, die aus dieser Erkenntnis entstand, war die Entwicklung einer theologischen Grundlage, die der weltweiten, multikulturellen Kirche entsprach - eine Aufgabe, die rigoroses theologisches Studium, Verhandlung und Synthese erforderte. HRLT-Führer nahmen an Seminaren über Geschichte, Theologie, Evangelisierung, Planung, zionistische Konzepte und Systeme, höherer Bildung und Berufsausbildung teil. Am Anfang dieses Programms gaben die Erste Präsidentschaft und der Rat der Zwölf Apostel im Jahre 1966 fünf neue Ziele für die künftige Entwicklung der Kirche bekannt. Das erste Ziel war ein Aufruf an die Kirche, ihre Theologie klarzustellen und die Mitglieder im Glauben zu vereinen. Dem bereits einige Jahre vorher organisierten Komitee über grundlegende Kirchenlehren wurden mehrere Mitglieder beigestellt, die in Theologie geschult waren. Dieses neu organisierte Komitee stellte Artikel zusammen, in denen verschiedene Aspekte der Kirchenlehre erläutert wurden. In dem Bericht Exploring the Faith [Untersuchung von Glaubensfragen] aus dem Jahre 1971wurde die ganze Kirche aufgerufen, theologische Prinzipien ernsthaft zu prüfen und zu überdenken.

Dieses komplexe Unterfangen bereitete vielen Führern und Mitgliedern großes Kopfzerbrechen. Der neo-orthodoxe christliche Standpunkt, der in Exploring the Faith und in vielen anderen Kirchenschriften aus den sechziger und siebziger Jahren vertreten wurde, war mit traditionelleren Ansichten nicht zu vereinbaren. So rief z.B. der fünfte Grundsatz aus dem Jahre 1966 zu einer Interpretation Zions in “weltweiter Hinsicht” auf. Als die Kirchenführer diesen Grundsatz in dieser Richtung weiterdachten, begannen sie über Zion nicht nur als eine übriggebliebene Kolonie der Heiligen der Letzten Tage in Missouri zu sprechen und zu schreiben, sondern auch von einem sich fortschreitenden Vorgang - einer Quelle befreienden gesellschaftlichen Wandels in der ganzen Welt. Die Kirche wurde als Bundesvolk bezeichnet, das die Kultur von innen überall da transformierte, wo Mitglieder der Kirche lebten.

Eine lautstarke Minderheit von RHLT-Mitgliedern sah in dieser Vorstellung und ihren Implikationen eine totale Abkehr von der früheren “Kolonie”-Vorstellung. Sie widersetzten sich den pastoralen, theologischen, bildungsmäßigen und programmatischen Bemühungen der Kirche, eine breitere, pluralistische Gültigkeit zionistischer Dimension zu schaffen. (Sie leisteten Widerstand, weil sie meinten, die breitere Interpretation Zions bedeute, daß die gegenwärtigen Führer der Kirche die immerwährende Vollmacht der heiligen Schriften und die Aussagen des Propheten Joseph Smiths jun. über das Streben nach Zion nicht länger anerkannten.) Dieser Widerstand entsprang der Tatsache, daß die breitere Interpretation Zions ihnen so erschien, als seien die gegenwärtigen Führer der Kirche der ewig gültigen Vollmacht der heiligen Schriften und Aussagen des Propheten Joseph Smith jun. über das zionistische Streben untreu geworden.

Im Jahre 1968 rief W. Wallace Smith in einer inspirierten Anweisung die Kirche auf, den Bau eines Tempels in Independence vorzubereiten. Dies führte zu einer umfassenden Diskussion

sowohl unter den Führern als auch unter den Mitgliedern der Kirche über die Frage, wie solch ein Gebäude dem Zweck früherer Tempel wie denen in Kirtland (1834–1836) und in Nauvoo (1840–1846) entspräche. Während der Amtszeit von W. Wallace Smith wurden kaum Entscheidungen getroffen. Man stimmte im allgemeinen überein, daß der vorgeschlagene Tempel dem Haus des Herrn in Kirtland ähnlicher sein solle als dem Nauvoo-Tempel, was dessen Funktion als Bildungsanstalt und Gotteshaus beträfe. Im Jahre 1974 wurde die Tempelschule ins Leben gerufen. Ihr Ziel war die Ausbildung von Führungskräften in Verbindung mit dem künftigen Tempel. Zu gleicher Zeit wurde der Rektor des Graceland College, Dr. William T. Higdon <Higdon, Dr. William T., Rektor des Graceland College> (1929–), in den Rat der Zwölf Apostel und zum Präsidenten der Tempelschule berufen. Es war offensichtlich, daß die RHLT-Führung eine starke Bildungskomponente als Teil der Tempelplanung anstrebte. In den späten siebziger Jahren nahm die Kirche eine starke finanzielle und persönliche Verpflichtung auf sich, als sie begann, das Park College <Park Collage in Kansas City> in Kansas City im Bundesstaat Missouri zu unterstützen und zu unterhalten.

Wallace B. Smith <Smith, Wallace B.> (1929–), der Sohn W. Wallace Smiths, wurde am 5. April 1978 Prophet der RHLT-Kirche. Er war bereits zwei Jahre zuvor zum “designierten Propheten und Präsidenten” bestimmt worden. Er gab seine Praxis als Augenarzt auf und bereitete sich zwei Jahre lang durch intensives Theologiestudium auf die Präsidentschaft vor. Die beiden weitreichendsten Führungsentscheidungen seit seiner Ordinierung spiegeln sich in der inspirierten Aufforderung an die Weltkonferenz aus dem Jahr 1984 wider: Abschnitt 156 im Buch “Lehre und Bündnisse” der RHLT-Kirche.

Abschnitt 156:9–10 bedeutete, daß die Kirche von nun an Frauen ordinieren würde, ein Umbruch, der bereits seit den Ereignissen nach 1970 vorauszusehen war. Örtliche Pastoren hatten bereits seit 1974 Frauen Priestertumsberufungen erteilt, aber noch bestand kein klarer Präzedenzfall, der Ordinationen tatsächlich erlaubte. Nun bestätigte jedoch die Konferenz Abschnitt 156 und schuf damit die Grundlage zur Ordinierung von Frauen. Die ersten Frauen wurden am 17. November 1985 ordiniert. Diese Ereignisse führten zu schweren Konflikten in verstreut liegenden Gemeinden der RHLT-Kirche. Der Versuch, Abschnitt 156 in der Konferenz des Jahres zu widerrufen, scheiterte klar. Gegner des Abschnitts verstärkten den Widerstand. Einige gründeten sogenannte “unabhängige Gemeinden”, die die Vollmacht der RHLT-Kirche in jeder Beziehung ablehnten. Es ist unmöglich, das Ausmaß des Abfalls genau festzulegen, aber es sind wahrscheinlich drei Prozent der 240.000 Mitglieder, die sich von der Kirche losgesagt haben.

Abschnitt 156:3–6 gab der Kirche eine neue Richtung, indem er den allgemeinen Zweck des Tempels festlegte. Das Dokument besagt, daß der hauptsächliche Zweck des Tempels, “das Streben nach Frieden, Versöhnung und geistlicher Heilung “ sein solle. Er solle auch errichtet werden, um “die Vorstellung der Ganzheit von Körper, Intellekt und Geist” zu pflegen. Außerdem würde der Tempel die “wesentliche Bedeutung der Kirche als heilende und befreiende Kraft, inspiriert vom Leben und vom Zeugnis des Heilandes der Welt” unterstreichen. Schließlich solle der Tempel neue Programme zur Ausbildung von Führungskräften und zur Vergrößerung der geistlichen Tätigkeit seitens des gesamten Priestertums und der Mitglieder der Kirche erfordern und ermöglichen.

Abschnitt 156 forderte die Kirche ebenfalls auf, ihre Anstrengungen zur Finanzierung und zum Bau des Tempels zu verdoppeln. Während der Weltkonferenz 1990 gab es den ersten Spatenstich zum Bau des Tempels. Es wurde auch bekanntgegeben, daß Spendenversprechen von mehr als 61 der 75 Millionen Dollar gegeben worden seien, die zur Fertigstellung des Baus und der Erhaltung des Stiftungsfonds nötig seien.

Seit 1990 steht die RHLT-Kirche an einem Wendepunkt ihrer Geschichte. Über 3000 Frauen sind zu allen Ämtern im Priestertum, außer zum Amt einer Generalautorität, ordiniert worden und geben der Kirche einen neuen Stil und eine neue Vertiefung der seelsorglichen Tätigkeit, die bisher nicht vorhanden gewesen war. Die Kurse der Tempelschule und die Programme für die Tempeltätigkeit haben die Gemeinden und Mitglieder der RHLT-Kirche in vielen der vierzig Nationen, wo die Kirche etabliert ist, mit neuem Leben und neuer Energie gestärkt. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Kirche auch weit ökumenischer geworden als zuvor. Auf der Weltkonferenz von 1990 wurde eine Resolution verabschiedet, die die Erste Präsidentschaft beauftragt, auch außerhalb der Kirche Hilfe zu suchen. Dies bedeutet, daß die RHLT-Kirche Menschen suchen soll, deren Erfahrung und Fachkenntnisse sie befähigen würde, wertvolle Hilfestellung im künftigen Tempelprogramm und bei der Verbreitung von Frieden und Gerechtigkeit zu geben.

Offensichtlich versucht die RHLT-Kirche, viele Überbleibsel ihrer sektiererischen Vergangenheit abzulegen. Es wird sich zeigen, inwieweit sie diese ablegen kann und dennoch ihre Identität als erkennbares Glied der Heiligen der Letzen Tage zu bewahren.

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RICHARD P. HOWARD