Home

RELIGIÖSE ERFAHRUNG

Im Evangelium Jesu Christi bilden persönliche religiöse Erfahrungen die Grundlage, Lebenskraft und Krönung des religiösen Lebens. Wie in der biblischen Apostelgeschichte variieren religiöse HLT-Erfahrungen und sind sowohl Erfahrungen aus erster Hand als auch Texten und Traditionen zu verdanken. Heilige der Letzten Tage erkennen als religiöse Erfahrung vielleicht Gefühle oder Eindrücke, die den Glauben an Christus aufbauen, zeigen, dass Gott Gebete hört und beantwortet, manifestieren, was gut und recht ist, und die die persönliche Überzeugung von der Wahrheit stärken oder bestätigen, dass Gott das Leben des einzelnen billigt. Die Summe der religiösen Erfahrungen einer Person wird manchmal „Zeugnis“ genannt. Interpretierungen dieser Erfahrungen leiten sich von angehäufter persönlicher Erfahrung ab, wozu Worte manchmal nicht ausreichen. Die Häufigkeit, Verständlichkeit, Geschlossenheit und Mitteilfähigkeit dieser Phänomene unter Heiligen der Letzten Tage sind relativ einzigartig.

Ungeachtetet individueller Unterschiede in Alter, Kultur und Sprache erhöhen solche Erfahrungen die grundlegende Einigkeit der Mitglieder der Kirche und befähigen sie, sich untereinander und mit dem Propheten eins zu fühlen. Sie erkennen bekannte religiöse Erfahrungen in den Worten und Taten anderer und in den Schriften wieder. Während die Weitergabe dieser Erfahrungen oft mündlich geschieht (wie in Zeugnisversammlungen, Klassen, Konversationen), werden viele auch in Tagebüchern und Familiengeschichten festgehalten. Einige davon sind weithin bekannt und fast zu einer Norm geworden.

Der Kern des Lebens liegt für Heilige der Letzten Tage in der Bekehrung zum Evangelium. Erste Eindrücke sind oft sehr wichtig. Bekehrte bezeugen häufig ein Gefühl der göttlichen Bestätigung, unerwartet und unangekündigt, die man im Buch Mormon und in den Lehren der Kirche finden kann. Sie sprechen häufig davon, sich rein zu fühlen, von Sünden reingewaschen und geistig neu geboren zu sein mit einer Infusion von neuem Leben, Frieden, Freude, Licht, Wärme und Feuer. (Siehe Taufe mit Feuer und dem Heiligen Geist) Die Erfahrung des Selbstfindens, vom Herrn akzeptiert zu werden, obwohl man ein Sünder ist, wird oft zur Grundlage einer lebenslangen Verpflichtung Gott gegenüber, weil man vor allem wünscht, dieses Gefühl aufrecht zu erhalten. Klassische Beispiele dafür finden sich in der Bekehrung von Alma II  (Mosia 27, Alma 36) und von Joseph Smith (PJS 1:5-8).

Heilige der Letzten Tage glauben, dass die göttliche Liebe, die sie in ihrer individuellen religiösen Erfahrung empfangen, anderen gegenüber als Nächstenliebe ausgedrückt werden sollte (Mosia 2:17-21, 5:2, Moro. 7:46). Der Dienst am Nächsten im Namen Christi schafft Gefühle der Freude und Glückseligkeit, die Heilige der Letzten Tage als religiöse Erfahrungen schätzen.

Getaufte Mitglieder empfangen die Gabe des Heiligen Geistes durch Händeauflegen, was sie zur Begleitung durch den Heiligen Geist berechtigt. Präsident Lorenzo Snow beschrieb sein Empfangen dieser Gabe als „ein fassbares Eintauchen in das himmlische Prinzip oder Element, den Heiligen Geist“ (Biography and Family Record of Lorenzo Snow S. 8, Salt Lake City, 1884). Er sagte, er „erfuhr die Freuden der Ewigkeit inmitten der Macht Gottes“ (Journal, S. 3, Kirchenrchiv, Salt Lake City). Alfred D. Young sagte, es war „als ob warmes Wasser über mich geschüttet wurde, was zuerst auf meinen Kopf kam. Ich war mit Licht, Frieden und Freude erfüllt“ [Autobiography (1808 -1842), BYU Special Collection].

Individuelle Heilige der Letzten Tage sprechen davon, wie sie vom Heiligen Geist rechtschaffenes Handeln gezeigt bekommen, vor Gefahren und Übeln gewarnt und anderweitig inspiriert und geführt werden. Eine Schwester, die über ihr Leben nachdachte, schrieb, dass der Heilige Geist „warnt, berät, zurechtweist, empfiehlt, anweist und wenn nötig befiehlt“ (YWJ 27 [Nov. 1916]:691-92). Veränderungen in der Motivierung werden festgehalten, ebenso Infusionen von Energie, Einfühlungsvermögen, Einsicht, Heilungskraft und Schönheit und auch Verfeinerungen von Talenten, Kommunikationsfähigkeiten und christusähnlicher Liebe.

Eindrücke des Heiligen Geistes kommen oft nach viel Vorbereitung durch Fasten, Beten, Dienen und Studium. Zu anderen Zeiten kommen sie ohne Bitten und in unerwarteten Augenblicken als ein „sanftes, leises Säuseln“ (1 Kön. 19:12). Der Prophet Joseph Smith sagte, dass das Wort des Herrn „einen solchen Einfluss auf den menschlichen Verstand hat - den logischen Verstand - dass es ohne ein weiteres Zeugnis überzeugt“ (HC 5:526). Joseph Smith bemerkte ferner: „Plötzliche Gedankeneingebungen“ vom Heiligen Geist begleiten einen Strom reiner Intelligenz (LPJS, S. 153), „die Antwort kommt in meinen Verstand in einer so logischen Reihenfolge der Gedanken und Ideen und in Begleitung eines derartigen Brennens in mir, dass ich weiß, dass es von Gott ist“ (zitiert in W. Berrett, „Revelation“, Rede an den Seminar- und Institutslehrkörper, Brigham Young Universität, 27. Juni 1956, S. 9).

Solche Einflüsse und Eindrücke vom Heiligen Geist können als Inspiration inmitten von Pflichten daheim, bei der Arbeit oder in Kirchenberufungen oder als Selbsterkenntnis in den niedrigsten tagtäglichen Aufgaben kommen. Zu typischen berichteten Beispielen gehören ein Einblick in celestiale Ursprünge und das Schicksal (Heber C. Kimball), Eindrücke von bevorstehenden Ereignissen (Wilford Woodruff), Führung und Beruhigung in emotionellen Krisen sowie dem Tod eines lieben Menschen (Zina D. H. Young) oder Einsichten und Stärken in drängenden praktischen Nöten oder Notlagen (Amanda Smith). Viele Mitglieder der Kirche bezeugen, dass sie Inspiration in kreativen Prozessen empfangen, zum Beispiel wenn sie religiöse Poesie, Dramen, Musik oder Schriftkommentare schreiben oder eine Lösung zu einem wissenschaftlichen oder genealogischen Forschungsproblem suchen. Persönliche Offenbarung ist wahrscheinlich die am meisten mitgeteilte und einigende Form religiöser Erfahrung unter Heiligen der Letzten Tage. Sie kann auch das Vertrauen erkIären, mit dem viele Heilige der Letzten Tage religiöse Entscheidungen treffen.

Heilige der Letzten Tage können einen individuellen Segen von einem Priestertumsträger empfangen, worin sie die Führung des Heiligen Geistes suchen. (Siehe Väterlicher Segen, Patriarchalischer Segen) Durch solche persönlichen Erfahrungen haben die meisten Heiligen der Letzten Tage nötige Führung, Wiederherstellung geistiger und körperlicher Gesundheit oder andere göttliche Hilfe empfangen. Ein Kirchenführer beschreibt das Spenden und Empfangen von Segen als vitalisierend und erleuchtend und durch „eine essentielle Macht oder Kraft“ im heiligen Priestertum innewohnend. Tagebücher berichten gewöhnlich über Erfahrungen folgender Art: „Er segnete mich. Ich fühlte den Einfluss und die Macht des Herrn auf ihm und auf mir. Ich habe diesen Segen von jenem Tag an nie vergessen und werde es auch nie“ (Ezra T. Clark).

Eine Vielfalt an Manifestationen des Geistes - Visionen, Träume, Erscheinungen, Kontakt mit Toten, wundersame Hilfe in Antwort auf Gebete -  sind in jeder HLT-Gemeinschaft bekannt, obwohl sie gewöhnlich nicht öffentlich verkündet  werden. (Siehe Gaben des Geistes) Zum Beispiel berichtete Karl G. Maeser, er habe die Gabe der Interpretation erfahren, wo alle Sprach- und Kulturschranken wegfielen. Franklin D. Richards erhielt die Gabe prophetischer Träume, James G. Marsh die Gabe der Visionen und Lucy Mack Smith die Gabe des Glaubens.

Zu religiösen HLT-Erfahrungen gehören auch pfingstartige Ausgießungen, dramatische und überwältigende geistige Manifestationen, die viele Leute gleichzeitig erlebten und privat niederschrieben. Von den grundlegenden Erfahrungen der Wiederherstellung wurden die wichtigsten mitgeteilt, bezeugt und schriftlich festgehalten. Jede Übertragung göttlicher Priestertumsvollmacht wude von mindestens zwei Personen geteilt (Siehe Aaronisches Priestertum: Wiederherstellung, Melchisedekisches Priestertum: Wiederherstellung des Melchisedekischen Priestertums) und umfasste Erscheinungen wie die von Mose und Elija auf dem Berg der Verklärung (Mt. 17:2-4). Hier war die Erfahrung nicht weniger objektiv als die Sinnesübertragung-Erfahrung. Mehrere hundert erlebten das Ausgießen der geistigen Gaben in der Kirtland-Tempelweihung. (Siehe Backman, S. 284-309) Mehrere tausend, einschließlich vieler Kinder, waren in Nauvoo zugegen, als der „Mantel“ auf Brigham Young fiel und er durch Vorsehung bestimmt in Joseph Smiths Ebenbild erschien. (Siehe Nachfolge in der Präsidentschaft) Etwa 63.000 nahmen an den Weihungssessionen des Salt Lake Tempels teil, und viele berichteten, sie sahen Visionen und hörten himmlische Musik.

HLT-Tagebücher sind voll von Zeugnissen, dass der Geist des Herrn alle Sinne belebt - Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten - und dass man sich körperlich lebendiger und bewusster fühlt, wenn man geistig erweckt ist. Diese Erleuchtung ist mehr als ein Hilfsmittel der physischen Wahrnehmung, sie ist ein Mittel zum Verstehen. Heilige der Letzten Tage sprechen manchmal von einem „sechsten Sinn“, der mit den anderen Sinnen in Wechselbeziehung steht und Geistiges versteht. Alles „wird unserem Geist so offenbart, als hätten wir gar keinen Körper“ (LPJS, S. 361). Man mag „mit der Herrlichkeit [seines] früheren Zuhauses“ erleuchtet sein (J. F. Smith, GD, S. 14) und wie Eliza R. Snow sagen wollen: „War in jenen lichten Räumen nicht bei dir mein Heimatland?“ („O mein Vater“, Gesangbuch Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Nr. 190, Frankfurt am Main, 1996).

Viele Heilige der Letzten Tage berichten solche Erfahrungen im Zusammenhang mit Tempelverordnungen, wo sie ein Einssein mit verstorbenen Freunden und Verwandten spüren - „sie sind nicht fern von uns; sie kennen und verstehen unsere Gedanken, Gefühle und Regungen, was ihnen oftmals Schmerzen bereitet“ (LPJS, S. 333) - und scheinen das Reich der Geisterwelt „zu sehen und zu hören“ (J. Grant, JD 4:134-36).

Geistige HLT-Erfahrungen werden oft mit dem Schriftenstudium in Verbindung gebracht. Ein Bekehrter hatte die gesamte Bibel auf Hebräisch, Deutsch und Englisch gemeistert. Nachdem er die Gabe des Heiligen Geistes erhalten hatte, fand er neue Bedeutung in vertrauten Versen (O. Hyde, JD 8:23-24). Ein anderer, der die Bücher im Neuen Testament auswendig gelernt hatte, fand, nachdem er den Heiligen Geist empfangen hatte, dass „neues Licht in ihm aufging“ , „in starkem Relief“, was das Buch Mormon klarstellt und bestätigt: „Wahrheiten wurden mir manifestiert, von denen ich nie gehört oder über die ich nie etwas gelesen hatte, aber die ich nachher von Dienern des Herrn gepredigt hörte“ (C. Penrose, JD 23:351). Wieder ein anderer betete während seiner Jugend um eine großartige Kundgebung und lernte langsam  sein Leben lang, „Zeile um Zeile, Weisung auf Weisung“, bis er das Gefühl hatte, dass sein ganzes Wesen ein Zeugnis der Wahrheit war (J. F. Smith, GD, S. 501-550).

Heutzutage werfen psychologische, positivistische und existentielle Denkrichtungen Fragen zum religiösen Bewusstsein auf. Man beschäftigt sich viel mit Bedeutungskriterien und mit der Logik religiösen Diskurses. Insgesamt gesehen schlagen die religösen HLT-Erfahrungen aber vor, dass 

BIBLIOGRAPHIE

Backman, Milton V., Jr. The Heavens Resound, S. 284-309. Salt Lake City, 1983.

Madsen, Truman G. „Joseph Smith and the Ways of Knowing“. BYU Extension Publications, Provo, Utah, 1962.

TRUMAN G. MADSEN

(c) 2008 South German Mission Foundation