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CA. 1878 bis 1898, SPÄTERE UTAH-PIONIERPERIODE

[Dieser Artikel befaßt sich mit den Anpassungsschwierigkeiten der Kirche nach dem Tod Brigham Youngs, als sich die Kirche dem Zwang der Anpassung an die damaligen amerikanischen Sittenvorstellungen gezwungen sah. Nach einem Überblick über die damalige Zeit befaßt sich dieser Beitrag mit den organisatorischen Veränderungen, den Wirtschaftsprogrammen, den Gründungen neuer HLT-Siedlungen sowie der Missionsarbeit und konzentriert sich in der Folge auf die Probleme in Zusammenhang mit der MEHREHE und dem MANIFEST VON 1890, das das offizielle Ende der Mehrehe bedeutete. Die Folgen des Manifests waren die Verleihung der Eigenstaatlichkeit Utahs (siehe UTAH, EIGENSTAATLICHKEIT DES BUNDESSTAATES UTAH), die Verstärkung der Missionsarbeit, der religiösen Bildung sowie die geringere Einflußnahme der Kirche auf die Wirtschaft (siehe PIONIERZEIT, DIE WIRTSCHAFT IN DER PIONIERZEIT).

Einen Überblick über das Alltagsleben und was es bedeutete, damals als Heiliger der Letzten Tag zu leben, enthält der Artikel PIONIERZEIT, LEBEN UND RELIGION IN DER PIONIERZEIT. Zusätzliche Information über die KOLONISIERUNG neuer Gebiete enthalten die Artikel über Pioniersiedlungen in ARIZONA, COLORADO, IDAHO, KANADA, MEXIKO, NEVADA, NEW MEXICO und WYOMING. Zum Thema Mehrehe siehe RECHTSGESCHICHTE DER KIRCHE; MEHREHE, GESETZGEBUNG GEGEN DIE MEHREHE; REYNOLDS GEGEN DIE VEREINIGTEN STAATEN und MANIFEST, DAS MANIFEST VON 1890.]

Während der Wachstumsphase der Kirche von 1878 bis 1898 hatte die Kirche große Schwierigkeiten und erfuhr einschneidende Veränderungen. Unter den Präsidenten John TAYLOR <Taylor, John> und Wilford WOODRUFF <Woodruff, Wilford> mußte die Kirche mit großen Herausforderungen fertig werden. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 1879, die die Aufrechterhaltung der GESETZGEBUNG GEGEN DIE MEHREHE zur Folge hatte, führte zu einem Jahrzehnt immer strengerer Durchführungen noch strengerer Gesetze. Angesichts der Bedrohung seitens der US-Regierung und den Bestrebungen nach Eigenstaatlichkeit rückte die Kirche von der Praxis der Mehrehe <Mehrehe> ab und gab ihre einst so unverrückbare wirtschaftliche und politische Vormachtstellung innerhalb des UTAH-TERRITORIUMS auf. In den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts beschritt das Utah-Territorium und dessen HLT-Bevölkerung den Weg der Amerikanisierung.

Auch wenn diese Jahre durch die ständigen Auseinandersetzungen mit der amerikanischen Bundesregierung gekennzeichnet waren, so waren es doch auch Jahre eines bemerkenswerten Wachstums. Die Mitgliederzahl der Kirche verdoppelte sich (von 115.065 auf 229.428), ebenso die Anzahl der Pfähle (von 252 auf 516). Die Siedlungen der Heiligen der Letzten Tage reichten bis nach Mexiko und Kanada. Mit verstärkter Missionsarbeit wuchs auch die Anzahl der Missionen (von 8 auf 20). Die Arbeit der Priestertumskollegien wurde systematischer, und die Generalautoritäten besuchten nun Pfahl- und Gemeindekonferenzen auf regelmäßiger Basis. Die Hilfsorganisationen wurden fester Bestandteil der Pfähle, und es wurden Präsidentschaften der Hilfsorganisationen der Kirche sowie Ausschüsse berufen. In Utah wurden drei neue Tempel fertiggestellt - somit gab es in Utah nun insgesamt vier Tempel.

Nach Präsident Youngs <Young, Brigham> Tod im August 1877 berief das Kollegium der Zwölf nicht sofort eine neue Erste Präsidentschaft. John Taylor präsidierte bis zum Oktober 1880 über die Kirche. Unter seiner Führung schloß das Kollegium der Zwölf die Umorganisierung der Gemeinden und Pfähle ab, die Präsident Young begonnen hatte.

Es begann sodann der Ausbau der Hilfsorganisationen. Im Jahr 1880 wurden drei der Zwölf Apostel (Elder Wilford WOODRUFF, Elder Joseph F. SMITH <Smith, Joseph F.> und Elder Moses Thatcher <Thatcher, Moses>) Superintendenten der “Young Mens’ Mutual Improvement Association” [Gemeinschaftliche Fortbildungsvereinigung junger Männer] und leiteten die neu geschaffenen GFV-Hauptausschüsse und Komitees, die es zuerst in den Landkreisen Utahs und später in allen Pfählen gab. Die “Young Ladies’ Retrenchment Association” wurde 1878 zur “Young Ladies’ Mutual Improvement Association” [Gemeinschaftliche Fortbildungsvereinigung junger Damen]. Noch im gleichen Jahr gab es GFVJD-Ausschüsse in den Pfählen und ab 1880 die kirchenweite GFVJD, deren Präsidentin Elmina S. TAYLOR <Taylor, Elmina S.> war. Die Primarvereinigung - eine neue Organisation für Kinder - wurde 1878 in Farmington, Utah, gegründet. Nachdem andere Gemeinden ebenfalls die Idee der PV aufgriffen, wurde 1880 die kirchenweite Primarvereinigung gegründet, deren Präsidentin Louie B. Felt <Felt, Louie B.> wurde. Eliza R. SNOW <Snow, Eliza R.>, die Präsidentin der Frauenhilfsvereinigung, leitete weiterhin die Arbeit der Frauen in der Kirche, wozu nun aber auch die GFVJD und die PV gehörten. Elder George Q. Cannon <Cannon, George Q.> von der Ersten Präsidentschaft blieb weiterhin Superintendent der Sonntagsschule. In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren wurden Sonntagsschule, FHV und GFV auch auf den Britischen Inseln und in Skandinavien eingeführt.

Die rechtlichen Verwirrungen rund um Brigham Youngs Testament wurden für die Zwölf Apostel zu einer großen Belastung. Weil ein amerikanisches Bundesgesetz den Kirchenbesitz stark eingeschränkt hatte, hatte Präsident Young <Young, Brigham> die Aufsicht über ein verwirrendes Konglomerat an Privat- und Kirchenbesitz geführt. Zwischen seinen Erben und der Kirche kam es im Jahr 1879 jedoch zur außergerichtlichen Einigung.

Das Jahr 1880, der 50. Geburtstag der Kirche, wurde nach der altjüdischen Tradition zum Jubeljahr erklärt, um den Bedürftigen zu helfen. Aus den Finanzbüchern des AUSWANDERUNGSFONDS wurden Schulden in der Höhe von 802.000 US-Dollar (die Hälfte des Gesamtbetrages) gestrichen. An die Bedürftigen wurden Rinder und Schafe verschenkt, und den würdigen Armen wurde die Hälfte ihres unbezahlten Zehntens nachgelassen. Die Frauenhilfsvereinigung stellte als Hilfe an die von der Dürre heimgesuchten Farmer aus ihren Vorräten 35.000 Scheffel (1 US-Scheffel = 36,37 Liter) Weizen zur Verfügung.

Im Oktober 1880, drei Jahre nachdem sie die Führung der Kirche übernommen hatten, riefen John Taylor und die Zwölf Apostel wiederum eine Erste Präsidentschaft ins Leben, und zwar mit John Taylor <Taylor, John> als Präsident, und seinen Ratgebern George Q. Cannon und Joseph S. Smith, die bereits unter Brigham Young Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft gewesen waren.

In den Jahren 1882 und 1883 empfing Präsident John Taylor Offenbarungen, die eine Umgestaltung des Siebzigerkollegiums zur Folge hatten. Zum ersten Mal wurden die 76 örtlichen Kollegien nach geographischen Erwägungen eingeteilt, wobei jeder Siebziger einem bestimmten geographischen Gebiet zugeteilt wurde. In den Jahren 1884 bis 1888 wurden 25 neue Siebzigerkollegien gegründet. Diese Umorganisierung schenkte den Siebzigern neuen Elan, und schon kurz nach den erfolgten Änderungen gingen erheblich mehr Siebziger auf Vollzeitmission als zuvor.

In jenen Jahren nahm auch die Zahl der von der Kirche herausgegebenen Zeitschriften zu. Für die Jugend gab es zwei Zeitschriften, nämlich den Contributor <Contributor-Zeitschrift> (von 1879–1896) für Jungen, und das Young Woman’s Journal <Young Woman’s Journal, Zeitschrift> (1889–1896) für Mädchen. Der Morgenstjernen <Morgenstjernen, dänische Zeitschrift> (1882–1885), eine einmalige Zeitschrift in dänischer Sprache, wurde als The Historical Record <The Historical Record, eine dänische Zeitschrift in englischer Sprache> (1886–1890) in Englisch fortgeführt. Die Sonntagsschule gab 1884 ihr erstes Notenbuch heraus, und das Buch Mormon erschien 1878 zum ersten Mal auf Schwedisch. Im Jahr 1880 nahm die Kirche nach erfolgter allgemeiner Abstimmung das Buch “Die Köstliche Perle” <Köstliche Perle> als heilige Schrift an, wodurch die Kirche nun vier heilige Schriften besaß. Im Jahr 1879 erschienen auch Neuauflagen des Buches Mormon und der “Lehre und Bündnisse”, wobei Elder Orson Pratt <Pratt, Orson> die Einteilung in Kapitel und Verse, Querverweise und Anmerkungen vorgenommen hatte.

Präsident John Taylor rief ein neues Wirtschaftsprogramm ins Leben, das weniger starr organisiert war und einen Mittelweg zwischen Privatwirtschaft und Gruppenplanung darstellte. Das zentrale Wirtschaftskomitee “Zion’s Central Board of Trade” förderte gemeinschaftliche Unternehmen, indem es Unternehmer unterstützte, neue Marktlücken entdeckte, Farmer und Produzenten mit Information versorgte, den der HEIMARBEIT hinderlichen Wettbewerb unterband und manchmal sogar die Löhne und Preise regulierte. In den Pfählen gab es eigene Wirtschaftskomitees, die mit dem zentralen Komitee zusammenarbeiteten. Mormonenfeindliche Aktionen bereiteten diesen Komitees noch vor 1885 ein Ende. Der Pionier und Präsidierende Bischof Edward Hunter <Hunter, Edward, Präsidierender Bischof der Kirche>, der seit den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts dieses Amt innegehabt hatte, starb 1883. Sein Nachfolger wurde William B. Preston <Preston, William B., Präsidierender Bischof>.

Während der achtziger Jahre entwickelte die Frauenhilfsvereinigung ihre Programme weiter, die sie bereits in den siebziger Jahren ins Leben gerufen hatte, nämlich die Getreidebevorratung, den Bau gemeindeeigener FHV-Versammlungsräumlichkeiten und Kommissionsläden, Ausbildungslehrgänge für Krankenpflege und Geburtshilfe, Hilfsorganisationen für Kinder und Mädchen, die Sorge um das geistige Wohl der Frauen und die Verbesserung der Armenfürsorge. An neuen Vorhaben gab es 1882 die Gründung des DESERET-KRANKENHAUSES ( das zweite Krankenhaus Utahs und das erste von der Kirche geführte Krankenhaus). Der Tod Eliza R. SNOWS <Snow, Eliza R. stirbt> im Jahr 1887 bedeutete das Ende einer großen Ära der Frauenhilfsvereinigung. Zina Diantha H. YOUNG <Young, Diantha H.> folgte ihr 1888 als Präsidentin der FHV nach.

Trotz großer Schwierigkeiten blieb die Kirchenführung ihrem Vorhaben treu, möglichst vielen Heiligen der Letzten Tage die Segnungen des Tempels zugänglich zu machen. Am 17. Mai 1884 weihte Präsident John Taylor nach dem St. George-Tempel <St. George-Tempel> den zweiten Tempel Utahs, nämlich den Tempel in Logan <Logan-Tempel>, der fast auschließlich durch Spenden an Geld, Baumaterialien und Arbeitsleistung errichtet worden war und geschätzte 800.000 Dollar gekostet hatte. Der dritte Tempel in Utah, nämlich der Manti-Tempel <Manti-Tempel>, hatte beinahe 1 Million Dollar gekostet und wurde 1888 von Elder Lorenzo SNOW <Snow, Lorenzo weiht den Manti-Tempel>, einem Mitglied des Kollegiums der Zwölf, geweiht. Die Arbeit am Salt-Lake-Tempel <Salt-Lake-Tempel> ging ebenfalls voran, wurde aber erst 1893 zu Ende geführt.

Die Kolonisierung schritt voran. Zwischen 1876 und 1879 wurden ganze 100 neue Siedlungen außerhalb Utahs und über 20 neue Siedlungen innerhalb des Territoriums gegründet. Die HLT-Siedlungen in Arizona nahmen immer mehr an Zahl zu. Die Pfähle, die 1878 und 1879 in der Nähe des Little Colorado Flusses gegründet worden waren, wurden 1887 in die neu gegründeten Pfähle St. Johns und Snowflake eingegliedert. Im Jahr 1883 wurden die am Gila- und Salt-River gelegenen Pfähle St. Joseph und Maricopa gegründet. Auch in Nevada entstanden neue HLT-Ansiedlungen, ebenso im östlichen Utah, wo 1882 der Pfahl Emery gegründet wurde, ebenso im südöstlichen Utah und in den angrenzen Gebieten von Colorado und New Mexiko, wo 1883 der Pfahl San Juan entstand. Viele Bekehrte aus den amerikanischen Südstaaten ließen sich im San-Luis-Tal in Mittel-Colorado nieder, wo aus ihren Siedlungen im Jahr 1883 der Pfahl San Luis gegründet wurde.

Die Gesetzgebung gegen die Mehrehe veranlaßte die Kirchenführung dazu, Kolonien außerhalb des Zugriffs der amerikanischen Justiz in Mexiko und Kanada zu gründen. Nach Präsident Taylors im Jahr 1885 erfolgten Besuches in Mexiko zogen Hunderte Heilige der Letzten Tage nach Chihuahua und gründeten in einer Gegend Kolonien, die noch heute als mexikanische “Mormonenkolonien” bezeichnet werden. (Siehe MEXIKO, PIONIERSIEDLUNGEN IN MEXIKO.) Diese Siedlungen gehörten ursprünglich zur Mexiko-Mission. Innerhalb eines Jahrzehnts zogen über 3000 Heilige der Letzten Tage dorthin und gründeten neue Kolonien. Im Jahr 1895 wurde für die dortigen Heiligen der Letzten Tage der Pfahl Juárez gegründet.

Auf Geheiß von Präsident John Taylor machte sich der Präsident des Pfahles Cache, Charles Ora Card <Card, Charles Ora>, im Jahr 1886 auf die Suche nach neuen Zufluchtsstätten für die Heiligen der Letzten Tage im südlichen Alberta in Kanada. (Siehe KANADA, HLT-PIONIERSIEDLUNGEN IN KANADA.) Im darauffolgenden Frühjahr gründeten Neuankömmlinge aus Utah 22 Kilometer nördlich der amerikanischen Grenze den Ort Cardston. Es entstanden neue Siedlungen in Aetna (1888) und Mountain View (1893). Im Juni 1895 wurde der Pfahl Alberta zum ersten außerhalb der USA gegründeten Pfahl (der Pfahl Salt-Lake gehörte damals zum mexikanischen Territorium.)

Die Missionsarbeit zeigte beachtliche Erfolge, brachte aber große Probleme mit sich. Zwischen 1879 und 1889 bestand eine kleine Mission in Mexiko, wo ca. 242 Mitglieder lebten. In Neuseeland wurde 1883 eine Mission bei den Maoris gegründet. Im Jahr 1884 gründete Jacob Spori <Spori, Jacob> die Türkei-Mission, zu der auch Palästina gehörte. Die Anzahl der nach Europa gesandten Missionare nahm immer mehr zu. Die Einwanderung europäischer Mormonen nach Utah stieg trotz mormonenfeindlicher Propaganda kontinuierlich an, auch wenn amerikanische Politiker europäische Regierungsvertreter baten, die Mormonen an der Auswanderung zu hindern. Ihre Bitte wurde einfach ignoriert.

Nach Gründung einer Mission in den amerikanischen Südstaaten im Jahr 1875 kam es nach Taufen hin und wieder zu Gewalttätigkeiten. Aus manchen Orten wurden die Missionare gewaltsam vertrieben, und im Jahr 1879 wurde Elder Joseph Standing <Standing, Joseph in Georgia ermordet> in Georgia von einem Pöbelhaufen erschossen. In Cane Creek, Tennessee, wurden zwei Missionare und zwei Einheimische, die Interesse an der Kirche bekundet hatten, vom Pöbel ermordet.

Getrieben von dem Bedürfnis, die Kirchengeschichte aus einem unparteiischen Blickwinkel heraus schreiben zu lassen, machte die Kirchenführung dem in Kalifornien lebenden Historiker Hubert Howe Bancroft <Bancroft, Hubert Howe, Historiker> eine Vielzahl an Unterlagen zugänglich. Die von Bancroft verfaßte und 1889 erschienene History of Utah <History of Utah> war eine der ersten wissenschaftlichen Abhandlungen über die Kirchengeschichte, die von einem Nichtmormonen verfaßt und in der die Kirche objektiv behandelt wurde.

Im Jahr 1879 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des Mehreheverbots aus dem Jahr 1862, weswegen die Mehrehe <Mehrehe> auch weiterhin strafbar blieb. (Siehe REYNOLDS GEGEN DIE VEREINIGTEN STAATEN.) Je mehr neue Gesetze verabschiedet und die Mehrehe strafrechtlich verfolgt wurde, desto mehr beschränkten sich die Möglichkeiten der in Mehrehe lebenden Väter und Ehemänner auf vier Möglichkeiten: Ihre Familien zu verlassen, sich zu verstecken, sich gerichtlich belangen zu lassen oder die USA zu verlassen. Trotz dieser Krisensituation weigerte sich Präsident Taylor, seine Familien zu verlassen und meinte, daß er bei einem Konflikt zwischen den Gesetzen der Menschen und dem Gesetz Gottes eher Gott gehorchen würde. Deswegen riet er auch den anderen Generalautoritäten davon ab, ihre Familien zu verlassen. Die Angriffe auf die Mehrehe kamen nun aus allen Richtungen und wurden oft von anderen Kirchen in die Wege geleitet. Als nationale Frauenrechtsgruppen den amerikanischen Präsidenten Rutherford B. Hayes <Hayes, Rutherford B., US-Präsident> dazu drängten, die Polygamisten in Utah gerichtlich verfolgen zu lassen, unterschrieben 2000 HLT-Frauen eine Resolution, in der sie darauf hinwiesen, daß die Mehrehe eine religiöse Praxis sei, die unter dem Schutz der Verfassung stünde.

Verbitterung zwischen den Heiligen der Letzten Tagen und den Nichtmormonen herrschte nicht nur im übrigen Amerika, sondern auch in Utah selbst. Der öffentliche Druck brachte den amerikanischen Kongreß dazu, im Jahr 1882 das Edmunds-Gesetz <Edmunds-Gesetz> zu verabschieden, das für Polygamie eine unbedingte Haftstrafe von fünf Jahren sowie eine Geldstrafe in der Höhe von 500 Dollar vorsah, ebenso sechs Monate Haft und eine Geldstrafe von 300 Dollar für widerrechtlichen Beischlaf (siehe MEHREHE, GESETZGEBUNG GEGEN DIE MEHREHE). Wer sich der Mehrehe oder des widerrechtlichen Beischlafs schuldig gemacht hatte, verlor seine Bürgerrechte und durfte nicht als Geschworener einberufen werden, kein öffentliches Amt bekleiden und verlor sein Wahlrecht. Es wurde eine fünfköpfige Kommission eingesetzt, die sich mit der Registrierung der Wahlberechtigten und der Durchführung der Wahlen befaßte. Nur die vor dem 1. Januar 1883 geborenen und aus Mehrehen stammenden Kinder wurden zu ehelichen Geburten erklärt, wobei der amerikanische Präsident nach freiem Ermessen verfahren und Ausnahmen machen konnte.

Die Utah-Kommission nahm im Jahr 1882 ihre Arbeit auf und erklärte zunächst, daß jedem, der jemals in Mehrehe gelebt hätte (auch vor dem Mehreheverbot aus dem Jahr 1862) das Wahlrecht entzogen würde. Da die Kommission den Wählern einen besonderen Testeid abverlangte, daß sie nicht in Übertretung des Mehreheverbotes lebten, wurde innerhalb eines Jahres über 12.000 Heiligen der Letzten Tage das Wahlrecht entzogen. Im Jahr 1885 entschied der Oberste Gerichtshof jedoch, daß dieser Testeid gegen die amerikanische Verfassung verstoße.

Der Kampf gegen die Polygamisten stellte in Utah, Idaho und Arizona eine schwere Störung des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens dar. Die in Mehrehe lebenden Männer und deren Familien mußten sehr viel mitmachen, ebenso die Kirche selbst. Ansonsten gesetzestreue Ehemänner und Väter (aber auch einige Frauen und Kinder) wurden zu Flüchtlingen im “Mormonen-Untergrund”, wo sie häufig von einem Ort zum anderen flüchten mußten, um dem US-Marshal zu entkommen, der Jagd auf die “cohabs” (“Polygamisten”) machte. Die Heiligen der Letzten Tage errichteten in Häusern, Scheunen und Feldern geheime Verstecke, Geheimzeichen zur Warnung, und stellten Beobachter auf, die nach dem Marshal Ausschau hielten. Die Deputy-Marshals (von den Mormonen “deps” genannt) verkleideten sich als Hausierer oder Volkszähler und heuerten eigene Beobachter an, um Kinder und Nachbarn auszufragen und sonstwie das Privatleben der Menschen zu stören. Für jeden verhafteten “Polygamisten” wurde ein Kopfgeld ausbezahlt. Viele Familien litten große Not, da sich die Frauen allein um die Landwirtschaft kümmern mußten, während sich ihr Ehemann versteckte. Frauen, die sich weigerten, gegen ihren Mann auszusagen, wurden inhaftiert. Viele Männer, Frauen und Kinder lebten lange Zeit in schrecklicher Angst und unter großen Entbehrungen.

Zwischen 1884 und 1893 verbüßten in Utah 939 Heilige der Letzten Tage nach Verurteilungen in Zusammenhang mit der Mehrehe Gefängnisstrafen. In Idaho und Arizona erging es den Heiligen der Letzten Tage ähnlich schlecht. Wegen Überfüllung der Gefängnisse in Arizona wurden die Verurteilten in ein Gefängnis nach Detroit überstellt. Ein Mann aus Utah, Edward M. Dalton <Dalton, Edward M.>, wurde von einem ihn verfolgenden Deputy getötet, was den Zorn der Heiligen der Letzten Tage gegen die Regierung noch mehr entfachte; ebenso ein Entscheid des Obersten Gerichtshofes, daß ein Mann, der seine Frauen, mit denen er in Mehrehe gelebt hatte, zwar verlassen hatte, der aber auch weiterhin zu ihrem Unterhalt beitrug, sich dennoch desselben Vergehens schuldig machte.

Durch diese Situation wurden die Aktivitäten der Kirche erheblich eingeschränkt. Präsident Taylor entzog sich durch häufige Reisen der Verhaftung. In seiner letzten öffentlichen Ansprache kritisierte er die seiner Ansicht nach bestehende Vergewaltigung des Rechts und zog sich sodann in den Untergrund zurück. Einige Apostel begaben sich ebenfalls ins Exil und gingen in entfernt gelegenere Gebiete des Westens oder nach Mexiko, Kanada oder Hawaii auf Mission. Andere gingen nach Europa oder zu den Indianern auf Mission. Auch viele Bischöfe und Pfahlpräsidenten versuchten, der Verhaftung zu entgehen.

Zwischen 1884 und 1887 wurden die Generalkonferenzen in Provo, Logan und Coalville anstatt in Salt Lake City abgehalten, um den Teilnehmern eine etwaige Verhaftung zu ersparen. Nur wenige Generalautoritäten nahmen an diesen Generalkonferenzen teil. Elder Franklin D. Richards <Richards, Franklin D.>, ein Apostel, dem keine Verhaftung drohte, weil seine zweite Frau bereits verstorben war, präsidierte bei diesen Konferenzen. Präsident Taylor und Präsident Cannon verfaßten Sendschreiben, die Belehrungen für die Mitglieder enthielten.

Präsident Taylor leitete die Kirche per Post. Über zwei Jahre lang blieb er im Untergrund und lebte vom Großteil seiner Familie und seiner Freunde getrennt. Er starb am 25. Juli 1887 in Kaysville, Utah, im Exil, nachdem er beinahe 49 Jahre lang der Kirche als Generalautorität gedient hatte. Zum Zeitpunkt seines Todes waren bereits so gut wie alle Siedlungen in Utah von US-Marshals durchkämmt worden. Hunderte Heilige der Letzten Tage lebten in Kanada und Mexiko als Flüchtlinge und fast die gesamte Kirchenführung befand sich im Untergrund. Bei seinem Begräbnis in Salt Lake City wurde er als doppelter Märtyrer geehrt, dessen Blut im Gefängnis von Carthage gemeinsam mit dem von Joseph und Hyrum SMITH <Smith, Joseph und Hyrum> vergossen worden war und der dann aufgrund der Verfolgungen seitens der Regierung im Exil hatte sterben müssen.

Wiederum stand nun der Rat der Zwölf an der Spitze der Kirche, diesmal unter der Führung des amtsältesten Apostels Wilford Woodruff <Woodruff, Wilford>, der die Kirche anfangs vom Untergrund aus leitete, bis anläßlich der Generalkonferenz vom April 1889 eine neue Erste Präsidentschaft gegründet wurde. Elder Woodruff wurde Präsident der Kirche und George Q. Cannon <Cannon, George Q.> und Joseph F. SMITH <Smith, Joseph F.> seine Ratgeber. Dies sollte das letzte Mal sein, daß die Zwölf Apostel die Umbildung der Ersten Präsidentschaft nach dem Tode des Präsidenten der Kirche hinauszögerten. Im Dezember 1892 wies Präsident Woodruff den damals amtsältesten Apostel Lorenzo Snow an, im Falle seines (Woodruffs) Todes die Erste Präsidentschaft sofort umzubilden, da eine längere Unterbrechung dem Herrn nicht gefällig sei.

Im Jahr 1887 wurde der amerikanischen Regierung klar, daß sich die Kirche dem Mehreheverbot nicht zu beugen gewillt war, also erließ der Kongreß noch strengere Maßnahmen, und zwar das sogenannte “Edmunds-Tucker-Gesetz” <Edmunds-Tucker-Gesetz>, das die Kirche als politische und wirtschaftliche Institution vernichten sollte, um die Heiligen dadurch zur Aufgabe der Mehrehe zu zwingen. Kraft dieses Gesetzes wurde die Kirche als gesetzliche Körperschaft aufgelöst, sie verlor allen Besitz, der über die Höhe von 50.000 Dollar hinausging, der Auswanderungsfonds wurde aufgelöst, das in ihm enthaltene Geld eingezogen und die NAUVOO-LEGION <Nauvoo-Legion> (die Miliz des Territoriums) aufgelöst. Zur Erleichterung der strafrechtlichen Verfolgung schrieb das Gesetz eine verpflichtende Teilnahme der Zeugen am Prozeß vor und bestätigte die Rechtmäßigkeit des Vorgehens, Ehefrauen zur Aussage gegen ihre Männer zwingen zu können. Bezirksnachlaßrichter, die bei der Auswahl der Geschworenen mitzuwirken hatten, mußten immer erst vom Präsidenten der Vereinigten Staaten bestellt werden. Bundesbeamte leiteten die Schulen, und jede Eheschließung mußten von einem Nachlaßgericht bestätigt werden. Durch das “Edmunds-Tucker-Gesetz” wurden alle aus Mehrehen stammende Kinder, die mindestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes geboren worden waren, automatisch enterbt. Das Frauenwahlrecht wurde abgeschafft und ein neuer Testeid eingeführt. Niemand durfte wählen, als Geschworener einberufen werden oder ein öffentliches Amt bekleiden, der nicht zuvor eine eidesstattliche Erklärung unterzeichnet hatte, in der er seinen Gehorsam gegenüber dem Mehreheverbot bezeugte.

Die Bundesbeamten bemühten sich eifrigst, die Führer der Kirche zu verhaften und einzusperren. Präsident Woodruff lebte in der Nähe von St. George im Untergrund und führte die Kirche durch Briefe und private Zusammenkünfte. George Q. Cannon, sein Erster Ratgeber, wurde im Februar 1886 verhaftet, leistete eine Kautionszahlung, tauchte dann bis zum Jahr 1888 unter und stellte sich erst dann den Behörden, als ein weniger strenger Richter das Amt übernommen hatte. Er leistete eine Haftstrafe von 175 Tagen ab und zahlte 450 Dollar Buße. Da er im Gefängnis Besucher empfangen durfte, erledigte er seine persönlichen und kirchlichen Aufgaben auf diese Art und Weise. Vom Gefängnis aus leitete er die Sonntagsschule und schrieb seine Joseph-Smith-Biographie fertig. Seine Gegenwart stärkte die anderen mitinhaftierten Polygamisten. Die Heiligen der Letzten Tage betrachteten ihre Häftlinge als Märtyrer und bereiteten ihnen nach der Haftentlassung einen Galaempfang.

Die Verhaftungen der Mitglieder der Kirche stellten ein ernsthaftes Problem dar, aber noch schlimmer war die Tatsache, daß die Kirche keine Gelder einnehmen bzw. ausgeben konnte, um ihr Werk voranzutreiben, und daß sie alle finanziellen Rechte verloren hatte. Um Realitäten und Privatbesitz in der Höhe von 3 Millionen Dollar vor der Konfiszierung zu schützen, bat die Kirche prominente Mitglieder, als Treuhänder für Kirchenbesitz zu fungieren. Es wurden gemeinnützige Organisationen gegründet, denen Grundbesitz (u.a. die drei in Utah bestehenden Tempel) übertragen wurden. Organisationen im Namen der Gemeinden und Pfähle übernahmen Gemeindehäuser, Zehntenlagerhäuser und die Viehbestände der Kirche in ihren Besitz. Mit den Zehntengeldern, die von der Kirche zurückgegeben wurden, errichteten viele Pfähle kleine höhere Lehranstalten.

Gerichtlich bestellte Zwangsverwalter konfiszierten Kircheneigentum im Wert von 800.000 Dollar, das die Kirche nicht an Privatpersonen oder Organisationen hatte übertragen können. Sodann wurde Kirchenbesitz wie z.B. der Tempelplatz in Salt Lake City wiederum an die Kirche rückvermietet. Die Kirchenführung ließ die Verfassungsmäßigkeit dieser Konfiszierungen prüfen, aber das Oberste Gericht bestätigte im Jahr 1890 die Rechtmäßigkeit des neuen Gesetzes in einer Abstimmung der Richter, die 5:4 ausging. Der wirtschaftliche Ruin der Kirche schien unaufhaltbar.

Den finanziellen Attacken auf die Kirche folgten politische. Da alle Frauen, tausende Männer sowie alle bekehrten Neueinwanderer ihres Wahlrechtes verlustig gegangen waren, hatten Mormonengegner in den Städten Ogden und Salt Lake City die Regierung übernommen. In Idaho wurden so gut wie alle Mitglieder der Kirche aufgrund des Testeides des Wahlrechtes beraubt, da sie schwören mußten, keiner Kirche anzugehören und an keine Kirche zu glauben, die die Mehrehe lehrte. Als der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des Testeides in Idaho bestätigte, brachten Gegner der Kirche einen Gesetzesantrag im Kongreß ein, durch den allen Heiligen der Letzten Tage prinzipiell das Wahlrecht abgesprochen werden sollte. (Siehe RECHTSGESCHICHTE DER KIRCHE.)

Am Rande des finanziellen Ruins und angesichts des Wahlrechtsverlustes ihrer Mitglieder sah sich die Kirche dem Untergang geweiht, es sei denn, sie wäre bereit, die Mehrehe aufzugeben. Präsident Wilford Woodruff beriet sich mit der übrigen Kirchenführung und betete sehr intensiv um Führung. Nach Erhalt einer Offenbarung von Gott verfaßte er am 24. September 1890 das MANIFEST <Manifest>, das das offizielle Ende der Mehrehe zum Inhalt hatte. “Der Herr zeigte mir durch eine Vision in einer Offenbarung genau, was geschehen würde, wenn wir die Mehrehe nicht aufzugeben bereit wären”, sagte Präsident Woodruff später. “Er hat mir genau gesagt, was zu tun ist und was geschehen wird, wenn wir dies nicht befolgen.” (Deseret Evening News, 14. Nov. 1891.) Das Manifest besagte, daß die Kirche die Mehrehe nun nicht mehr lehre und die Schließung neuer Mehrehen nicht mehr gestatte. Präsident Woodruff sagte, daß er selbst die Gesetze des Landes befolgen werde und forderte die Mitglieder der Kirche auf, dies ebenfalls zu tun. Bei der Generalkonferenz am 6. Oktober 1890 bestätigte die Kirche das Manifest, das im Jahr 1908 in das Buch “Lehre und Bündnisse” aufgenommen wurde.

Im Namen der Ersten Präsidentschaft erklärte George Q. Cannon, daß eine aus dem Jahr 1841 stammende Offenbarung auch im Jahr 1890 anzuwenden sei. Darin habe die Kirche folgende Anweisung erhalten: “... Ihre Feinde kommen über sie und hindern sie daran, dieses Werk auszuführen, siehe, dann erscheint es mir angebracht, dieses Werk nicht mehr von diesen Menschen zu fordern, sondern ihr Opfer anzunehmen.” (LuB 124:49.) Die meisten Heiligen der Letzten Tage, aber nicht alle, nahmen diese neue Weisung an. Es fiel ihnen aber nicht leicht. Noch im darauffolgenden Jahrzehnt wurden hier und da Mehrehen geschlossen, bis die Kirchenführung verlautbaren ließ, daß jeder, der dies täte, damit rechnen müsse, aus der Kirche ausgeschlossen zu werden.

Mit dem Manifest ließen die Feindseligkeiten nach, und die Kirche beschritt ein neues Zeitalter der Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung. Es existierte das stillschweigende Übereinkommen, daß die noch in Mehrehe lebenden Männer ihre Frauen und Kinder nicht verlassen mußten. Die örtlichen Behörden gingen mit den Gesetzesübertretern äußerst schonend um. Der amerikanische Präsident Benjamin Harrison <Harrison, Benjamin, US-Präsident>, der 1891 Utah besucht und Präsident Woodruff die Hand gereicht hatte, erließ 1893 eine Teilamnestie. Im Jahr 1894 erließ sein Nachfolger Grover Cleveland <Cleveland, Grover, US-Präsident> eine Generalamnestie. Nach dem Manifest und den Amnestien konnten die Generalautoritäten ihre Arbeit nun wieder aufnehmen.

Da man die Eigenstaatlichkeit Utahs anstrebte, legte die Kirchenführung den Mitgliedern nahe, den nationalen amerikanischen Parteien (Demokraten und Republikanern) beizutreten. Der republikanische Kongreß verabschiedete 1894 ein Ermächtigungsgesetz, das der demokratische Präsident Grover Cleveland unterzeichnete. Utah entwarf eine Verfassung, in der die Mehrehe verboten und die Trennung zwischen Kirche und Staat eingeführt wurde. Am 4. Januar 1896, beinahe fünfzig Jahre nach Brigham Youngs erster Antragsstellung, wurde Utah ein eigener Bundesstaat. (Siehe UTAH, EIGENSTAATLICHKEIT DES BUNDESSTAATES UTAH.)

Im Jahr 1896 unterzeichneten die Generalautoritäten ein politisches Manifest, das besagte, daß keiner von ihnen ohne vorherige Zustimmung der ihm unmittelbar vorgesetzten Kirchenführer für ein politisches Amt kandidieren würde. Als Apostel Moses Thatcher <Thatcher, Moses> sich weigerte, das Dokument zu unterzeichnen, wurde er als Apostel entlassen.

Während der neunziger Jahre verdreifachte sich die Anzahl der Missionare der Kirche. Im Pazifik kamen die Missionare in den Jahren 1888 und 1891 bis nach Samoa bzw. Tonga. Im Jahr 1898 wurde die Australasien-Mission in die Missionen Australien und Neuseeland geteilt. Viele Heilige der Letzten Tage aus Hawaii übersiedelten nach Utah und gründeten im westlichen Utah die Siedlung Iosepa. In Kalifornien wurde 1892 die Missionsarbeit wieder aufgenommen, in den amerikanischen Oststaaten im Jahr 1893. Auch in Europa wurde die Missionsarbeit fortgesetzt. Die Zahl der Auswanderer war gegenüber den achtziger Jahren um 50 Prozent gesunken. In den neunziger Jahren riet die Kirche den Neubekehrten von der Auswanderung ab, da die Kirche endgültig festen Fuß gefaßt und der Großteil des guten Agrarlandes im amerikanischen Westen bereits Besitzer gefunden hatte. Aus diesem Grund wurden die neuen Mitglieder in Übersee gebeten, die Pfähle Zions in ihrer Heimat zu errichten und nicht nach Zion auszuwandern.

Das Edmunds-Tucker-Gesetz förderte die Einrichtung öffentlicher Schulen, in denen jeder Religionsunterricht untersagt war. Als Reaktion darauf führte die Kirche den Religionsunterricht nach der Schule ein, der dann in Gemeindehäusern stattfand und gründete in den größeren Städten höhere Lehranstalten und Oberschulen. Zwischen 1888 und 1891 wurden in Utah, Idaho, Arizona, Kanada und Mexiko 31 höhere Lehranstalten gegründet.

In den neunziger Jahren stellten sich Utahs Frauen auf eigene Beine und forderten mehr politische Rechte. Sie arbeiteten mit der Frauenrechtsbewegung aus dem Osten zusammen und wurden Mitglieder des amerikanischen nationalen Frauenrates, wobei sich ihre Kolleginnen aus dem Osten als wichtige Verbündete im Kampf für das Frauenwahlrecht entpuppten. Von der Frauenhilfsvereinigung organisierte Wahlrechtskampagnen führten dazu, daß das Frauenwahlrecht in der Verfassung des Bundesstaates Utah 1895 gesetzlich verankert wurde.

Nach vierzig Jahren Bauzeit wurde im April 1893 der Salt-Lake-Tempel <Salt-Lake Tempel geweiht> fertiggestellt und geweiht. Nach einem einzigen Tag der offenen Tür - der allerersten Gelegenheit für Nichtmitglieder, einen Tempel von innen zu besichtigen - wurde das heilige Gebäude am 6. April 1893 vierzig Jahre nach der Ecksteinlegung geweiht. Die Weihungsgottesdienste wurden zwischen dem 6. April und 18. Mai wiederholt, wobei auch fünf Weihungsversammlungen für Kinder unter acht Jahren stattfanden. Insgesamt waren bei den Weihungsgottesdiensten 75.000 Heilige der Letzten Tage anwesend. Danach durfte der Tempel nur mehr von Mitgliedern betreten werden, um heilige Handlungen für Lebende und Verstorbene zu vollziehen. Im darauffolgenden Jahr gab Präsident Wilford Woodruff <Woodruff, Wilford> bekannt, daß ab sofort HLT-Familiengruppen nicht mehr durch Adoption an bekannte Priestertumsführer gesiegelt werden müssen, sondern daß sie sich an ihre verstorbenen Vorfahren siegeln lassen sollen - und das möglichst weit zurück. Dadurch entstand die genealogische Betätigung der Mitglieder, die sich an Generationen und Generationen verstorbener Vorfahren siegeln ließen. Als Hilfe bei der Familienforschung gründete die Kirche die Genealogische Gesellschaft Utahs <Genealogische Gesellschaft>.

Im Jahr 1893 sang der Mormonen-Tabernakelchor <Mormonen-Tabernakelchor singt in Chicago> während einer ausgedehnten Tournee bei der Weltausstellung in Chicago und gewann bei einem berühmten Musikwettbewerb den zweiten Preis. Die gesamte Erste Präsidentschaft begleitete den Chor auf seiner Reise. Dies war das erste Mal, daß ein Präsident der Kirche seit dem Auszug nach dem Westen, der nun bereits fünfzig Jahre zurücklag, in den amerikanischen Osten reiste. Das Konzert des Tabernakelchores war kennzeichnend für das neue öffentliche Image der Kirche, auch wenn noch im selben Jahr der Kirche untersagt wurde, am Treffen des Parlaments der Weltreligionen teilzunehmen, das ebenfalls in Chicago stattfand.

In Wilford Woodruffs Amtszeit fielen noch einige andere wichtige Neuerungen: Im November 1896 wurde der monatliche Fasttag <Fasttag> der Kirche von Donnerstag auf den ersten Sonntag im Monat verschoben, wie es auch heute noch Brauch ist. Im Jahr 1897 wurde die Wiedertaufe <Wiedertaufe abgeschafft> abgeschafft. Im selben Jahr leitete Wilford Woodruff - selbst ein ehemaliger Pionier - die kirchenweiten Feierlichkeiten anläßlich der 50. Wiederkehr des Tages, an dem die Heiligen der Letzten Tage zum ersten Mal das Salzseetal betreten hatte. Salt Lake City feierte mit Umzügen, Festakten und der feierlichen Enthüllung des Brigham-Young-Denkmals.

Während der neunziger Jahre wurden sowohl Utah als auch die Kirche wirtschaftlich und politisch gesehen ein Teil des übrigen Amerikas. Viele genossenschaftliche Unternehmen wurden privatisiert und die meisten im Eigentum der Kirche stehenden Firmen verkauft oder in gewinnbringende Unternehmen umfunktioniert. Die Integration der Kirche in die amerikanische Wirtschaft verlief aber nicht ganz schmerzlos. Die während der Auseinandersetzungen über die Mehrehe erfolgte Konfiszierung des Kircheneigentums und der Rückgang in Zehntenzahlungen hatte der Kirche großen finanziellen Schaden zugefügt, ebenso die amerikanische Wirtschaftskrise des Jahres 1893. Die Kirchenführung war dazu gezwungen, sich von Financiers in den Oststaaten große Summen Geld auszuleihen, um Schuldenberge abzutragen und den Zahlungsverpflichtungen der Kirche nachkommen zu können. Im Jahr 1895 hatte die Kirche über eineinviertel Millionen Dollar Schulden. Trotz ihrer Schulden und der Wirtschaftskrise förderte und investierte die Kirche in einfache Industriezweige, wie z.B. in den Zuckerrübenanbau, in Wasserkraftwerke und bestimmte Bergbau- und Transportunternehmen, die das wirtschaftliche Fundament der Region stärkten und den Städten der Heiligen der Letzten Tage Vorteile brachten. (Siehe WIRTSCHAFTSGESCHICHTE.)

Bedingt durch das Ende der Mehrehe, die Eigenstaatlichkeit Utahs und den wirtschaftlichen und politischen Anschluß an das übrige Amerika betraten die Heiligen der Letzten Tage voll Zuversicht ein neues Zeitalter. Der Spanisch-Amerikanische Krieg des Jahre 1898 versinnbildlichte deutlich die sich geänderten Verhältnisse, denn nun forderte die Erste Präsidentschaft die jungen Heiligen der Letzten Tage auf, sich freiwillig zum Militär zu melden und dadurch die Vaterlandsliebe und -treue der Heiligen der Letzten Tage unter Beweis zu stellen.

Präsident Wilford Woodruff starb am 2. September 1898 in der kalifornischen Stadt San Francisco im Alter von 91 Jahren. Gemäß seiner Anweisung wurde unmittelbar nach seinem Tod eine neue Erste Präsidentschaft bekanntgegeben. Elder Lorenzo SNOW <Snow, Lorenzo wird fünfter Präsident> war nun der fünfte Präsident der Kirche.

BIBLIOGRAPHIE

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Roberts, B.H. A Comprehensive History of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, Century I, Bd. 6, Provo, Utah, 1965 (Neuaufl.).

WILLIAM G. HARTLEY

GENE A. SESSIONS