Heilige der Letzten Tage glauben an alte und neuzeitliche Prophezeiung und dass fortlaufende prophetische Führung eine der bezeichnenden Merkmale der wahren Kirche ist. Dieses Konzept war immer schon fester Bestandteil des Ursprungs und der Wiederherstellung der Kirche. Bis zum heutigen Tag differenziert sich die Kirche in dieser Hinsicht von vielen anderen religiösen Bewegungen.
Unter „Prophezeiung“ versteht sie den gesamten Bereich göttlich-inspirierter Kundgebungen eines Propheten, sowohl in seiner Funktion als „Hervorsager“ und die eines „Vorhersagers.“ Viele Leser sind der Auffassung, dass diese Benennung normalerweise in den Schriften auf das Vorraussagen – jene prophetische Macht zukünftige Ereignisse offenbaren zu können – zutrifft, sie ist aber nicht darauf beschränkt. Das Prophezeihen ist eine manigfaltige, geistige, durch den Heiligen Geist verliehene Gabe (2 Pet. 1:21; 1 Ne. 22:2; Moro. 10:8; LuB 20:26; 68:4). Sie ist in der Geschichte fest verankert und Propheten, als Fürsprecher des Herrn, haben die Macht Dinge zu offenbaren, die maßgebend für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind. Die Gabe der Prophezeiung, wie sie durch Mirjam, Debora, Hulda und anderen voralters demonstriert worden war, beschränkt sich nicht auf eine „besondere Ordinierung zum Priestertum“ (Die Glaubensartikel, 229-30; 5. Auflage, 1961) Sie kann, der Auffassung Mose nach, an irgendjemand vermittelt werden, wie sein freimütiger Ausruf es auch bestätigt: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde; wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“ (Num. 11:29, vgl. 1 Kor. 14:1-5, 29, 31, 39). In der wiederhergestellten Kirche Jesu Christi werden alle getauft, konfirmiert und mit der Gabe des Heiligen Geistes versehen, wodurch sie sich der prophetischen Gaben ihrer Treuhandschaft gemäß, erfreuen können.
Der Besitz geistiger Gaben, einschließlich die Gabe der Prophezeiung, ist eins der entscheidenden Mittel in der Wegweisung der wahren Kirche (7. Glaubensartikel; Siehe Gaben des Geistes). Paulus sprach noch eingehender von der Gabe der Prophezeiung (1. Kor. 12, 14). Moroni2 erklärte gleichermaßen “daß alle diese Gaben, von denen ich gesprochen habe und die geistig sind, niemals hinweggetan sein werden, ja, solange die Welt besteht, außer gemäß dem Unglauben der Menschenkinder“ (Moro. 10:8-19). In einer Offenbarung an den Propheten Joseph Smith zählt der Herr die Gabe der Prophezeiung zu den anderen geistigen Gaben (LuB 46:7-29).
Durch seine Propheten offenbart der Herr den Plan der Errettung und das Evangelium. Das vollauf schätzen zu lernen erfordert ein klares Verständnis hinsichtlich bedeutsamer Ereignisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Demnach segnet prophetische Führung den einzelnen Menschen mit einem unerlässlichen auf die Ewigkeit gerichteten Blickwinkel, der ihn befähigt den Zweck seines Daseins im Rahmen seiner Zeit besser verstehen zu können. Es bewegt ihn zur Umkehr und fordert ihn auf sich auf das Kommende vorzubereiten. Dann, wenn der Mensch der Hoffnung bedürftig ist, trifft der Moment ein, wo Propheten die Rolle des Vorraussagers einnehmen.
Da die Erkenntnis von Gottes gnadenreichem Plan der Errettung so hilfreich für das Wohlergehen seiner Kinder ist, hat ein jeder Prophet vom Kommen Christi prophezeit (Lk. 24:44-48; Jakob 4:4; Mosia 13:33; LuB 20:26). Und die ihnen vor alters erteilten Prophezeiungen stellen klar, dass diejenigen, die vor seinem Erscheinen gelebt haben sich einer genauen Kenntnis betreffs der zukünftigen Ereignisse seiner Mission bewusst waren. Auch verfügten diese Propheten über eine tiefe Erkenntnis vom Sühnopfer Jesu Christi (2. Nephi 2, 9; Mosia 3; Alma 34; Siehe auch Jesus Christus: Prophezeiungen über Jesus Christus). Zum Beispiel, Henoch sah das Kommen Christi voraus, seinen Kreuzestod, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt (Mose 7:53-59). Jesaja beschreibt Christus als einen leidenden Knecht (Jes. 53; vgl. Abinadis Erläuterung in Mosia 14-15). Lehi sieht Christus’ Kommen und macht den Menschen auf die Bedeutung der Taufe aufmerksam (1 Nephi 10:4-11). Der Prophet Nephi1 tut kund, dass eine Jungfrau aus Nazareth die Mutter von Jesus sein würde (1 Ne. 11:13-20). Und beide, König Benjamin sowohl als auch Alma2 berichten davon, dass ihr Name Maria sein wird (Mosia 3:7; Alma 7:10). Außerdem zitiert Nephi die Prophezeiungen des Zenos, Zenoch, und Neum, Propheten voralters deren Werke nicht im Alten Testament verzeichnet stehen. Sie vermitteln Einsichten, wie sein Sühnopfer dem Menschen von Nutzen sein wird und beschreiben Einzelheiten über die Kreuzigung Christi, seine Auferstehung und den Ereignissen, die mit seinem Tod verbunden sein werden (1 Ne. 19:10-21).
Viele biblische Propheten, einschließlich Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Maleachi und natürlich Jesus Christus, sahen die Erfüllung des Plan Gottes während der letzten Evangeliumszeit voraus. Die Köstliche Perle und das Buch Mormon enthalten Prophezeiungen des biblischen- und des Zeitalters des Buches Mormon, die vornehmlich bewahrt worden waren, um dem Menschen der Spätzeit Hoffnung zu geben und Weisungen verfügbar zu machen. Zum Beispiel, „Der Herr zeigte Henoch alles, selbst bis zum Ende der Welt“ (Mose 7:67), einschließlich die Wiederherstellung des Evangeliums, die Errichtung Zions, das Kommen Christi, und die Einleitung des Millenniums (Mose 7:62-66). Ferner sahen Nephi und Moroni den geistigen Zustand des Menschen in einer Zeit voraus, wo Stolz, Schlechtigkeit, Unglaube, und falsche Lehren in der Welt vorherrschen würden, eine Epoche, wo die Wiederherstellung des Evangeliums und das Hervorkommen des Buches Mormon als Bekehrungsinstrument hinsichtlich der Sammlung Israels günstig sein würde (2 Ne. 26-30; Morm. 8-9).
Den Schriften der Antike ähnlich, beinhalten die Lehre und Bündnisse göttliche Ermahnungen, Anleitungen und Zurechtweisungen und vermitteln auch viele göttliche Kundgebungen in bezug auf das Kommende. Eine Prophezeiung hinsichtlich des amerikanischen Bürgerkrieges und einem unermesslichen und weltweiten Kampf, ist schon in Erfüllung gegangen (LuB 87; 130:12-13; Siehe auch Bürgerkrieg Prophezeiungen). Weitere zu erfüllende Kundgebungen befassen sich mit dem Vorraussagen der Zeichen der Endzeit (LuB 29:14-21; 45:16-47; 88:86-93), der Errichtung Zions (LuB 84:1-5), dem Zweiten Kommen Christi (LuB 45:48-53; 133:17-25), dem Millennium (LuB 63:49-52; 101:22-31), der Auferstehung der Toten und dem jüngsten Gericht (LuB 29:22-30; 76; 88:95-116). Das klare Ziel dieser Prophezeiungen ist es, den Menschen über die dringende Notwendigkeit zur Umkehr und der weltweiten Verbreitung des Evangeliums in Kenntnis zu setzen, „um in allem ihr Herz vorzubereiten und für den Tag bereit zu sein, da Drangsal und Verwüstung über die Schlechten gesandt werden“ (LuB 29:8). Demzufolge heißt es, „arbeitet, arbeitet in meinem Weingarten zum letztenmal – zum letztenmal ruft den Bewohnern der Erde zu (LuB 43:28-29; 133:4-5).
Die Heiligen Schriften befassen sich mit dem Problem, wie man zwischen wahren und falschen Prophezeiungen unterscheiden kann (Matt. 7:15-20; LPJS, 365). Das alttestamentarische Kriterium, „Wenn ein Prophet im Namen des Herrn spricht und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintritt, dann ist es ein Wort, das nicht der Herr gesprochen hat“ (Deut. 18:22), ist allerdings kein konstanter praktischer Beweis für die Zeitgenossen eines Propheten, dass die Richtigkeit seines Aufrufes oder seiner Botschaft immer erkennbar ist.
Joseph Smith vermerkte, „Ich sagte ihnen jedoch, ein Prophet sei nur dann ein Prophet, wenn er als solcher tätig ist (LPJS, 234; 2. Auflage, 1963), und Brigham Young lehrte, dass die Verantwortung des Unterscheidens bei jedem einzelnen Mitglied der Kirche liegt (JD 9:150). Als Nephis Brüder wissen wollten, ob seine Prophezeiungen wahr seien, erklärte er ihnen, „Wenn ihr euer Herz nicht verhärtet und mich im Glauben bittet, im Vertrauen darauf, daß ihr empfangen werdet, mit Eifer im Halten meiner Gebote, so wird euch dies gewißlich kundgetan werden“ (1 Ne. 15:11). Diese Methode der Bewertung prophetischer Lehren gelten immer noch. Jesus verhieß seinen Jüngern, „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen... und euch verkünden was kommen wird“ (Joh. 16:13). Diese prophetischen Gaben des Heiligen Geistes sind wiederhergestellt worden und allen würdigen Personen zugänglich. Paulus schrieb an die Korinther, „Keiner der aus dem Geist Gottes redet, sagt: Keiner kann sagen Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor. 12:3). In der Tat, „das Zeugnis Jesu ist der Geist prophetischer Rede“ (Offenbarung 19:10). Moroni2 verhieß denjeningen, die Glauben ausüben und diese geistigen Gaben zu sich nehmen, dass sie die Wahrheit geistiger Dinge durch ernsthaftes Konzentrieren, Studium, Nachdenken und Gebet ermitteln können. „Und durch die Macht des Heiligen Geistes,“ meint er, „könnt ihr von allem wissen, ob es wahr ist“ (Moro 10:3-5; 1 Ne. 10:17-19; Moro 7:12-18; LuB 9). Somit lässt sich die Wahrheit und der Wert prophetischer Lehren ob in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, auf diese Weise immer wieder erkennen.
BIBLIOGRAPHIE
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McConkie, Joseph F. Prophets and Prophecy. Salt Lake City, 1988.
Nibley, Hugh. The World and the Prophets. CWHN, Vol. 3.
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DAVID R. SEELY