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ORTHODOXIE (RECHTGLÄUBIGKEIT), IRRLEHRE, KETZEREI

Orthodoxie, Irrlehre und Ketzerei lassen sich nahezu in allen religiösen Bräuchen finden. So ist es auch bei den Heiligen der Letzten Tage. Allerdings gibt es bedeutende Unterschiede, da individuelle Entscheidungsfreiheit, Verantwortlichkeit sowie individuelles Verhalten und Wachstum betont werden.

Die traditionellen Begriffe „Orthodoxie“, „Irrlehre“ und „Ketzerei“ werden von Heiligen der Letzten Tage selten verwendet. Zudem liegt die Betonung bei Wörtern wie „Orthodoxie“ und „Ketzerei“ eher auf religiösem Glauben als auf religiösen Praktiken. Will man bestimmen wie eine Einzelperson zur Tradition der HLT steht, so ist es eher aussagekräftig was ein Mitglied sagt oder tut als das, was er oder sie glaubt. Somit sind die Begriffe „Orthodoxie“, „Irrlehre“ und „Ketzerei“ im traditionellen Sinne für Heilige der Letzten Tage von geringerer Bedeutung.

Im allgemeinen lässt sich das Wort „Orthodoxie“ zurückführen auf das griechische orthos, was „gerade“ oder „richtig“ bedeutet, und doxa, was „Meinung“ oder „Überzeugung“ bedeutet. Gewöhnlich bezieht sich „Orthodoxie“ darauf, etwas zu befolgen, was allgemein anerkannt, gebräuchlich oder üblich ist. Der Begriff „Irrlehre“ bedeutet, dass man mit anerkannten Lehren nicht übereinstimmt, oder von etwas überzeugt ist, das im Widerspruch zu festgelegten Normen steht. Das Wort „Ketzerei“ aus dem griechischen hairesis war zunächst ein wertfreier Begriff, der soviel wie „zu wählen“ oder „mit zweckmäßigem Bestreben zu handeln“ bedeutete. Dieser Begriff bezog sich bald auf eine jegliche Schule, Bewegung, oder religiöses Glaubenssystem, das frei gewählt wurde. Bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. wurde „Ketzerei“ allerdings in einem streng negativem Sinn gebraucht. Der begriff  bezog sich auf die Lehre derer, die öffentlich von den festgelegten Lehren des jeweiligen Brauchtums, dem sie angehörten, abwichen oder diese verleugneten. Der Andersdenkende war somit ein „Ketzer“.

Das traditionelle Konzept der „Kirche“ (ekklesia) schloss das Konzept einer eigenen „Wahl“ (hairesis) aus. Religiöse Gruppen legen typischerweise gewisse Überzeugungen und Praktiken fest, die sie als elementar oder grundlegend erachten. Auf dieser Basis legen sie Kriterien fest, um zu bestimmen, welcher Glaube und welches Verhalten für ihre Anhänger annehmbar ist. Oftmals berufen sie sich dabei auf einen feststehenden Grundsatz in der Schrift, auf anerkannte Quellen von Vollmacht und auf Vorraussetzungen für eine organisierte, kirchliche Struktur. Wie diese Kriterien interpretiert und umgesetzt werden bestimmt das Ausmaß, in dem ein abweichender Glaube oder abweichende Praktiken zugelassen oder toleriert werden.

Stattdessen ermahnt die Kirche ihre Mitgleider dazu ihre Entscheidungsfreiheit zu gebrauchen, um alles ihnen Mögliche zu tun, so dass sie alle Lehren und Prinzipien des Evangeliums Jesu Christi annehmen können (Moroni 10:32-33). In der Erkenntnis, dass sie sich schließlich für  ihre Entscheidungen verantworten müssen, beanspruchen diejenigen, die ein würdiges Leben geführt haben, die Verheißungen, die ihnen gemacht wurden als sie mit Gott Bündnisse eingegangen sind. Jedes Mitglied  mag sich dabei zu einer beliebigen Zeit auf einer beliebigen Stufe des Fortschritts befinden. Jedes Mitglied wird darin bestärkt, näher zum Himmlischen Vater zu kommen und dem Erretter in Gedanken und Tat nachzueifern. Mitglieder werden dazu angehalten, ihre Erkenntnisse von der Wahrheit zu erweitern, Gnade um Gnade, Zeile um Zeile und Weisung um Weisung. Solange jemand in diesem Bemühen fortfährt und sich auf das Prinzip derUmkehr verlässt, was von der Taufe zum ewigen Leben führt, gibt es keine unbeugsamen begrifflichen Kontrollpunkte oder Glaubensvorraussetzungen, um die Mitgliedschaft einer Person in der Kirche in Frage stellen.

Zu Unterschieden kommt es jedenfalls, wenn die Würdigkeit zu lehren, zu predigen, ein Amt innezuhaben, oder am Gottesdienst im Tempel teilzunehmen in Frage gestellt wird. Je mehr jemand  andere Personen aufgrund seiner oder ihrer Aufgaben oder Tätigkeiten in der Kirche beeinflusst, je größer wird die Sorge um dessen Würdigkeit zu dienen. In diesen Fällen werden Mitglieder gebeten gewisse, grundlegende Lehren der Kirche zu befolgen (siehe Interviews; Tempelschein). Dazu zählen u.a. Glaube an Gott Vater und seinen Sohn Jesus Christus und an grundlegende Konzepte, die in den Glaubensartikel dargelegt sind. Ebenso gehört dazu Joseph Smith als Prophet Gottes anzuerkennen und den derzeitigen Presidenten der Kirche, die Generalautoritäten und lokale Kirchenführer zu bestätigen. Ebenfalls werden sie gefragt, ob sie sich an ein bestimmtes vorgeschriebenes Verhaltensmuster   halten (siehe Gebet; Rechtschaffenheit; Keuschheit; Wort der Weisheit; Zehnter; Familie; Berufungen; Aktivität in der Kirche), mit dem Ziel, dass jeder Heilige bzw. jede Heilige der Letzten Tage ein persönliches Zeugnis von allen Wahrheiten des Evangeliums erlangt und zunehmend diese Wahrheiten versteht und entsprechend lebt.

Allen Mitgliedern, die gemäß dem Evangelium leben, sind die Begleitung des Heiligen Geistes und persönliche Offenbarung verheißen, damit sie in ihrer Kenntnis vom Herrn zunehmen. Dadurch bringen sie und ihr Leben mehr mit seinem Willen in Einklang während sie sich „mit Furcht und Zittern um [ihr eigenes] Heil“ bemühen ( Philipper 2:12). Auf diese Weise wird es immer individuelle Vielfalt innerhalb der allgemeinen Einigkeit der Kirche geben, da jedes Mitglied auf seine oder ihre gewählte Weise in Harmonie mit grundlegenden Prinzipien Fortschritt macht. Solch eine Entscheidung und Individualität wird als Quelle von Stärke innerhalb der Tradition betrachtet, solange jemand nach der Lehre Jesu Christi (3. Nephi 11:31-35), den beständigen Lehren der Schriften und den klaren Worten der lebenden Propheten lebt. Nur so kann ein jedes Mitglied seine Erlösung und Erhöhung erlangen.

Mit denjenigen, die ihre Bündnisse brechen, oder deren Lebensführung die Kirche in Verruf bringt, mag auf disziplinäre Weise verfahren werden. Gelegentlich kann eine solche Handlungsweise auftauchen, wenn ein Mitglied bestimmte, grundlegende Glaubenslehren öffentlich abstreitet, tatkräftig und bewusst entgegen den Lehren der Kirche lehrt, oder versucht das Werk der Kirche zu untergraben. Die meisten disziplinären Maßnahmen werden ergriffen, weil die Lebensweise eines Mitglieds nicht länger im Einklang mit bestimmten moralischen Grundsätzen befunden wird. Nahezu jede disziplinäre Maßnahme hat letztlich den Zweck, ein Mitglied bei dem schwierigen Prozess der Umkehr zu unterstützen. Mit der Zeit kann dies in einer vollständigen Wiederherstellung seiner oder ihrer Mitgliedschaft resultieren.

BIBLIOGRAPHIE

Barlow, Philip L., ed. A Thoughtful Faith. Centerville, Utah, 1986.

Bradford, M. Gerald. “On Doing Theology.” BYU Studies 14 (Spring 1974):345-58.

Widtsoe, John A. “What Is Orthodoxy.” In Evidences and Reconciliations, pp. 276-78. Salt Lake City, 1960.

M. GERALD BRADFORD