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NAUVOO, DIE WIRTSCHAFT

Die Stadt Nauvoo lag am Mississippi-Fluß und war umgeben von Ackerland und Siedlungen, in denen bereits seit zwei Generationen Nichtmitglieder der Kirche wohnten. Mitglieder der Kirche, die aus dem Bundesstaat Missouri geflüchtet waren, gründeten den Ort im Jahre 1839, der bis 1846 eine Mormonenstadt und Hauptsitz der Kirche war. Die Bevölkerung nahm rasch zu, denn es kamen viele Bekehrte, die meisten aus England, die gute Handwerker und manchmal auch begütert waren. Handel und Dienstleistungsbetriebe blühten, und immer mehr Neubekehrte kamen hinzu (Siehe EINWANDERUNG UND AUSWANDERUNG). Abreisende waren in erster Linie Missionare der Kirche.

Nauvoo war weder ein Dorf noch eine Kommune. Trotzdem hatte die Kirche als Organisation auf die Gesellschaft und die Wirtschaft großen Einfluß. Joseph SMITH <Smith, Joseph> trieb den Bau der Stadt und des Tempels eifrig voran. Er stellte sich die Stadt als Modell für das Gottesreich auf Erden vor. Die Heiligen der Letzten Tage trieben daher den “Aufbau des Reiches” mit großem Einsatz voran. Wirtschaftlich bedeutete das die Errichtung der Stadt und deren Infrastruktur.

Wie in anderen Ortschaften damals arbeiteten auch in Nauvoo Schmiede, Küfer, Töpfer, Büchsenmacher und Blechschmiede; es mangelte jedoch an Sägern, Zimmermännern und Ziegelbrennern. Das Bauhandwerk schaffte die meisten Arbeitsplätze. Das kleine Dorf Commerce im Bundesstaat Illinois, das in Nauvoo eingemeindet war, hatte nur wenige Häuser, so daß viele neue gebaut werden mußten. Die Heiligen wollten keine Gruppensiedlungen wie die Herrnhuter, Shaker oder andere Kommunengemeinschaften, sondern getrennte Einfamilienhäuser nach bäuerlicher, anglo-amerikanischer Tradition. Auch Wirtschafts- und Industriegebäude sollten frei stehen. Mit seinen vielen kleinen Häusern, die mehr oder weniger auf großen Grundstücken ordentlich aufgereiht standen, mit seinen breiten Straßen und viel Platz für Nebengebäude, Gärten, Obstgärten und Weideland, entwickelte sich Nauvoo zum Prototyp der Mormonenstadt (Siehe STADTPLANUNG).

Öffentliche Bauprojekte machten den größten Anteil der Neubauten in Nauvoo aus. Der ehrgeizige Plan, den Mississippi-Fluß zu industrieller Nutzung aufzustauen, wurde nicht verwirklicht, aber man begann an einem Kanal durch die Halbinsel zu arbeiten. Man wollte die Des-Moines-Stromschnellen umgehen, denn diese machten es notwendig, fast das ganze Jahr lang Waren vor den Stromschnellen auszuladen und sie eine Strecke auf dem Landweg zu transportieren. Das Projekt wurde jedoch aufgegeben, als die Arbeiter auf Grundgestein aus Kalkstein stießen. Man verwendete das Gestein daraufhin zum Bau des NAUVOO-TEMPELS <Nauvoo-Tempel>, der der Mittelpunkt des religiösen und wirtschaftlichen Lebens der Stadt und von wesentlicher Bedeutung für die greifbare Manifestation des Gottesreiches in Nauvoo wurde. Der Bau des Tempels stellte die religiöse Hingabe und die wirtschaftlichen Mittel der Heiligen sowohl in Nauvoo selbst als auch anderswo auf die Probe. Von den Einwohnern erwartete man, daß sie “für den Tempel den Zehnten zahlten,” entweder mit ihrer Zeit, mit Gütern oder mit Geld. Heilige der Letzten Tage, die noch nicht nach Nauvoo gekommen waren, forderte man auf, bald zu kommen, so daß sie am Unternehmen teilhaben konnten. Wer nicht kommen konnte, sollte den Bau mit Geld unterstützen. Im Jahre 1841 schrieben die Zwölf Apostel an die Mitglieder in England: “Das erste große Ziel, das wir und die Heiligen der Letzten Tage überall verwirklichen müssen, ist den Tempel [zu vollenden] ..., um die Errettung der Kirche zu gewährleisten” (HC 4:449).

Für Joseph Smith war die Fertigstellung des Tempels von höchster Wichtigkeit. In der Offenbarung aus dem Jahr 1841, in der der Herr die Heiligen der Letzten Tage zum Tempelbau aufrief, drohte er gleichzeitig, die Kirche zu verwerfen, falls die Mitglieder das Gebäude “nach Ablauf der bestimmten Zeit” nicht fertigstellen würden (LuB 124:30–32). Als Joseph SMITH 1844 ermordet wurde, hatte man die Außenwände jedoch erst zur Hälfte hochgezogen.

Obgleich der Bau des Tempel ein Werk der Liebe war, zehrten die wirtschaftlichen Kosten ernsthaft an den städtischen Mitteln. Kapital wurde von Unternehmen abgezweigt, die Güter und Arbeit beschaffen sollten. Auch Joseph Smith <Smith, Joseph>, der den Tempelbau begeistert förderte, erkannte das Problem. Im Jahre 1843 sagte er: “Ich sage voraus, sobald wir den Tempel gebaut haben, und dann nicht mehr verpflichtet sind unsere Mittel zu erschöpfen, haben wir die Möglichkeit, Tausende, ja Zehntause von Heiligen zu sammeln” (HC 5:255).

Die Wirtschaft in Nauvoo entwickelte sich auch während der Wirtschaftskrise in Amerika von 1839–1843 positiv. Die Begründer der Stadt waren praktisch mittellos, und nur wenige Amerikaner aller Gesellschaftsschichten hatten damals genügend Geld. Die Banken hatten Konkurs angemeldet, und Bargeld war kaum vorhanden. Die Heiligen der Letzten Tage entwickelten ein raffiniertes aber wackeliges System, das auf Tausch, Kreditbriefen, persönlichen Schuldscheinen und Schuldscheinen an Stelle von Übertragungsurkunden beruhte - Obligationen, die an Stelle von Kaufverträgen bei Übertragungen von Grundbesitz ausgehändigt wurden. Das war notwendig, weil das ganze Bauland in Nauvoo durch einen langfristigen Vertrag gekauft worden war, wobei die Übertragungsurkunde erst bei voller Bezahlung ausgehändigt werden sollte. Diese Methode funktionierte, solange die Wirtschaft sich im allgemeinen weiter positiv entwickelte und die Heiligen der Letzten Tage einander vertrauten und durch einen gemeinsamen Zweck miteinander verbunden waren.

Joseph Smith und seine Kirchenorganisation betrieben den Ankauf von Grundstücken, den Bau des Tempels und des NAUVOO-HAUSES <Nauvoo-Haus> (ein großes Hotel) sowie das gesamte “Bauprojekt des Gottesreiches”, auf dessen Verwirklichung, wie sie glaubten, die Errettung der Heiligen beruhte. Weil Nauvoo das Sakrale mit dem Weltlichen unter Leitung eines Propheten vereinte, hing das Überleben des Projekts beim Tod des Propheten im Jahre 1844 von seinen Nachfolgern ab. Diejenigen, die Brigham YOUNG <Young, Brigham> und das Kollegium der Zwölf Apostel als Leitung der Kirche anerkannten, verpflanzten das System der politischen Wirtschaft, das man in Nauvoo entwickelt hatte, in den amerikanischen Westen (Siehe PIONIERZEIT, DIE WIRTSCHAFT IN DER PIONIERZEIT; WESTEN, DER AUSZUG NACH DEM WESTEN, PLANUNG UND PROPHEZEIUNG). Wer sich dem Treck in den Westen nicht anschloß und somit das Nauvoo Modell aufgab, schloß sich später der REORGANISIERTEN KIRCHE JESU CHRISTI DER HEILIGEN DER LETZTEN TAGE <Reorganisierte Kirche Jesus Christi der Heiligen der Letzten Tage> an.

BIBLIOGRAPHIE

Flanders, Robert, Nauvoo: Kingdom on the Mississippi. Urbana, Illinois, 1965.

Miller, David und Della Miller. Nauvoo: The City of Joseph. Santa Barbara und Salt Lake City, 1974.

Rowley, Dennis. “Nauvoo: A River Town.” BYU Studies 18, Winter 1978, S. 255–272.

ROBERT B. FLANDERS