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CA. 1945 bis 1990, DIE NACHKRIEGSZEIT (2. WELTKRIEG) UND DIE INTERNATIONALE PERIODE.

[Seit Ende des 2. Weltkriegs konnte sich die Kirche eines schnellen internationalen Wachstums erfreuen, sie mußte aber auch mit dessen Begleitumständen fertigwerden. Nach einer Beschreibung der Kirchengeschichte der Nachkriegszeit und der Zunahme an Mitgliedern befaßt sich der folgende Artikel mit den Veränderungen, die mit dem Wachstum und der Internationalisierung der Kirche einhergingen. Dem folgt eine Untersuchung neuerer Entwicklungen und eine Beschreibung der zeitgenössischen Kirche.

Weitere Information über das Wachstum der Kirche jenes Zeitabschnitts enthalten die Artikel über die Kirche in AFRIKA, ASIEN (Süd- und Südostasien), AUSTRALIEN, die BRITISCHEN INSELN, KANADA, EUROPA, HAWAII. MEXIKO UND MITTELAMERIKA, im MITTLEREN OSTEN, NEUSEELAND und OZEANIEN, SKANDINAVIEN, SÜDAMERIKA und WESTINDIEN. Es empfiehlt sich auch die Lektüre der Biographien der damaligen Präsidenten der Kirche: George Albert SMITH (1945–1951), David O. MCKAY (1951–1970), Joseph Fielding SMITH (1970–1972), Harold B. LEE (1972–1973), Spencer W. KIMBALL (1973–1985), Ezra Taft BENSON (1985–1994) und Howard W. HUNTER (1994–1995).]

Das Motto des Lebens und der Amtszeit von Präsident George Albert SMITH <Smith, George Albert> war die Nächstenliebe. Demgemäß war es nur natürlich, daß gerade während seiner Amtszeit von Amerika aus Hilfsgüter in das vom Krieg zerstörte Europa gesandt wurden, um den notleidenden Heiligen der Letzten Tage nach dem 2. Weltkrieg zu helfen, besonders aber den Deutschen. Im Jahr 1946 führte Ezra Taft BENSON <Benson, Ezra Taft> vom Rat der Zwölf Apostel die Neugründung der Europäischen Mission durch und organisierte die Verteilung der Hilfsgüter. Er fand auseinandergefallene Gemeinden, zerstörte Gemeindehäuser und zahllose unterkunftslose Mitglieder vor. Die meisten hatten ihr ganzes Hab und Gut verloren, und überall mangelte es an Lebensmitteln und Kleidung. Das Wohlfahrtssystem der Kirche kam als lebensrettende Hilfe für viele Mitglieder und auch Nichtmitglieder.

Da durch den Krieg, angefangen von der Missionsarbeit bis hin zum Bau von Gemeindehäusern, alles zu einem Ende gekommen war, mußten die Programme der Kirche überall neu begonnen werden. Schnell kamen wieder mehr Missionare, und hunderte Gemeindehäuser wurden errichtet. Die Hälfte aller Gemeindehäuser, die Mitte der fünfziger Jahre in Verwendung standen, waren in den Nachkriegsjahren errichtet worden. Damals wurde über die Hälfte der Ausgaben der Kirche in Bauprojekte gesteckt.

EINE INTERNATIONALE KIRCHE. Das Ende des 2. Weltkrieges war der Beginn einer neuen Ära der Kirchengeschichte, dessen herausragendstes Merkmal das internationale Wachstum war. Im Jahr 1947 erreichte die Mitgliederzahl eine Million; 1990 waren es über sieben Millionen. Ein besonders starkes Wachstum hatten Kontinente und Länder wie Lateinamerika, die amerikanische Westküste und nach 1978 auch Afrika zu verzeichnen. Im Jahr 1950 gab es in der Kirche 180 organisierte Pfähle, davon die Hälfte in Utah. Im Jahr 1990 gab es 1700 Pfähle, von denen weniger als ein Viertel in Utah waren. Im Jahr 1950 existierte die Kirche in nicht einmal 50 Nationen und Territorien;1990 war die Zahl schon auf 128 gestiegen. Im Jahr 1950 lebten weniger als 8 Prozent der Mitglieder der Kirche außerhalb der USA und Kanada, 40 Jahre später waren es bereits 35 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Missionare von 6000 auf 40.000, und die Zahl der Tempel von acht (wobei sich nur einer außerhalb der USA befand) auf 44, von denen sich nun 23 außerhalb der USA befanden.

Dieses beachtliche Wachstum war das Ergebnis verstärkter Bemühungen, die von Joseph SMITH <Smith, Joseph> empfangene Offenbarung zu erfüllen, “damit das Reich ... ein großer Berg werde und die ganze Erde fülle.” (LuB 109:72.) Schon früh in seiner Amtszeit bereiste Präsident David O. McKay <McKay, David O.> als erster wirklich reisefreudiger Präsident die Missionen in Europa, Lateinamerika, Afrika und im Südpazifik. Er weihte zwei Tempelgrundstücke in Europa und gab den künftigen Bau eines Tempels in Neuseeland bekannt. Im Jahr 1955 sagte er, daß die Kirche “innerhalb eines vernünftigen und praktischen Rahmens keine Mühen scheuen dürfe, den in diesen entfernten Missionen lebenden Mitgliedern alle bildungsmäßigen und geistigen Möglichkeiten zu bieten, die die Kirche zu bieten hat.” (CR, April 1955, S. 25.) Die wichtigsten Schritte bei der Durchführung dieses Vorhabens war der Bau weiterer Tempel, die weltweite Gründung neuer Missionen und Pfähle, das Überzeugen der Heiligen der Letzten Tage, daß sie Zion in ihrer Heimat errichten müssen anstatt nach Amerika auszuwandern und schließlich die Übergabe der Führung der Kirche in den jeweiligen Ländern an örtliche Mitglieder. Zudem wurde noch besonderer Wert auf die Berufung einheimischer Missionare gelegt, die in einigen Gebieten die amerikanischen Missionare bereits völlig ersetzt haben.

Das starke Wachstum der Kirche brachte aber auch Schwierigkeiten mit sich, zu denen die Frage zählte, welche Praktiken, Lehren und Programme tatsächlich den Kern des Evangeliums darstellten und welche im wesentlichen nur Ausgeburten der amerikanischen Kultur waren. Um den amerikanischen Mitgliedern dies vor Augen zu führen, meldeten sich die Führer der Kirche wiederholt zu diesem Thema zu Wort. Im Jahr 1971 erinnerte Elder Bruce R. McConkie <McConkie, Bruce R.> zum Beispiel die amerikanischen Heiligen der Letzten Tage daran, daß zur Zeit des Neuen Testaments einige Apostel von der Vorstellung, daß der Plan der Erlösung ausschließlich auf ein bestimmtes Volk beschränkt sei, dermaßen besessen waren, daß es ihnen schwerfiel, zu anderen Völkern zu gehen. Dann bezog Elder McConkie dies auf die heutige Kirche. Er forderte die amerikanischen Heiligen der Letzten Tage auf, über ihre Voreingenommenheit hinauszuwachsen, auch wenn es “dabei einige Schwierigkeiten, Probleme, Vorurteile und Unsicherheitsfaktoren” gibt. Er sagte: “Andere Völker entstammen einem anderen Kulturkreis, was für Gott nicht im geringsten von Belang ist. ... Gesellschaftliche Unterschiede und andere Sprachen - das macht alles nichts aus. ... Gott spricht alle Sprachen.” (Palmer, S. 143, 147.) Im Jahr 1987 sagte Elder Boyd K. Packer <Packer, Boyd K.> in einer Ansprache vor Führern der Kirche: “Wir können mit einer Utah-Kirche aus dem Jahr 1947 nicht [in anderen Ländern] das Evangelium predigen. Es könnte durchaus sein, daß wir deswegen nicht bereit sind, anderen Ländern das eigentliche Evangelium zu bringen, weil wir so viel überflüssigen Ballast mitschleppen, den niemand haben möchte.” (Zit. in Dialogue 21, Herbst 1988, S. 97.) Die Aufgabe der Kirche besteht darin, Menschen aller Kulturen und Weltanschauungen zu besseren Menschen zu machen, damit sie durch die geistigen Bande der Kirche zu echter Bruder- und Schwesterschaft finden.

Im Jahr 1974 forderte Präsident Spencer W. KIMBALL <Kimball, Spencer W.> die Mitglieder der Kirche auf, “größere Schritte” zu machen, das Evangelium der ganzen Welt zu bringen, und darum zu beten, daß Hindernisse aus dem Weg geräumt würden. Er berief den ehemaligen Staatssekretär des amerikanischen Schatzamtes und Botschafter, David M. Kennedy <Kennedy, David M.>, als internationalen Gesandten der Kirche, der an die Regierungen verschiedenster Länder herantrat, um der Kirche den Weg zu ebnen. Im Jahr 1977 wurde die Kirche in Polen offiziell anerkannt, und 1985 wurde der Tempel <Freiberg-Tempel> in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik geweiht. Die dramatischen politischen Revolutionen der Jahre 1989 und 1990 ermöglichten der Kirche den Zugang zu anderen Ostblockländern und führten dazu, daß nun in der ehemaligen Sowjetunion Mormonenmissionare tätig sein dürfen.

Eine der weitreichendsten Änderungen des 20. Jahrhunderts war eine Offenbarung, die Präsident Spencer W. Kimball im Juni 1978 erhielt, in deren Folge jedes würdige Mitglied der Kirche das Priestertum empfangen durfte. Diese Offenbarung war das Ergebnis langer und ernsthafter Gebete und besagte, “daß der langverheißene Tag gekommen ist, wo jeder glaubenstreue, würdige Mann in der Kirche das heilige Priestertum ... empfangen darf ... ohne Rücksicht auf Rasse oder Hautfarbe ....” Schon bald darauf wurden die ersten würdigen Schwarzen im Tempel gesiegelt und empfingen Berufungen als Missionare oder Führer der Kirche. In Ghana und Nigeria, wo sich die Schwarzen jahrelang um die Kirche bemüht hatten, wuchs die Kirche stark an und dehnte sich auch auf andere Gebiete mit hauptsächlich schwarzer Bevölkerung aus. Anläßlich der Generalkonferenz im April 1990 wurde der aus Brasilien stammende Elder Helvécio Martins <Martins, Helvécio>, als erste schwarze Generalautorität der Kirche berufen.

ORGANISATORISCHE VERÄNDERUNGEN. Das zunehmende Wachstum der Kirche machte auch organisatorische Veränderungen nötig. Im Jahr 1967 wurden Pfähle in Regionen zusammengefaßt. Anfang 1975 wurden Regionen in Gebiete zusammengefaßt, und 1984 Gebietspräsidentschaften gegründet, die aus je drei Generalautoritäten bestanden, die für eine bestimmte Anzahl von Pfählen verantwortlich waren. Zehn Jahre später kam es dann zur Einführung des Amtes der Gebietsautorität.

Im Jahr 1975 gab Präsident Kimball die Gründung des Ersten Siebzigerkollegiums bekannt, das sich aus Generalautoritäten der Kirche (u.a. den ehemaligen Assistenten zum Rat der Zwölf) zusammensetzte. Im Jahr 1989 wurde das Zweite Siebzigerkollegium gegründet, dessen Mitglieder auf drei oder fünf Jahre berufen werden. Im Jahr 1978 begann man, Siebziger aus Gesundheits- oder Altersgründen zu emeritieren; im darauffolgenden Jahr wurde auch der Patriarch der Kirche emeritiert.

Die Generalautoritäten machten sich nun daran, die Programme der Kirche besser zu koordinieren. Ab 1961 wurde die “Korrelation durch das Priesterum” verstärkt durchgeführt, bei der unter der Leitung von Elder Harold B. Lee <Lee, Harold B.> verschiedenste Komitees im Hauptsitz der Kirche Lehrpläne und Aktivitäten für alle Organisationen und Altersgruppen planten, aufstellten und überprüften. Die Aufgaben der einzelnen Hilfsorganisationen wurden genauer festgelegt, um Zweigleisigkeiten zu vermeiden. Die Kirchenführung betonte immer wieder, daß der beste Ort zum Lehren und Anwenden der Grundsätze des Evangeliums die Familie sei. Es wurde mehr Wert auf den Familienabend gelegt, wobei ab 1965 interessante Leitfäden als Unterrichtsbehelf zur Verfügung gestellt wurden.

In den frühen siebziger Jahren wurde die Verwaltung im Büro der Kirche konsolidiert. Es entstanden mehrere große Abteilungen, die jeweils unter der Leitung einer Generalautorität standen, wobei die alltäglich anfallenden Arbeiten von Vollzeitpersonal erfüllt wurden. So wurden beispielsweise die Bereiche Wohlfahrt, Sozialhilfe und Gesundheit in die Abteilung Wohlfahrt zusammengelegt. Ein sichtbarer Beweis der Veränderungen war der Bau des achtundzwanzigstöckigen Bürogebäudes der Kirche in Salt Lake City, wodurch die meisten Abteilungen nun in einem einzigen Gebäude untergebracht waren. Im Jahr 1970 wurden die Abteilungen für das Aaronische Priestertum und die GFVJM zusammengelegt, 1971 die Abteilungen Druck und Verlag. Die nicht englischsprachigen Zeitschriften der Kirche wurden 1967 einer einzigen Abteilung unterstellt und der Inhalt der Zeitschriften (bis auf den Lokalteil) vereinheitlicht.

Mit den durch das schnelle Wachstum der Kirche bedingten häufigen Reisen und neuen Verwaltungsaufgaben der Kirchenführung wurden auch noch andere Neuerungen eingeführt. Ab den siebziger Jahren wurden Pfahlpräsidenten dazu ermächtigt, Vollzeitmissionare einzusetzen, Bischöfe und Patriarchen zu ordinieren sowie Gemeindehäuser zu weihen. Die Generalautoritäten besuchten die Pfähle nun seltener, aber ab 1971 wurden Gebietskonferenzen eingeführt, an denen mehrere Generalautoritäten teilnahmen und sich mit den Heiligen der Letzten Tagen, die aus verschiedenen geographischen Regionen kamen, versammelten. Seit 1979 gibt es nur mehr 2 anstatt 4 jährlichen Pfahlkonferenzen, und in den achtziger Jahren wurden die Regions- bzw. Multiregionskonferenzen anstatt der Gebietskonferenzen eingeführt.

KIRCHE UND BILDUNG. Zwischen 1950 und 1990 nahm die Zahl der in Bildungsprogrammen der Kirche Eingeschriebenen von 38.400 auf 442.500 zu. Die Zahl der ordentlichen Hörer an der Brigham Young Universität stieg von 5400 im Jahr 1950 auf 25.000 im Jahr 1975 an, womit die Kapazität der Universität ausgelastet war. Anstatt immer mehr Geld in höhere Bildung zu stecken, wurden die Ressourcen der Kirche nun in die allgemeinen Bedürfnisse einer weltweit wachsenden Kirche investiert. Die größte Zunahme an Eingeschriebenen hatten die Programme für religiöse Bildung zu verzeichnen. Seit den frühen zwanziger Jahren hatten Schüler in HLT-Gemeinden am Seminarunterricht nach der Schule teilgenommen, der in Gebäuden neben der Schule stattfand. Ab den fünfziger Jahren wurde in Kalifornien der Seminarunterricht am frühen Morgen eingeführt, der in Gemeindehäusern in der Nähe der Schulen abgehalten wurde. Ab 1968 gab es für Jugendliche, die in größerer Entfernung von der Kirche wohnten, Seminarmaterial für das Heimstudium. Auch die Zahl der Religionsinstitute in der Nähe von Universitäten nahm zu. Im Jahr 1990 gab es das Seminar- und Institutsprogramm in 74 Ländern und Territorien.

Besondere Aufmerksamkeit erfuhr nun das religiöse Leben der Universitätsstudenten. Im Jahr 1956 wurde an der Brigham Young Universität der erste Studentenpfahl mit 12 Gemeinden gegründet. Auf diese Art und Weise konnte den Bedürfnissen der Studenten Rechnung getragen und ihnen Gelegenheit zum Erlernen von Führungseigenschaften gegeben werden. Dieses System wurde auch in anderen Gebieten eingeführt, wo es genügend Studenten gab. Es schien, als ob dadurch das geistige Wachstum gefördert würde; und wenn man dies in statistisch erfaßbaren Werten wie der Zahl der Eheschließungen im Tempel und den Vesammlungsbesuch maß, so waren die Studentengemeinden tatsächlich an der Spitze.

In einigen Teilen Lateinamerikas und im Pazifik, wo die Kirche besonders schnell wuchs, es aber an öffentlichen Bildungseinrichtungen mangelte, kehrte die Kirche wieder zu ihrer früheren Praxis zurück, Schulen für den Religionsunterricht sowie Fächer des Grundwissens einzurichten. In Mexiko errichtete die Kirche 40 Grund- und Oberschulen, sowie ein Junior-College außerhalb der Stadt Mexico City. Mit der Verbesserung des öffentlichen Bildungswesens konnte die Kirche viele Schulen wieder schließen.

DAS BAUPROGRAMM. Neue Gemeinden bedurften neuer Versammlungsräumlichkeiten. Auch wenn zwei oder drei Gemeinden ein Gemeindehaus teilten, so war es dennoch nötig, pro Tag mindestens ein neues Gemeindehaus fertigzustellen. Die Kosten stiegen ins Astronomische, und in vielen Teilen der Welt konnten sich die Heiligen der Letzten Tage ihren Anteil an den Baukosten einfach nicht leisten.

Eine Lösung bot sich an, als die Kirche nicht genügend Bauarbeiter fand, um im Südpazifik Schulen zu errichten. Ab 1950 wurden junge Männer als sogenannte “Baumissionare” berufen, wobei sie zwei Jahre lang der Kirche ihre Arbeitskraft weihten. Die Baukosten sanken und die jungen Männer lernten von erfahrenen Bauhandwerkern das Bauhandwerk in allen seinen Facetten. In den fünfziger und sechziger Jahren errichteten Baumissionare im Südpazifik, in Lateinamerika und Europa Schulen und Gemeindehäuser. Um die Bau- und Instandhaltungskosten möglichst zu senken, entwickelte die Bauabteilung der Kirche genormte Baupläne, die verschiedenen Grundstücken angepaßt und nach Bedarf erweitert werden können.

Auch wenn die Kirche beim Bau der Gemeindehäuser mitzahlte, so wurde doch von den örtlichen Gemeinden erwartet, Arbeitszeit zu spenden und einen Großteil der Baukosten selbst aufzubringen - und dies zusätzlich zum Zehnten und anderen Spenden. Um die einzelnen Gemeinden finanziell zu entlasten, wurde dieses System immer mehr eingeschränkt, und seit 1989 übernimmt die Kirche die gesamten Baukosten.

Seit den achtziger Jahren sind die neuen Gemeindehäuser kleiner und wohl auch nüchterner als frühere Bauten; dieses neue System macht es der Kirche jedoch möglich, jährlich hunderte Gemeindehäuser zu bauen und in den Entwicklungsgebieten der Kirche die so dringend benötigten Versammlungsräumlichkeiten zur Verfügung stellen zu können. Es war dies aber auch ein Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit. Das Geld, das dazu verwendet wurde, in reicheren Stadtteilen teurere Gemeindehäuser zu errichten, wird nun dazu verwendet, allen Mitgliedern der Kirche bequeme Versammlungshäuser bieten zu können.

DIE HEUTIGE KIRCHE UND TECHNOLOGIE. Die Kirche bemüht sich, die Entwicklungen der modernen Technik überall dort einzusetzen, wo sie die Verwaltung erleichtern und beim Verbreiten der Botschaft der Kirche behilflich sind. Seit Ankauf des ersten Computers durch die Finanzabteilung der Kirche im Jahr 1962 hat die Kirche die EDV in einer Vielzahl von Bereichen eingesetzt, so zum Beispiel im Bauwesen und für Mitgliedsscheine, in der Finanzbuchhaltung, bei der Bearbeitung von Missionsanträgen, bei der Berichtsführung (sowohl auf örtlicher Basis als auch zentral) sowie bei der Geschichts- und Familienforschung.

Kein anderes Programm der Kirche hat so sehr von der modernen Technologie profitiert wie die Genealogie. Mit zunehmendem Wachstum der Kirche entstand der Bedarf an effektiveren Methoden der Sammlung und Bearbeitung der für die Tempelarbeit bestimmten Namen. Die Genealogische Abteilung (die heute “Family History Department”, also Abteilung Familiengeschichte heißt) stellte in vielen Ländern der Welt Mikrofilme der Personenstandsdaten her, die in ihren Bibliotheken in Salt Lake City und in hunderten Zentren für Familienforschung rund um die Welt zugänglich sind. In den sechziger Jahren setzte die Genealogische Abteilung zum ersten Mal Computer ein, um die zur Verfügung stehenden Daten entsprechend zu bearbeiten. Seit 1978 bemühen sich eigens dazu berufene Mitglieder der Kirche mindestens vier Stunden pro Woche, die Mikrofilmdaten auszuwerten. Das “Family History Department” hat auch die Genealogie-Software, “Personal Ancestral File”, herausgegeben und damit begonnen, wichtige genealogische Informationen auf Laserdiskette zur Verfügung zu stellen.

Tempel und Technologie treffen auch anderswo aufeinander. Die Film- und Videotechnologie hat es möglich gemacht, die Belehrungen im Tempel effizienter und anschaulicher zu gestalten. Da diese nun in einem einzigen Raum anstatt wie bisher in vier Räumen stattfinden, können die Tempel kleiner und daher kostengünstiger gebaut werden, wodurch mehr Tempel errichtet werden können. Die Technik hat es auch möglich gemacht, die heiligen Handlungen bei Bedarf gleichzeitig in mehreren Sprachen zu vollziehen.

Die Auswirkungen des Fernsehens auf die Kirche und das öffentliche Ansehen der Kirche waren phänomenal. Die Generalkonferenzen der Kirche wurden 1949 zum ersten Mal über KSL-Television in Salt Lake City übertragen, und Mitte der sechziger Jahre wurden eine oder manchmal auch mehrere Versammlungen der Generalkonferenz in ganz Amerika übertragen. In den achtziger Jahren schaffte die Kirche ein Satellitenübertragungssystem an, das an die Pfahlzentren rund um die Welt angeschlossen wurde. Seither können die Heiligen der Letzten Tage sowohl Generalkonferenzen als auch andere besondere Versammlungen live oder zeitversetzt mitverfolgen.

MISSIONSARBEIT. Im Jahr 1990 hatte die Kirche über zwei Drittel ihres jährlichen Wachstums der Missionsarbeit zu verdanken. Von den über 40.000 Vollzeitmissionaren waren ca. 30.000 junge Männer im Alter von neunzehn bis einundzwanzig Jahren. Den Rest machten mindestens einundzwanzig Jahre alte unverheiratete Frauen und Ehepaare im Ruhestand aus.

Besonderes Augenmerk wurde auf die Verbesserung der Belehrungstechniken gelegt. Nach einer Vielzahl von Experimenten wurde in den fünfziger Jahren ein einheitliches Belehrungssystem eingeführt, das auf einer Reihe genormter Lerninhalte basierte. Nach vielen Verbesserungen und Veränderungen wurde 1990 wieder ein neues System eingeführt, bei dem die Missionare während der Lektionen weniger auswendig vortragen und sich mehr auf den Heiligen Geist verlassen müssen.

Die Missionare wurden auch unter anderem sprachlich besser ausgebildet. Im Jahr 1963 wurde in der Nähe der Brigham Young Universität die “Language Training Mission” (die später in das “Missionary Training Center” umbenannt wurde) errichtet. Fünf Jahre später wurde ein ähnliches Schulungszentrum für Missionare in der Nähe des “Church College of Hawaii” errichtet. Im Jahr 1990 gab es weltweit insgesamt 14 Missionarsschulungszentren, wobei drei Viertel aller Missionare das MTC in Provo besuchten.

Zu den Neuerungen auf dem Gebiet der Missionsarbeit gehörte auch die Einführung des Missionarsdienstes, der nicht der reinen Bekehrungstätigkeit, sondern dem christlichen Dienst am Nächsten gewidmet ist. Im Jahr 1971 wurden die ersten Wohlfahrtsmissionare dazu berufen, besonders in Entwicklungsländern Grundlagen der Ernährung, der Hygiene und der Krankheitsvorbeugung zu unterrichten. Ab 1990 müssen alle Missionare zusätzlich zur Bekehrungstätigkeit zwei bis vier Wochenstunden dem Dienst am Gemeinwesen widmen. Auch ältere Missionarsehepaare wurden zum Dienst berufen und arbeiteten in der Wohlfahrt, in der Führerschaftsschulung, in Besucherzentren und in der Öffentlichkeitsarbeit, in Genealogiearchiven, im Tempel und bei der Bekehrung mit.

POLITIK UND GESELLSCHAFT. Obwohl sich die Kirche politisch nicht direkt einmischt, hat die Kirchenführung trotzdem zu bestimmten moralischen Fragen gelegentlich Stellung bezogen. Die Erste Präsidentschaft hat sich bisher öffentlich gegen Pornographie, Geburtenkontrolle und Abtreibung, den Verfall sittlicher Normen (wozu ihrer Ansicht nach auch die wachsende Zahl der Scheidungen und das in den Vordergrund Rücken der Homosexualität gehört) ausgesprochen. Im Jahr 1968 mischte sich die Kirche in die Politik in Utah ein, indem sie sich öffentlich gegen den Ausschank alkoholischer Getränke wandte. Sie hat sich auch für den Ladenschluß am Sonntag, gegen bestimmte Gewerkschaftsrechte sowie gegen staatliche Lotterien ausgesprochen.

Inmitten der intensiven Bürgerrechtskonflikte, die in den USA der sechziger Jahre ausgetragen wurden, forderte die Erste Präsidentschaft öffentlich “die völlige Gleichheit für alle Kinder Gottes” und forderte die Heiligen der Letzten Tage dazu auf, die Forderungen nach gleichen Bürgerrechten für Amerikaner schwarzer Hautfarbe zu unterstützen. Als in den siebziger Jahren die Auseinandersetzungen um die Gleichbehandlung der Frau eskalierten, bezog die Erste Präsidentschaft öffentlich Stellung und forderte die völlige rechtliche Gleichstellung der Frau, distanzierte sich aber von dem Entwurf eines Zusatzartikels zur amerikanischen Verfassung, dem “Equal Rights Amendment”, das in ihren Augen die Familie untergraben hätte. Die Erste Präsidentschaft zeigte sich auch wegen des Rüstungswettlaufs besorgt und bezog in den Jahren 1980 und 1981 eindeutig Stellung dagegen.

Im Gegensatz zum frühen 20. Jahrhundert, als die meisten Heiligen der Letzten Tage in erster Linie auf dem Lande lebten, waren um die Mitte des Jahrhunderts die meisten Mormonen in städtische Ballungszentren gezogen. Das hektische Leben der Großstadt führte zu zusätzlichen psychischen Belastungen, und die Vielfalt an Möglichkeiten und Versuchungen zogen die einzelnen Familienmitglieder in verschiedene Richtungen. Als Reaktion auf diese und auch andere Bedürfnisse rief die Kirche verschiedene Sozialhilfeprogramme ins Leben. Seit 1919 hatte die Frauenhilfsvereinigung eine Adoptionsagentur betrieben und notleidenden Kindern Pflegeplätze verschafft. Dies wurde nun ausgebaut. In den fünfziger Jahren rief Elder Spencer W. Kimball <Kimball, Spencer W.> ein Förderprogramm für Indianer ins Leben, “Indian Student Placement Services” genannt, das tausenden Indianerkindern die Möglichkeit bot, ordentliche Schulen zu besuchen, während sie bei guten Mormonenfamilien untergebracht waren. Dann gab es noch das “Youth Guidance Program”, das Familien mit besonderen Schwierigkeiten beratend zur Seite stand. Im Jahr 1969 wurden alle drei Programme, denen die staatliche Auflage erteilt worden war, nur ausgebildete Sozialarbeiter anzustellen, zusammengelegt und hießen von nun an “Social Services Department” (Sozialdienst) der Kirche. Der Sozialdienst organisiert unter anderem auch Aktivitäten für straffällig gewordene Jugendliche, Programme für Häftlinge sowie Beratung bei Alkohol- und Drogenmißbrauch.

Die Kirchenführung begann sich nun auch mehr in die Bedürfnisse alleinstehender Männer und Frauen hineinzufühlen. Seien es Geschiedene, Verwitwete oder zeitlebens Ledige - ihre sozialen und geistigen Bedürfnisse wurden durch die ehe- und familienorientierten Programme der Kirche nicht gedeckt. In den siebziger Jahren wurden unter der Schirmherrschaft der Frauenhilfsvereinigung und des Priestertums besondere Programme für junge alleinstehende Erwachsene und ältere Alleinstehende ins Leben gerufen. Durch eigenständige Komitees auf Gemeinde-, Pfahl- und Regionsebene wurden Tanzveranstaltungen und andere kulturelle Aktivitäten organisiert, wo Gelegenheit geboten wurde, mit Gleichaltrigen und Gleichinteressierten bekannt zu werden. Außerdem wurden eigene Gemeinden für junge alleinstehende Erwachsene gegründet; zuerst im Pfahl Emigration in Salt Lake City, und später auch in anderen Städten.

DIE RÜCKKEHR ZUM WESENTLICHEN. Zu Präsident Bensons Aufrufen in den achtziger Jahren gehörte die Rückkehr zu althergebrachten Wertvorstellungen, Er forderte die Heiligen der Letzten Tage dazu auf, das Buch Mormon zu lesen, um ihren Glauben an Christus zu stärken und bei der Bewältigung der Probleme unserer Zeit Führung von Gott zu erlangen. Dies war aber nur einer der vielen Versuche der heutigen Kirchenführer, auf die immer komplizierter werdenden Herausforderungen der Welt zu reagieren und die Heiligen dazu zu bringen, zum Wesentlichen zurückzukehren.

Im Jahr 1972 begann man in der Evangeliumslehreklasse der Sonntagsschule mit der systematischen Behandlung der vier heiligen Schriften der Kirche. Dabei wurden als Ausgangstext nur die heiligen Schriften verwendet, die in einem acht- (später vier-) jährigen Zyklus gelesen wurden. Schon bald waren alle Lehrpläne der Kirche an die heiligen Schriften gebunden. Zur Förderung dessen und des persönlichen Schriftstudiums der Mitglieder gab die Kirche alle vier englischen heiligen Schriften neu heraus, die mit Querverweisen zueinander versehen waren. Die aus dem Jahr 1979 stammende HLT-Ausgabe der englischen King-James-Bibel enthält zusätzlich noch einen 800 Seiten starken Anhang mit einem Bibellexikon, einer Konkordanz aller vier heiligen Schriften, Landkarten sowie Auszüge aus der Bibelübersetzung von Joseph Smith. Im Jahr 1981 erschienen auch die Neuausgaben der anderen heiligen Schriften, die ebenfalls neue Studienhilfen beinhalteten.

Die Rückkehr zum Wesentlichen zeigte sich auch bei anderen Veränderungen der Richtlinien und Programme der Kirche. Im Jahr 1980 wurde das Kompaktversammlungsschema eingeführt, bei dem alle Versammlungen in einem dreistündigen Block stattfinden. Früher hatten Priestertumsversammlung und Sonntagsschule am Sonntagvormittag, die Abendmahlsversammlung am späteren Nachmittag oder Abend stattgefunden, und die Versammlungen der Hilfsorganisationen während der Woche. Durch das Kompaktversammlungsschema wurde das Transportproblem vieler Mitglieder aus der Welt geschafft, aber wie die Kirchenführung betonte, habe das Hauptmotiv darin gelegen, der Familie mehr Zeit zum Schriftstudium und für andere geeignete Sonntagsaktivitäten zu geben.

Im Jahr 1990 wurden in den USA und Kanada (und ab 1991 in den anderen Teilen der Welt) die Spenden an den Gemeinde- und Pfahlfonds abgeschafft. Alle Ausgaben für Betrieb und Instandhaltung der Gemeinden wurden nun aus dem Zehnten- und den Spendenkonten der Kirche beglichen, wodurch größere finanzielle Gerechtigkeit herrschte. Elder Boyd K. Packer <Packer, Boyd K.> vom Rat der Zwölf erklärte diese neue Richtlinie und nannte sie eine inspirierte “Kursberichtigung”, die Teil der Bemühungen der Kirche sei, zum Wesentlichen zurückzukehren. (Ensign 10, Mai 1990, S. 89–91.) Diese Formulierung könnte sich auf fast alles beziehen, was seit 1945 in der Kirche geschehen ist.

Die Mitglieder der Kirche haben die Veränderungen im großen und ganzen gut aufgenommen und sie als Gelegenheit empfunden, größeren geistigen Fortschritt zu machen. Als Folge dessen ist es der Kirche seit 1990 so schnell wie noch nie zuvor gelungen, viele verschiedene Nationalitäten, Sprachen und Kulturen in sich aufzunehmen. Die Kirchenführung betont zwar nach wie vor die herkömmlichen Lehren der Kirche, aber die Ansprachen der Generalkonferenzen beziehen sich immer mehr darauf, was einen echten Heiligen der Letzten Tage ausmacht und was Elder M. Russell Ballard <Ballard, M. Russell> im April 1990 wiederum als die “kleinen und einfachen Dinge” bezeichnete: Liebe, Dienen, Heim und Familie sowie die Verehrung des Erretters. (Ensign 10, Mai 1990, S. 6–8.) Aus dem allem besteht ein wahrer Heiliger der Letzten Tage.

BIBLIOGRAPHIE

Über diesen Abschnitt der Kirchengeschichte ist vieles in verschiedenen Fachzeitschriften zu lesen. Einige allgemeine Artikel wurden bereits in der Einleitung namentlich erwähnt. Siehe Spencer J. Palmer, The Expanding Church (Salt Lake City, 1978). Genauere Einzelheiten enthalten die in den Biographien der einzelnen Präsidenten der Kirche angegebenen Bibliographien, nämlich die von George Albert Smith, David O. McKay, Joseph Fielding Smith, Harold B. Lee, Spencer W. Kimball und Ezra Taft Benson.

JAMES B. ALLEN

RICHARD O. COWAN