Die Heiligen der Letzten Tage werden dazu aufgefordert, sich auf potenzielle Probleme vorzubereiten. Da sich das Evangelium sowohl auf das geistige als auch auf das zeitliche Wohl des Menschen erstreckt, wird es von der Kirche als notwendig erachtet, sich auf jedweden möglichen Notfall, der die Lebensqualität verschlechtern oder Leid hervorrufen könnte, vorzubereiten. Dabei kann es sich um Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Verletzungen oder andere Umstände handeln, die lebensbedrohlich oder dem Wohlbefinden abträglich sind. Die Kirche fordert ihre Mitglieder dazu auf, sich auf solche Notfälle vorzubereiten.
Die Aufforderung der Kirche Jesu Christi an ihre Mitglieder, sich auf Notfälle vorzubereiten, lässt sich logisch erklären: Wenn man vorsorglich haushält und vorab die Kenntnisse und Vorräte erwirbt, die man braucht, um Notsituationen zu meistern, kann man das Leid und den Schaden, die aus unerwarteten Umständen entstehen können, mindern oder verhindern. Wenn die Mitglieder der Kirche vorbereitet sind, können sie ein Gefühl der Sicherheit und des inneren Friedens verspüren (LuB 38:30), was eine Voraussetzung für den geistigen Fortschritt ist. Die Mitglieder sollen außerdem darauf hinarbeiten, finanziell unabhängig zu werden, d.h. selbstständig ihre eigenen Bedürfnisse zu decken, Bedürftigen zu helfen und sich nicht unnötigerweise von der Hilfe oder den Mitteln anderer abhängig zu machen. Sie werden auch dazu aufgefordert, in guten Zeiten etwas beiseitezulegen, damit sie für sich und andere sorgen können, wenn schlechte Zeiten herrschen. Mitglieder der Kirche verstehen unter Vorbereitung auf den Notfall eher, etwas „auf die hohe Kante zu legen“ als sich für den „Weltuntergang“ bereit zu halten (Kimball, S. 78).
Seit über hundert Jahren sagen die Führer der Kirche ihren Mitgliedern, dass sie Getreide und andere Grundnahrungsmittel, von denen sie sich während einer Dürre oder Hungersnot ernähren können, einlagern sollen (Essentials of Home Production and Storage, S. 17). Die gegenwärtigen Richtlinien für den eigenen Vorrat sind international gültig. Dazu gehören ein Jahresvorrat an Lebensmitteln, Kleidung und, falls möglich, Energie oder Kraftstoff (Benson, S. 33). In den Richtlinien der Kirche heißt es: „Wir haben nie genaue Vorschriften dafür gemacht, was man einlagern sollte. Vielleicht sollten wir bei dem Begriff Jahresvorrat nicht an die Mengen denken, die wir normalerweise in einem Jahr verbrauchen würden, sondern eher versuchen einzuschätzen, was wir bräuchten, um uns ein Jahr lang am Leben zu erhalten, falls wir nichts anderes zu essen bekämen. Ein solcher Vorrat ließe sich sehr leicht anlegen“ (Essentials, S. 6).
Die Frauen in der Kirche werden schon seit langem durch Haushaltungskurse und –seminare der Frauenhilfsvereinigung dazu ermuntert, Gemüsegärten anzulegen, Nahrungsmittel zu konservieren und sich Nähkenntnisse anzueignen. Den Mitgliedern der Kirche wird geraten, von Weiterbildungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, durch die sie lernen können, auf Veränderungen im Arbeitsmarkt zu reagieren, finanzielle Schulden zu vermeiden, durch eine angemessene Ernährung und körperliche Aktivität gesund zu bleiben, erste Hilfe zu leisten und sich selbst und ihr Eigentum vor Feuer, Überschwemmungen und Diebstahl zu schützen. Den Mitgliedern wird auch geraten, Lebens-, Kranken- und Sachversicherungen abzuschließen, wenn sie Zugang dazu haben. Des weiteren wird ihnen eindringlich davon abgeraten, Panikkäufe zu tätigen, Kredit für den Erwerb von Notvorräten aufzunehmen, kurzlebige Trends mitzumachen und offizielle Empfehlungen für bestimmte Marken, Anbieter oder Methoden zu geben.
Die Kirche setzt das Prinzip der Vorbereitung institutionell um. Unter den Sammelbegriff Wohlfartsdienste fallen die Wohlfahrtsfarmen der Kirche, Konservenfabriken und die Vorratshäuser des Bischofs, in denen Verbrauchsgüter angebaut, weiterverarbeitet und an bedürftige Mitglieder der Kirche verteilt werden. Diese Betriebe verfügen über ca. einen Jahresvorrat an Inventar, sowohl an Produktionsmitteln und Endprodukten. Die Kirche besitzt außerdem Getreidevorräte, mit denen Bedürftigen zwischen den Erntezeiten geholfen wird, wobei ein adäquater Spielraum für einen eventuellen Bedarf während anhaltender Rezessionen gelassen wird. Die Kirche versucht jedoch nicht, einen Notvorrat für alle ihre Mitglieder zu halten. Die langfristige Vorbereitung auf katastrophenartige Notfälle bleibt den einzelnen Mitgliedern und Familien in aller Welt überlassen.
Ständige Bereitschaft erlaubte es der Kirche, sich an humanitären Projekten zu beteiligen, die das menschliche Leid nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Bruch des Teton-Damms in Idaho 1976, einer Lebensmittelknappheit in Polen 1982, Überschwemmungen in Brasilien 1983, Erdbeben in Mexiko City 1985, Orkanen in der Karibik und South Carolina 1989 und nach anderen Natur- und von Menschenhand hervorgerufenen Katastrophen minderten.
Die Einheiten der Kirche (Gemeinden, Pfähle, Regionen und Gebiete) werden angewiesen, einen schriftlichen Notfallschutzplan zu entwerfen und beizubehalten. Die Pläne sind vom Ausmaß und der Detailliertheit her unterschiedlich, was von der Art und Schwere der Notfälle abhängt, die im jeweiligen Gebiet wahrscheinlich sind. In Notfallschutzplänen werden normalerweise Themen wie Hierarchie und Kommunikationslinien, Meldeverfahren, der Standort und das Ausmaß der für den Notfallschutz vorhandenen Ressourcen, Richtlinien für die Nutzung der Versammlungshäuser der Kirche als Zufluchtsort und die Namen und Adressen von Notfallschutz-Spezialisten aufgeführt.
Die vorsitzenden Beamten aller Einheiten der Kirche werden dazu ermuntert, Notfallschutzmaßnahmen und –pläne mit den entsprechenden Behörden abzustimmen. Das vorbildliche Verhalten aller Mitglieder der Kirche ist während Zeiten der Not von unumstößlicher Wichtigkeit.
FRANK D. RICHARDSON