Home

MELCHISEDEK

Dieser Eintrag besteht aus zwei Artikeln:

Melchisedek: HLT-Quellen, eine Besprechung dessen, was über Melchisedek aus Kirchenschriften und Offenbarungen bekannt ist, und Melchisedek: Altertümliche Quellen, ein historischer Blick auf Melchisedek von altertümlichen Schriften und Traditionen.

MELCHISEDEK: HLT-QUELLEN

Als König und Hohepriester des Allerhöchsten Gottes (Gen. 14:18) genießt Melchisedek großes Ansehen und Respekt unter Heiligen der Letzten Tage. Als Beispiel der Rechtschaffenheit und Namensvetter des höheren Priestertums repräsentiert er das in den Schriften dargestellte Ideal von jemandem, der die Kraft Gottes durch Glauben, Umkehr und heilige Verordnungen erlangt, um seine Mitmenschen zu inspirieren und zu segnen.

Melchisedek war offensichtlich von Geburt aus ein Prinz, denn er wurde König von Salem (später Jerusalem, Gen. 14:18, Ps. 76:2), wo er „unter seinem Vater“ regierte“ (Alma 13:18). „Melchisedek war ein Mann des Glaubens, der Rechtschaffenheit bewirkte. „Als Kind fürchtete er Gott und verschloss das Maul von Löwen und löschte die Gewalt des Feuers“ (ÜJS Gen. 14:26). Aber das Volk, unter dem er lebte, „hatte stark zugenommen an Übelkeit und Greuel; ja, sie waren alle irregegangen, sie waren voll von Schlechtigkeit“ (Alma 13:17).

Obwohl Melchisedek unter einem schlechten Volk lebte, „übte [er] mächtigen Glauben und empfing das Amt des Hohen Priestertums gemäß der heiligen Ordnung Gottes“ (Alma 13:18). Dieses Priestertum war nach der Ordnung des Bundes, den Gott mit Enoch geschlossen hatte (ÜJS Gen. 14:27), und Melchisedek herrschte sowohl als König als auch als Priester über sein Volk.

Als Hoherpriester hatte er unter anderem folgende Aufgaben: das „Vorratshaus Gottes“ verwalten, wo die „Zehnten für die Armen“ aufbewahrt wurden (ÜJS Gen. 14:37-38), Personen wir Abraham Segen spenden (ÜJS Gen. 14:18, 25, 37), Umkehr verkünden (Alma 13:18 und weiter 5:49) und Verordnungen vollziehen „auf diese Weise, damit das Volk nach dem Sohn Gottes ausschauen würde … zur Vergebung ihrer Sünden, so dass sie in die Ruhe des Herrn eingehen könnten“ (Alma 13:16, ÜJS Gen. 14:17). Mit außergewöhnlicher Güte und Kraft diente Melchisedek gewissenhaft im Amt des Hohenpriesters und „predigte seinem Volk Umkehr. Und siehe, sie kehrten um; und Melchisedek richtete in dem Land zu seiner Zeit Frieden auf“ (Alma 13:18). Demzufolge wurde Melchisedek als „König des Friedens“ bekannt (ÜJS Gen. 14:33, Hebr. 7:1-2, Alma 13:18). Sein Volk wirkte Rechtschaffenheit und erreichte die Seligkeit“ (ÜJS Gen. 14:34). Sein hebräischer Name bedeutet „König der Gerechtigkeit“.

Für Alma II und mehrere biblische Autoren war die Ordnung des Priestertums, zu der Melchisedek ordiniert war, von höchster Wichtigkeit. Diese „Ordnung“ gab Melchisedek zusammen mit Glauben die Macht und Erkenntnis, die sein Volk dazu bewegten, umzukehren und würdig zu werden bei Gott zu sein. Diese Ordnung war „nach der Ordnung des Sohnes Gottes; diese Ordnung kam nicht durch den Menschen oder den Willen des Menschen; noch durch Vater oder Mutter; noch durch den Anfang der Tage noch das Ende der Jahre; sondern von Gott“ (ÜJS Gen. 14:28, ÜJS Hebr. 7:3, Ps. 110:4). Sie wurde Melchisedek „durch die Linie seiner Väter, ja, bis zu Noach“ und von Melchisedek an Abraham gegeben (D&C 84:14). Zu dieser Ordnung ordinierte Personen sollten „Macht durch Glauben“ haben und gemäß dem „Willen des Sohnes Gottes“ Wunder wirken. Letztendlich sollten jene in dieser Ordnung „in der Gegenwart Gottes stehen“ (ÜJS Gen. 14:30-31). Das geschah durch Teilnahme an den Verordnungen dieser Ordnung (Alma 13:16, LuB 84:20-22). Daraus folgte, dass „Menschen, die diesen Glauben hatten und zu dieser Ordnung Gottes aufstiegen, umgewandelt und in den Himmel aufgenommen wurden“ (ÜJS Gen. 14:32). Dementsprechend lehrte der Prophet Joseph Smith, dass das Priestertum, das Melchisedek innehatte, „die Macht des endlosen Lebens“ besaß (LPJS, S. 329 und auch  Ewiges Leben).

Melchisedek war so rechtschaffen und glaubenstreu in der Ausführung seiner Pflichten als Hoherpriester, dass er ein Prototyp für Jesus Christus wurde (Hebr. 7:15). Der Prophet Alma im Buch Mormon sagte über ihn: „Es gab viele [Hohepriester] vor ihm und auch viele nach ihm, aber keiner war größer“ (Alma 13:19). Die Lehre und Bündnisse besagen, dass Melchisedek „so ein großer Hoherpriester“ war, dass das höhere Priestertum nach ihm benannt wurde. „Vor seinen Tagen hieß es das Heilige Priestertum nach der Ordnung des Sohnes Gottes. Aber aus Achtung und Ehrfurcht vor dem Namen des höchsten Wesens und um die allzu häufige Wiederholung seines Namens zu vermeiden, nannten sie, nämlich die Kirche, in alter Zeit dieses Priestertum nach Melchisedek, also das Melchisedekische Priestertum“ (LuB 107:2-4, kursiv im Original).

Einige frühe HLT-Führer bekräftigten, dass Melchisedek Schem, der Sohn  Noachs, war (Siehe z.B. T&S 5:746). Obwohl Schem auch als großer Hoherpriester identifiziert wird (LuB 138:41), scheint es gemäß Lehre und Bündnissen 84:14, als ob die zwei vielleicht nicht dieselbe Person sind (MD, S. 475), und jüdische Quellen, die Melchisedek mit Schem gleichsetzen, treten spät auf und sind einseitig.

BIBLIOGRAPHIE

Madsen, Ann N. „Melchizedek, the Man and the Tradition“. Magisterthese, Brigham Young Universität, 1975.

Welch, John W. „The Melchizedek Material in Alma 13:13-19“. In By Study and Also by Faith, Hg. J. Lundquist und S. Ricks, Band 2, S. 238-72. Salt Lake City, 1990.

Widtsoe, John A. „Who Was Melchizedek?“ Evidences and Reconciliations, S. 231-33. Salt Lake City, 1960.

BRUCE SATTERFIELD 


MELCHISEDEK: ALTERTÜMLICHE QUELLEN

Genesis 14:17-24 berichtet, dass der König von Sodom („Bera“ 14:2) Abram („dem Hebräer“ 14:13) bei seiner siegreichen Rückkehr vom Schlachtfeld entgegenzog. Er wollte Abram sehr gern für seine Hilfe ihm und seinen Verbündeten gegenüber belohnen. Die Geschichte wird durch einen rätselhaften Einschub (14:18-20) über „Melchisedek König von Salem“, „Priester des Allerhöchsten Gottes“ (RSV), unterbrochen. Melchisedek „brachte Brot und Wein hervor“ und segnete Abram im Namen des allerhöchsten Gottes (hebräisch 'el "elyôn ). Abram gab dann Melchisedek einen Zehnten von seiner Beute. Dieser Priester-König von Salem ist in jüdischen, christlichen und gnostischen Schriften auf die verschiedenste Weise interpretiert worden. Einige brachten ihn hinauf in die Höhen des Himmels, und andere - aus der sich entwickelnden christlichen und jüdischen Denkweise - brachten ihn wieder auf die Erde.

Die Geschichte in Genesis 14 hat zahlreiche Fragen aufgeworfen. Die meisten heutigen Gelehrten halten eine Verbindung dieses Melchisedek mit einer vorisraelitischen Monarchie und/oder Priestertum in der Jebusiter-Stadt Jerusalem („Salem“) vor ihrer Eroberung durch König David für möglich (2 Sam. 5:6-10). Der Einbau der Geschichte in judäische Traditionen spiegelt die Interessen der königlichen Ideologie in Jerusalem wider.

Der Name Melchisedek tritt nur ein einziges anderes Mal im Alten Testament in einem könglichen Jerusalem-Psalm, Psalm 110:4, auf. Dort spricht Gott („der Herr“) den König folgendermaßen an: „Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“.

Melchisedek erscheint im Neuen Testament nur in dem Brief an die Hebräer (5:6-10, 6:20, 7:1-17), wo die Figur aus dem Alten Testament als Sinnbild des „Hohenpriesters“ des Neuen Bundes, Jesus Christus, interpretiert wird. Die Schlüsselstelle steht in Hebräer 7:3, wo es heißt, dass Melchisedek „ein Abbild des Sohnes Gottes“ ist. Melchisedeks Priestertum, das dem der „Söhne Levis überlegen ist“ (Hebr. 7:5), ist eine Andeutung des Priestertums des Sohnes Gottes. Hebräer 7:3 wird zur Grundlage für die meisten christlichen Interpretierungen der Person Melchisedek (Horton, S. 111, 152, 161-64).

Ein wichtiges Zeugnis für eine vorchristliche jüdische Spekulation in Bezug auf Melchisedek ist unter den Schriftrollen vom Toten Meer aufgetaucht: 11QMelch. Der fragmentarische hebräische Text—gewöhnlich auf das erste Jahrhundert vor Christus datiert—spricht über Melchisedek als himmlischen Endzeit Erlöser mit Eigenschaften des Erzengels Michael. Er erscheint im zehnten und letzten Jubiläum der Weltgeschichte, um die Erwählten, die „Männer der Gruppe um Melchisedek“ (ii.8), zu erretten, die mit Belial und seinen schlechten Geistern kämpften. Melchisedeks Triumph wird als hohepriestlicher Akt der „Sühne“ beschrieben (ii.8, weiter Kobelski, S. 5-23).

Melchisedek wird von Philo, einem jüdischen Philosophen aus dem Alexandria des ersten Jahrhunderts, in drei Schriften erwähnt (Legum Allegoriae 3.79-82, De Congressu 89, De Abrahamo 235). Philo interpretiert den Text in Genesis auf platonisch-allegorische Weise. Er sieht in Melchisedek einen Verweis auf den göttlichen Logos, den Gedanken Gottes, in dem das Muster von allem, was existiert, erdacht wird, und auf das „Abbild“ Gottes, nach dem der Mensch erschaffen wurde.

Ein weiterer wichtiger Text, 2 Enoch, belegt frühes jüdisches Interesse an der Person Melchisedek. Das Datum und der Ort dieses Dokuments sind umstritten, aber neuere Studien datieren seine griechische Originalversion auf das erste Jahrhundert nach Christus in Alexandria (Siehe weiter F. I. Andersens Einführung und Übersetzung in Charlesworth, Band 1, S. 91-213). In diesem Text (Kapitel 71-72) gebiert Noachs kurz davor verstorbene Schwägerin auf wundersame Weise ein Kind, und das Kind, das auf seiner Brust ein priesterliches Siegel trägt, spricht und preist Gott. Der Junge heißt Melchisedek nach Noach und seinem Bruder Nir, dessen Frau nach ihrem Tod entbunden wurde. In einer nächtlichen Vision erfährt Nir von der bevorstehenden Flut. Er erfährt außerdem, dass der Erzengel Michael Melchisedek ins Paradies bringen wird, so dass er den Fluten entfliehen kann. Melchisedek wird eines Tages der führende Priester unter dem Volk werden, und am Ende der Tage wird er nochmals als der Hauptpriester offenbart werden. In diesem Text hat Melchisedek drei verschiedene irdische Manifestationen: vor der Flut geboren, dient im Zeitalter nach der Flut als großartiger Priester und fungiert in der Endzeit als messianischer Priester (Siehe weiter Gruenewald, S. 90-92, Delcor, S. 127-30).

Einige dieser jüdischen Interpretierugen wurden von Gnostikern übernommen und spiegeln sich nun in einigen christlichen gnostischen Texten wider, die in koptischen Manuskripten des vierten und fünften Jahrhunderts erhalten sind (Pearson, 1990). In einem fragmentarischen Manuskript bittet der Jünger Johannes Jesus zu erklären, was über Melchisedek in Hebräer 7:3 gesagt wird. Unglücklicherweise bricht der Text ab, bevor Jesu Interpretierung gegeben wird.

Ein fragmentarischer Text vom Nag Hammadi (IX.1: Melchisedek, weiter Pearson, 1981, S. 19-85) enthält eine Apokalypse, die Engel Melchisedek, dem „Priester des Allerhöchsten Gottes“, gegeben haben. Melchisedek wird offenbart, dass er letztendlich als Jesus Christus, Sohn Gottes, wieder erscheinen wird, um mit den kosmischen Kräften der Finsternis zu kämpfen. Hier kann man Einflüsse nicht nur von dem Brief an die Hebräer, sondern auch von nicht-christlichen Überlieferungen sehen.

Im Zweiten Buch Jeu ist „Zorokothora Melchisedek“ ein himmlischer Priester, der über eine himmlische Taufe präsidiert. Der Text weist keine Spur eines Einflusses vom Hebräerbrief auf.

Die am weitesten entwickelten Ebenen der Spekulation in Bezug auf Melchisedek, denen der Einfluss vom Hebräerbrief ebenso fehlt, finden sich in Pistis Sophia, Buch 4, wo Melchisedek eine Schlüsselrolle in dem Prozess spielt, menschliche Seelen für den Eintritt in die „Schatzkammer des Lichts“ zu reinigen und sie von der Domäne der Regenten oder irdischen Herrscher in jene himmlische Region zu versetzen. Das jüngere Material in den Büchern 1-3 von Pistis Sophia entwickelt diese Ideen weiter: Melchisedek ist ein himmlisches Wesen, das die erretteten Seelen bei ihrem Eintritt in das Reich des Lichts siegelt.

Die Kirchenväter bekräftigen mehrere heterodoxe Ideen in Verbindung mit Melchisedek. Hippolytus von Rom (Refutatio 7.35-36) und Epiphanius von Salamis (Panarion 55) sind die wichtigsten Zeugen vor einer Gruppe von Heretikern, die sich Melchisedekaner nennen. Sie hatten eine niedrige Form der Christologie und erhöhten Melchisedek als eine himmlische Macht, die Christus überlegen ist. Andere setzten Melchisedek mit dem Heiligen Geist gleich (Panarion 67), und einige „sogar in der wahren Kirche“ (d.h. nicht „Ketzer“) betrachteten Melchisedek naiverweise als den Sohn Gottes (Panarion 55.7.3). Letztere Sichtweise scheint auch in den Klöstern in Ägypten geherrscht zu haben (Apophthegmata Patrum, in Patrologia Graeca 65.160) und wurde im 5. Jahrhundert sogar in einer Abhandlung über Melchisedek von einem Bewohner der judäischen Wüste, Markus dem Eremiten, verteidigt (PG 65.1117-40). Solche Ansichten wurden schließlich durch Lehrer-Bischöfe wie Cyril von Alexandria überwunden (PG 65.160).

Während frühe Rabbis weiterhin über Melchisedeks Rolle in den Schriften spekulierten (z.B. ihn mit Schem, Sohn Noachs, gleichzusetzen, Siehe weiter b. Nedarim 32b, Midrash Gen. R. 44.7, Targum Ps.-J. Gen. 14:18), sah eine Hauptrichtung der rabbinischen Tradition auf der jüdischen Seite Melchisedek negativ. Diese Tatsache zeigt einige jüdische Empfindsamkeit gegenüber dem Gebrauch Melchisedekischer Traditionen durch Christen (Gianotto, S. 172-85). [Siehe auch Apokryphen und Pseudepigraphen.]

BIRGER A. PEARSON

(c) 2008 South German Mission Foundation