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LEHRE UND BÜNDNISSE ALS LITERATUR

Die literarische Qualität der Lehre und Bündnisse kann man am besten in ihrer Ähnlichkeit mit einem nahen literarischen Verwandten, dem "nobelsten Monument englischer Prosa“, der King James Version der Bibel sehen. Obwohl die Lehre und Bündnisse einen wahrhaft einzigartigen religiösen Text darstellen, enthalten sie mehr als 2.000 enge Parallelen zu biblischen Schriftstellen, und die Literaturform des Buches ist der Bibel dem Thema nach ähnlich. Wie frühere Schriften bieten die Lehre und Bündnisse eine bunte Vielfalt an literarischen Genres. Die Sammlung von Offenbarungen reicht von so transzendenten Formen wie Visionen (Abschnitte 3, 76, 110), Verkündigungen durch Engel (Abschnitte 2, 13, 27) und Prophezeiungen (Abschnitte 87, 121), über solch kirchliche Ausdrucksformen wie Gebete (Abschnitte 109, 121), Episteln (Abschnitte 127, 128), Schrifterklärungen (Abschnitte 74, 77, 86), Gebote (Abschnitt 19) und amtliche Erklärungen, bis zu sachlichen Anweisungen (Abschnitte 130, 131) und Versammlungsprotokollen (Abschnitt 102).

Die buchstäbliche Verwandtschaft der Lehre und Bündnisse mit der Bibel zeigt sich mehr im Ton als im Stil. Die Lehre und Bündnisse beeindrucken zum Beispiel durch ihre einfache, konzentrierte Direktheit, die sich für Aussagen anbietet, die bemerkenswert reich an Auswirkungen sind. Die folgenden zwei Beispiele stammen aus einem einzigen Abschnitt: „Wahrheit ist die Kenntnis von etwas, wie es ist und wie es war und wie es künftig sein wird“ (LuB 93:24). „Die Herrlichkeit Gottes ist Intelligenz – oder mit anderen Worten, Licht und Wahrheit“ (93:36). Diese Zeilen erscheinen nicht so sehr in Kontexten, die sie erleuchten, als sie Teil einer Kettenfolgerung sind—Schlussfolgerungen ohne Benutzung von These und Antithese.

Tonaler Reichtum drückt sich manchmal in lebhaften Metaphern aus. Ein einzelner Abschnitt der Lehre und Bündnisse zum Beispiel zeigt eine sensitive Bilderfolge wie „fließendes Wasser“, das nicht „unrein bleiben“ kann (LuB 121:33), schlechte Erwartungen, die „wie der Rauhreif vor den sengenden Strahlen der aufgehenden Sonne schmelzen“  (121:11), und Lehren, die „wie Tau vom Himmel dir auf die Seele träufeln“ (121:45).

Als neueste Sammlung göttlicher Prophezeiungen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bieten die Lehre und Bündnisse den unschätzbaren buchstäblichen Vorteil der Aktualität. Moderne Leser können sich der Göttlichkeit durch dieses Buch natürlich und direkt nähern. Es siedelt den Leser nicht in der fernen Vergangenheit von Ophir oder Tarsus an, sondern in der neueren Geschichte solch [zumindest für den Amerikaner] vertrauter Landschaften wie New York und Boston, wo Gott sich in Hautnähe offenbart. Diese Nähe zeigt sich auch in seiner Anrede: Er spricht über die Empfänger seiner Offenbarungen ein halbes Dutzend Mal als „Freunde“ (LuB 84:63, 84:77, 94:1, 98:1, 100:1, 104:1).

So spricht die Stimme des Gottes Abrahams und Isaaks und von Petrus und Paulus Leser in den Lehre und Bündnissen als Freunde an. Die beeindruckenste literarische Besonderheit des Buches ist die Direktheit des Zugangs zu Gott. Als Joseph Smith in einem langen und schmerzlichen vorwurfsvollen Gebet „O Gott, wo bist du?“ ausruft, ist die Antwort des Vaters so unmmittelbar tröstend für den heutigen Leser, wie sie es für den Propheten gewesen war: „Mein Sohn, Frieden deiner Seele“ (LuB 121:1, 7). Die Lehre und Bündnisse sprechen mit biblischer Macht auf die unmittelbaren modernen Lebensbedinungen an. In den schwierigsten Augenblicken gegenwärtiger Umstände heben die Lehre und Bündnisse des Lesers Augen über die Enttäuschungen dieses Lebens hinaus zu ewiger Hoffnung: „Dies alles wird dir Erfahrung bringen und dir zum Guten dienen“ (122:7).

BIBLIOGRAPHIE

Sperry, Sidney B. Doctrine and Covenants Compendium. Salt Lake City, 1960.
Walker, Steven C. „The Voice of the Prophet“. BYU Studies 10 (Herbst 1969):95-106.

STEVEN C. WALKER