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KANADA, DIE KIRCHE IN KANADA

Bereits im Oktober 1830 erzählten die neubekehrten Mitglieder der Kirche ihren Familien und Bekannten in den Städten und Ortschaften Kanadas, die weniger als 300 Kilometer entfernt von Palmyra im Bundesstaat New York lagen, vom Evangelium. Zwischen 1830 und 1845 arbeiteten HLT-Missionare in Oberkanada (heute Ontario) und in den östlicheren, am Meer gelegenen Provinzen Britisch-Nordamerikas. Das frühere Unterkanada (heute Quebec), mit seinen römisch-katholischen Traditionen stand konkurrierenden Religionen gegenüber damals so gut wie unerschütterlich gegenüber. Brigham YOUNG <Young, Brigham>, Parley P. PRATT <Pratt, Parley P.>, Orson Pratt <Pratt, Orson>, John E. Page <Page, John E.> und sogar der Prophet Joseph SMITH <Smith, Joseph> reisten in den frühen Jahren der Kirche zu Bekehrungszwecken nach Oberkanada. In den Orten Kingston, Earnestown, Toronto, Brantford, Mount Pleasant, North und South Crosby und anderen schlossen sich ca. 2500 Kanadier der Kirche an. Da jedoch so viele in Kanada bekehrte Heilige der Letzten Tage zu den Hauptsitzen der Kirche zogen oder von der Kirche abfielen, weist die Volkszählung aus dem Jahr 1861 in ganz Oberkanada lediglich 74 Mormonen auf.

Fünfzig Jahre später und 4000 Kilometer weiter westlich erfolgte der zweite Vorstoß der Mormonen nach Kanada, als John TAYLOR <Taylor, John>, der damalige Präsident der Kirche und britisch-gebürtiger Kanadier, Charles Ora Card <Card, Charles Ora> nach Kanada entsandte, um einen Zufluchtsort für die Heiligen der Letzten Tage ausfindig zu machen, die wegen Ausübung der MEHREHE vor der US-Regierung flüchten mußten. Cards kleine Siedlung am Lee’s Creek in Südalberta wurde zur Stadt Cardston. Die kanadische Regierung verbot zwar ebenfalls die Mehrehe, aber nach der 1890 erfolgten Amtlichen Erklärung seitens der Kirche, die das offizielle Ende der Ausübung der Vielehe bedeutete, legte sich der Widerstand gegen die Kirche so gut wie ganz.

Einige Tausend ausgebildete und erfahrene Heilige der Letzten Tage machten sich das damalige kanadische Einwanderungsgesetz zunutze, das die Einwanderung nach Kanada förderte, und zogen Richtung Norden. Schon bald schossen andere HLT-Siedlungen rund um Cardston aus dem Erdboden hervor: Raymond (1890), Stirling und Magrath (1898). Am 9. Juni 1895 wurde als erster Pfahl außerhalb der Vereinigten Staaten der Pfahl Alberta gegründet. Charles O. Card wurde der erste Pfahlpräsident. Wegen ihrer Kenntnisse auf dem Gebiet der Landwirtschaft, insbesondere dem Zuckerrübenanbau, der Bewässerung großer Felder, wurden die HLT-Farmer schon bald von Freund und Feind bewundert. Im Jahr 1914 gab es bereits über zehntausend Heilige der Letzten Tage in den Dutzenden kleiner Ortschaften Süd-Albertas. Im Jahr 1923 wurde der Alberta-Tempel in Cardston als erster Tempel außerhalb der USA geweiht.

Im Laufe der Zeit hat sich die kanadische HLT-Bevölkerung langsam Richtung Norden verlagert, in die großen städtischen Ballungszentren Lethbridge, Calgary, Red Deer und Edmonton, wobei sich viele Mitglieder der Kirche von der Landwirtschaft auf andere Berufssparten verlegt haben. Seit 1950 haben sich Heilige der Letzten Tage in der Erdöl- und Erdgasindustrie, beim Bau der Eisenbahn, in der Politik, im Bildungswesen und in zahlreichen anderen Sparten einen Namen gemacht. Im Jahr 1900 lebten von den 50.000 Mitgliedern der Kirche in Alberta allein 12.000 in der Stadt Calgary.

Heilige der Letzten Tage aus den HLT-Siedlungen in Alberta breiteten sich quer über Kanada aus, um Beruf oder Ausbildung nachzugehen. Die Zahl der Mitglieder der Kirche in Kanada unterliegt einem steten, aber kaum spektakulären Wachstum. Im wesentlichen funktioniert es folgendermaßen: Zuerst gibt es einige örtliche Mitglieder, dann ziehen Mitglieder aus Alberta zu, immer wieder kommen Missionare, dann folgen Taufen und ein neuer Schub von Führungsbeamten, angemietete Räumlichkeiten weichen dem Bau kircheneigener Gebäude, aus Zweigen werden Bischofsgemeinden, aus Distrikten entstehen Pfähle. Die ersten kanadischen Pfähle außerhalb Albertas entstanden 1960 in Toronto (Ontario) und Vancouver. Seither wurden auch in Manitoba, Saskatchewan, Nova Scotia und New Brunswick Pfähle gegründet, die sehr große Gebiete umfassen. Im einst so mormonenfeindlichen Quebec gibt es heute zwei Pfähle, und zwar einen englischen und einen französischen.

Hugh B. Brown <Brown, Hugh B.> und Nathan Eldon Tanner <Tanner, Nathan Eldeon>, die beide aus Alberta stammten und in der Wirtschaft, im Militär und im Bildungswesen erfolgreich gewesen waren, waren von 1961 bis 1970 (Brown) und von 1963 bis 1982 (Tanner) Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft der Kirche.

Im Jahr 1990 lebte mehr als die Hälfte der 125.000 Mitglieder starken kanadischen HLT-Bevölkerung außerhalb von Alberta, und zwar in sechzehn der vierunddreißig kanadischen Pfähle. Die Weihung des Toronto-Tempels im Jahr 1990 war Höhepunkt von mehr als 150 Jahren hervorragender Leistungen der Kirche in Kanada.

BIBLIOGRAPHIE

Bennett, Richard E. “A Study of The Church of Jesus Christi of Latter-day Saints in Upper Canada, 1830–1850.” Diplomarbeit, Brigham Young University, 1975.

Card, Brigham Young, The Canadian Mormon Communities in Southwestern Alberta, Canada: Origins, Persistence, and Transformation of an Ethnic Identity. Canada, 1988.

———, u.a. Hrsg., The Mormon Presence in Canada. Logan, Utah, 1990.

Tagg, Melvin S. A History of the Mormon Church in Canada. Lethbridge, Alberta., 1968.

RICHARD E. BENNETT