Kirchenlieder haben in Bezug auf die Anbetungstradition der HLT seit den frühesten Tagen der Kirche eine zentrale Bedeutung. Heilige der Letzten Tage ehren ihr Gesangbuch fast genau so wie die Schriften, da sie glauben, dass ihr erstes Gesangbuch auf ein göttliches Gebot zurückgeht. Im Juli 1830, nur drei Monate nachdem die Kirche organisiert worden war, empfing Joseph Smiths Frau Emma Smith die Anweisung „eine Auswahl von heiligen Liedern zu treffen [...], daß sie in meiner Kirche vorhanden seien“ (LuB 25:11). Der daraus entstandene Band von 1835, Eine Sammlung von Heiligen Gesangsliedern, für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, enthielt samt seiner 90 Gesangslieder eine Anzahl ursprünglicher, unverwechselbarer Texte der HLT. Zwei Beispiele sind die Lieder von dem Mitherausgeber des Buches, William W. Phelps: „Der Geist aus den Höhen“ (Gesangbuch, Nr. 2) und „O Fülle des Heiles“ (Gesangbuch, Nr. 3). Diese Lieder feiern die Wiederherstellung der Kirche der Letzten Tage. Diese und andere ursprüngliche Gesangslieder wurden zusammen mit bekannten, protestantischen Liedertexten von Verfassern wie Isaac Watts und Reginald Heber gedruckt. Ein zweites Gesangbuch mit 304 Gesangsliedern wurde 1841 in Nauvoo gedruckt.
Unter der Anleitung von Brigham Young, Parley Pratt und John Taylor wurde 1840 ein als das Manchester Hymnal bekannter Band in Manchester, England, gedruckt. Der förmliche Titel war Eine Sammlung von Heiligen Gesangliedern für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Europa. Viele Jahrzehnte lang diente dieses Buch als das prinzipielle Gesangbuch der Englisch-sprachigen Heiligen. Bekehrte von den Britischen Inseln brachten es auf ihrer Reise nach Utah mit sich, um sich dort der größten Gruppe von Heiligen anzuschließen. Neue Gesangslieder, meistens amerikanischer Herkunft, wurden jeder späteren Ausgabe hinzugefügt, aber das Manchester Hymnal wurde weiterhin bis 1890 in England herausgegeben. Bis 1912 gab es bereits 25 verschiedene Ausgaben. Wie auch Emma Smiths Gesangbuch und die meisten anderen dieser Zeit wurden die Texte, aber nicht die Musik gedruckt.
Emma hatte dem Tag freudig entgegengesehen, an dem die Heiligen „mit einer umfangreichen Auswahl der Lieder von Zion gesegnet“ werden würden. Dies schrieb sie im Vorwort des ersten Gesangbuchs. Ihre Hoffnungen erfüllten sich. Frühe Schreiber von Kirchenliedern fügten weiterhin wichtige, ursprüngliche Gesangslieder in Bezug auf bestimmte Lehren, wie das Vorirdische Dasein (Eliza R. Snow, „O mein Vater“, Gesangbuch, Nr. 190) und die Sammlung der Heiligen in Utah (William G. Mills, „Arise, O Glorious Zion“, Hymns 1985, No. 40), hinzu.
1886 rief Präsident John Taylor ein Komitee zusammen, um ein musikalisches Beiheft zur Ergänzung des Manchester Hymnal zusammenzustellen. Daraus entstand die Latter-day Saints´Psalmody, welche 1889 in Salt Lake City veröffentlicht wurde und wovon es später sechs weitere Ausgaben gab. Die Psalmody enthielt vorwiegend neue Musik, welche die Komponisten der HLT, wie George Careless und Ebenezer Beesley, für die alten Liedertexte im Manchester Hymnal komponierten. Für manche der längeren Liedtexte in der Psalmody druckte man nur die ersten paar Verse.
Während der 1870er und 1880er Jahre begannen die Sonntagsschule und die Primarvereinigung damit, Gesangslieder und Lieder einzeln und in Sammlungen für ihren eigenen Gebrauch zu drucken. Ab 1973 veröffentlichte die Sonntagsschule Gesangslieder in einem Magazin für jugendliche Lehrer. 1880 veröffentlichte die Primarvereinigung unter der Leitung von Eliza R. Snow einen Buchband mit Texten und einen Begleitbuchband mit Melodien.
In früheren Jahrzehnten bestand kein klarer Unterschied zwischen offiziellen und inoffiziellen Gesangbüchern. Einige der Gesangslieder der HLT waren ein persönliches Unternehmen. Ein inoffizielles Gesangbuch, Songs of Zion, welches der deutsche Ellsworth zusammengestellt und in Chicago veröffentlicht hatte, wurde extrem populär. Zwischen 1908 und 1925 erschienen elf Ausgaben.
1909 veröffentlichte die Sonntagsschule das Gesangbuch Deseret Sunday School Songs, welches vielmehr ein Gesangbuch für die Sonntagsschule sein sollte, als ein generelles Kirchengesangbuch. Einige Lieder aus diesem Gesangbuch sind jedoch aufgrund ihrer schwungvollen Rhythmik und einfachen, ermahnenden Texte unter den Heiligen der letzten Tage sehr beliebt geworden. „Meister, es toben die Winde“ (Gesangbuch 1996, Nr. 66) und „Stemmt die Schulter an das Rad“ (Gesangbuch 1996, Nr. 165) sind zwei Beispiele. 1927 sollte ein ehrfürchtiger und traditionellerer Band, Latter-day Saint Hymns die Deseret Sunday School Songs als Gesangbuch für Abendmahlsversammlungen ergänzen.
Hymns: Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, welches 1948 gedruckt wurde, ersetzte sowohl das Gesangbuch aus dem Jahr 1927 und die Deseret Sunday School Songs. Viele Kirchenmitglieder waren jedoch enttäuscht darüber, dass im Gesangbuch von 1948 manche Favoriten von den Deseret Sunday School Songs und anderen Quellen ausgelassen worden waren. Mit Rücksicht auf allgemeine Vorlieben druckte die Kirche 1950 eine neue Ausgabe und brachte gängige Gesanglieder wie „Ein armer Wandrer“ (Gesangbuch 1996, Nr. 18) und „Hab ich Gutes am heutigen Tag getan?“ (Gesangbuch 1996, Nr. 150) wieder zurück.
Das Gesangbuch von 1950 hatte bis 1985 offiziellen Stellenwert. Dann wurde es von Hymns of The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints ersetzt. 150 Jahre nachdem Emma Smith das erste Gesangbuch herausgebracht hatte, enthält dieses fast ein Drittel der Lieder, die sie ursprünglich ausgewählt hatte. Demnach zahlt es ihrer Beurteilung und dem klar definierten und langanhaltenden Charakter der Gesangstradition der HLT beachtlichen Tribut. Das neue Gesangbuch ist kaum revolutionär, aber sehr bedeutungsvoll. Seine Veröffentlichung bot eine Gelegenheit, veraltete oder kaum genutzte Lieder auszulassen, um dafür neues, hochklassiges Material aufzunehmen. Insgesamt entfernte man 1985 siebzig Lieder aus dem Gesangbuch von 1950 und fügte 92 neue oder neu geliehene Lieder hinzu, wovon 44 ganz oder teilweise von Heiligen der Letzten Tage beigesteuert wurden. Gesangslieder von gegenwärtig mitwirkenden HLT spiegeln weiterhin das Denken und Bedenken der Kirche wider: Fasten (Nos. 138, 139), Heim und Familie (Nos. 298, 300), Missionsarbeit (Nos. 253, 263) und so weiter. Von allen 358 Beitragenden sind 168 Heilige der Letzten Tage.
Das heute gängige Gesangbuch zeigt, dass die Heiligen wie auch in der Vergangenheit, bekanntes Material von anderen christlichen Religionen annehmen. Dazu gehören beispielsweise „Ein feste Burg ist unser Gott“ (Nr. 40) von Martin Luther und „Frohlockt, der Herr regiert!“ (Nr. 37) von Charles Wesley. Viele der Lieder verbinden einen Text der HLT mit einer geborgten Melodie, oder eine heimische Melodie mit einem geborgten Text. Die Melodien wiederum entstammen vielen Quellen: der Oper (Nos. 160, 196), berühmten Liedern aus einer früheren Zeit (Nos. 34, 237), Volksliedern (Nos. 15, 284) und anderen. Im Großen und Ganzen spiegelt die Auswahl besonders der neuen Gesangslieder eine starke, konfessionelle Vorliebe für traditionelle Stile sowohl in Musik als auch im Text wider. Da die meisten Gemeinden der Kirche gebräuchlich noch immer vierstimmig singen, sind nahezu alle Gesangslieder mit den Stimmlagen Sopran, Alt, Tenor und Bass versehen. Obgleich einige ältere Gospellieder große Favoriten bleiben, ist das balladenartige, heilige Lied, welches heute beim Gesang von Versammlungen mancher anderer Konfessionen bedeutend ist, nicht Teil der Kirchenlieder der HLT.
Ein von den Generalautoritäten der Kirche berufenes und unter ihrer Führung arbeitendes Komitee empfahl die Gesangslieder für das Gesangbuch von 1985. Das Ziel war so viel überragenden, künstlerischen Wert mit einzubringen wie möglich, während man auch die Vorlieben und Bedürfnisse der allgemeinen Mitgliedschaft der Kirche berücksichtigte. Ein vielgeliebtes Gesangslied wurde kaum aussortiert, auch wenn es dem hohen literarischen oder musikalischen Standard nicht gerecht wurde. Während diese Gesangslieder ausgesucht und bearbeitet wurden, boten gewisse Streitpunkte, die in anderen Konfessionen zu großen Diskussionen geführt hatten, viel weniger Schwierigkeiten. Beispielsweise behielt man den männlichen Bezug auf Gott Vater und Jesus Christus bei, da dies mit den Lehren der HLT im Einklang steht. Hinzu kommt, dass militärische Metapher den Heiligen der Letzten Tage kaum etwas auszumachen scheinen. Jedoch zensierte man die Sprache einiger Texte aus Zeiten, zu denen tatsächlich körperliche Konflikte stattfanden. Vor allem zensierte man „Up, Awake, Ye Defenders of Zion“ (No. 284) (im Deutschen nicht vorhanden!?), damit es weniger kriegslustig klingt. Gewisse andere Texte, die sich ursprünglich auf Nordamerika konzentrierten, änderte man, so dass sie die weltweite Mission der gesamten Kirche widerspiegeln (Nos. 91, 290).
Das heutige Gesangbuch ist in zehn Themenbereiche eingeteilt: Lieder über die Wiederherstellung, Lobpreis und Danksagung, Beten und Flehen, Abendmahl, Ostern, Weihnachten, Besondere Themen, Kinderlieder, Frauenstimmen, Männerstimmen. Im Englisch-sprachigen Gesangbuch sind die Nationalhymnen der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland enthalten. Die Nationalhymnen von Kanada, Australien und Neuseeland sind separat erhältlich.
Ein achtseitiger Anhang mit dem Titel „Hinweise zum Gebrauch des Gesangbuchs“ bietet Anweisungen für Gesangsleiter und Organisten. Darauf folgen drei Verzeichnisse: Schriftstellenverzeichnis (verbindet Schriftpassagen mit Liedtexten), Stichwortverzeichnis, Liedanfänge und Titel. Schriftverweise sind ebenfalls mit jedem Gesangslied angegeben.
Später wählte das Musikkomitee der Kirche 100 Gesangslieder aus dem englischen Gesangbuch von 1985 als Standardlieder aus, die in andere Sprachen übersetzt werden sollten. Dazu gab es eine Liste mit 50 weiteren Liedern, die auf Wunsch übersetzt werden konnten. Die übrigen Gesangslieder in nicht Englisch-sprachigen Gesangbüchern entsprechen der Auswahl und dem Beitrag der Mitglieder in den jeweiligen Sprachgebieten. Auf diesem Weg trachtet die Kirche danach einen Ausgleich zwischen kirchenweiter Tradition und lokalen Präferenzen in ihren internationalen Gesangbüchern zu bewahren.
Das Liederbuch für Kinder, Children´s Songbook, wurde 1989 veröffentlicht. Darauf folgten The Children Sing (1951) und Sing with Me (1969) als offizielle Musikressourcen für die Primarvereinigung. Das Liederbuch für Kinder (Children´s Songbook) enthält einfache Botschaften, ansprechende Melodien, vereinfachte Begleitungen und viele farbige Illustrationen, die speziell Kinder sowie ihre Eltern und Lehrer ansprechen sollen. [Siehe auch den Anhang für eine kurze Auswahl wichtiger Musik der Heiligen der Letzten Tage.]
BIBLIOGRAPHIE
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KAREN LYNN DAVIDSON