Das Volk der Jarediten wird im Buch Ether beschrieben (Siehe Buch Mormon: Buch Ether). Ihr Name leitet sich von ihrem ersten Führer, Jared, ab. Die Jarediten gehen auf die Zeit des „großen Turmes“ zurück, der im Alten Testament erwähnt wird (Gen. 11:1-9) und der in oder nahe Mesopotamien errichtet worden war. Von Gott geführt verließen die Jarediten ihre Heimat, um ein neues Land irgendwo auf dem amerikanischen Kontinent zu finden, und dort errichteten sie ein Königreich. Sie wurden zu einem zahlreichen Volk mit Königen und Propheten und fanden offensichtlich, wie die Nephiten vor ihnen, schließlich irgendwann zwischen 600 und 300 vor Chr. durch einen gegenseitigen Vernichtungskrieg ihren Untergang. Ihr letzter Prophet, Ether, schrieb ihre Geschichte nieder. Um das Jahr A.D. 400 kürzte der letzte nephitische Überlebende, Moroni II, den Bericht Ethers ab und fügte seine Zusammenfassung dem Bericht der Nephiten hinzu, der von seinem Vater Mormon geschrieben worden war. Obwohl der Bericht kurz ist, deutet er ein episches Genre an, das im Nahen Osten des Altertums verwurzelt ist.
Der Ursprung der Jarediten in der Alten Welt geht wahrscheinlich auf das dritte Jahrtausend vor Christus zurück, was aufgrund des Mangels an historischen Informationen den Gebrauch komparativer Literatur oder Archäologie verhindert. Parallelen zu dem Nahen Osten des Altertums können nur im Allgemeinen beschrieben werden, und keine Artefakte oder als jareditisch identifizierbare Schriftwerke sind jemals außerhalb des Buches Mormon gefunden worden. Während Parallelen undeutlich sein mögen, beziehen sich bestimmte jareditische Ausdrücke und Namen auf Praktiken, Objekte oder Orte im Nahen Osten des Altertums. Mehrere Typen und ein paar Einzelheiten können analysiert werden, um die Jarediten und ihre Zivilisation besser zu verstehen.
Das Hauptthema der Geschichte der Jarediten ist im Genre des Nahen Ostens des Altertums bekannt. Gott beruft einen Mann dazu, sein Volk in ein neues und ein Verheißenes Land zu führen. Sobald sich das Volk im Land niedergelassen hat, wechselt es zwischen guten und bösen Phasen und verlässt sich auf die Führung seines Königs. Wenn der König gut ist, neigt das Volk dazu, gut zu sein und Gott zu folgen. Wenn der König böse ist, ist auch das Volk böse. Während Parallelen zur Literatur des Nahen Ostens im Altertum, besonders zum Alten Testament, offensichtlich sind, ist die Erzählung der Jarediten einzigartig, weil ihr erster Führer, Jared, nicht derjenige war, der die Berufung von Gott empfing, sondern sein Bruder (Siehe Bruder Jareds). Die Rollen der zwei Männer sind so unterschiedlich wie die Rollen eines Königs und eines Propheten im Alten Testament. Seit den frühsten Zeiten nach ihrer Ankunft in Amerika hatten die Jarediten eine Monarchie, die anscheinend der Gesellschaft Mesopotamiens im Bronzezeitalter nachgebildet war.
Die Geschichte der Jarediten liest sich wie ein Epos. Geschichten von Helden, Königen und Prinzen, die große Taten vollbringen, dominieren das Buch Ether. Die Helden sind große Krieger, die entscheidende Schlachten gewinnen. Berichte über Kreisläufe von Leben und Tod, Gut und Böse, Wohlstand und Notstand sind typisch für das, was stattfand und worüber in den Epen im Buch Ether und den Epen des Nahen Ostens im Altertum geschrieben wurde (CWHN 5:283-443).
Das Buch Ether beginnt mit einer Genealogie, die mindestens dreißig Generationen umfasst, vom letzten Propheten und Historiker Ether zurück bis zu Jared. Die Liste erinnert an Genealogien im Alten Testament oder an Königslisten, die im Altertum verbreitet waren. Mit Namen sind 30 aufgelistet: Name Anzahl
Jared 1
Orihach 2
Kib 3
Schul 4
Omer 5
Emer 6
Koriantum 7
Kom 8
Het 9
Schez 10
Riplakisch 11
Morianton 12
Kim 13
Levi 14
Korom 15
Kisch 16
Lib 17
Hearthom 18
Het 19
Aaron 20
Amgid 21
Koriantum 22
Kom 23
Schiblon(m) 24
Set 25
Ahach 26
Ethem 27
Moron 28
Koriantor 29
Ether 30
Außer der langen Berichte über die erste und letzte dieser aufgeführten Personen finden sich alle Angaben über das Volk in dieser Linie in Ether Kapitel 7-11. Diese Dynastie überdauerte viele Jahrhunderte und ging immer direkt vom Vater auf den Sohn über, außer vielleicht im Falle Moriantons, der „ein Abkömmling Riplakischs“ war und ihm innerhalb von „vielen Jahren“ folgte (Ether 10:9).
Die Jarediten überquerten das Meer auf dem Weg zur Neuen Welt in acht Schiffen in 344 Tagen, getrieben von Meeresströmungen und Winden. Ihre Route ist nicht bekannt. Vielleicht ist es Zufall, das der Nordpazifik-Strom etwa dieselbe Zeit braucht, um von Japan bis Mexiko zu kommen (Sorenson, S. 111). Die Frage in Bezug auf Langstrecken-Seefahrt im Altertum ist viel debattiert worden, aber es existieren viele Hinweise auf präkolumbianische Seereisen (Sorenson und Raish). Die Bering-Landbrücke „wird nicht mehr als die einizge wissenschaftliche akzeptable Theorie anerkannt, die die Art und Weise und den Zeitpunkt des Betretens der Neuen Welt durch Menschen erklärt" (Dixon, S. 27).
Das Design der jareditischen Schiffe ist unklar. Sie wurden nach von Gott gegebenen Anweisungen gebaut. Ether beschrieb sie als „leicht wie ein Vogel auf dem Wasser“ (Ether 2:16). Sie waren „überaus dicht wie eine Schüssel; und ihre Enden liefen in eine Spitze aus.“ Um Licht und Luft nach innen gelangen zu lassen, hatten sie eine Art „Loch im Oberteil und auch im Boden“ (Ether 2:17, 20). Ether verglich die Schiffe auch mit Noachs Arche (Ether 6:7). So mag es von Relevanz sein, das Utnapischtim, der sumerische Noach im Epos von Gilgamesch, gleichermaßen sein Boot mit einer Decke und Wasserpfropfen gebaut und die gesamte Innenseite mit Asphalt abgedichtet haben soll. Utnapischtims Geschichte berichtet auch über die tobenden Winde, die das Wasser hinauf in die Berge und unter die Menschen trieb, was eine lebhafte Parallele zu der Erfahrung der Jarediten darstellt, als sie von einem heftigen Wind getrieben wurden (Ether 6:6).
Steine wurden durch das Berühren mit Gottes Finger zum Leuchten gebracht, um diese Schiffe zu erleuchten. Leuchtende Steine sind nicht nur im Buch Ether zu finden. Ein Verweis auf einen leuchtenden Stein in Noachs Arche erscheint im Jerusalem-Talmud und besagt, dass ein Stein in der Arche bei Nacht heller schien als am Tag, so dass Noach die Tageszeiten bestimmen konnte (Pesachim I, 1, besprochen in CWHN 6:337-38, 349). Leuchtende Steine sollen angeblich auch im syrischen Tempel der Göttin Aphek vorhanden gewesen sein (CWHN 5:373) und werden mehrmals im pseudo-epigraphischen Pseudo-Philo erwähnt (z.B. 25:12).
Wir besitzen nur wenige ursprüngliche Details über die Kultur der Jarediten. Einige von ihnen konnten offensichtlich lesen und schreiben. Während es eine Erbmonarchie war, entthronten Söhne manchmal ihre Väter oder waren Rivalen ihrer Brüder. Könige hielten ihre Gegner lange Zeit gefangen, traten geheimen Verbindungen bei und fochten Schlachten. Der Bericht sagt aus, dass einige dieser Könige „gesalbt“ waren (z.B. Ether 6:27, 9:4, 10:10), auf schönen Thronen saßen (Ether 10:6) und Konkubinen hatten (Ether 10:5-6). Ihre Wirtschaft basierte auf Landwirtschaft. Sie waren sesshafte Menschen, die herrschenden Linien lebten für den längsten Zeitraum ihrer langen Geschichte in einem einzigen Land namens Moron, irgendwo nahe und nördlich von der später so-genannten nephitischen „Landenge“. In einigen Zeitaltern errichteten die Jarediten viele Städte und Gebäude (Ether 9:23, 10:5-12). Einer ihrer Könige „sah den Sohn der Rechtschaffenheit“ (Ether 9:22). Sie kämpften einmal gegen eine Plage giftiger Schlangen, die das Land als Fluch überzogen (Ether 10:19). Von Zeit zu Zeit bauten sie verschiedene Erze ab (z.B. Gold, Silber, Eisen, Kupfer) und stellten Metallwaffen und Werkzeuge her (Ether 7:9, 10:23-25, Siehe Buch Mormon Wirtschaft und Technologie). Sie benutzten „Elephanten“ (Ether 9:19). Dies bezieht sich womöglich auf das Mastodon oder Mammut, aber es ist nicht möglich das endgültige Verschwinden dieses Tieres in der Neuen Welt zeitlich festzulegen. Ein Abschnitt im Buch Ether spricht von der Jagd (10:19-21). Das ist ein verbreitetes Muster im Nahen Osten, wo der König auch Jäger ist. In dieser Passage bezeichnete der jareditische König Lib das Land im Süden als Jagdland. Ein frühes mesopotamisches Beispiel eines königlichen Jägers ist Nimrod, der ungefähr zur gleichen Zeit wie Jared lebte. Andere jareditische Parallelen sind von Interesse. Der Tanz von Jareds Tochter für das Leben Omers (Ether 8:10) ist mit ähnlichen Vorfällen altertümlicher Überlieferung verglichen worden (CWHN 5:213).
Die Gotteskundgebung des Bruders Jareds, in der er den Finger des Herrn sieht, findet ihre Parallele in der Geschichte des Mose. Der Bruder Jareds geht auf eine Berg um zu beten (Ether 3:1, weiter Ex. 3:1-3), sieht den Finger des Herrn (Ether 3:6, weiter Ex. 31:18), fürchtet den Herrn (bedeutet auch „respektierte“, Ether 3:6, weiter Ex. 3:6), sieht den gesamten Geistköper des Herrn (Ether 3:13, 16-18, weiter Ex. 33:11), erfährt den Namen des Herrn (Ether 3:14, weiter Ex. 3:14) und empfängt schließlich ein Symbol der Macht und Vollmacht (Ether 3:23, weiter Ex. 4:1-5). Der einzigartige Aspekt der Geschichte von Jareds Bruder ist seine erweiterte Offenbarung über die Natur Gottes, der ihm in einem Geistkörper „gleich Fleisch und Blut“ erschien (Ether 3:6).
Einige jareditische Propheten glichen anscheinend den Propheten im biblischen Israel. Sie verurteilten Götzenanbetung und Übeltun und sagten die Vernichtung der Gesellschaft und die Zerstörung des Volkes voraus, sofern sie nicht umkehrten. Obwohl einige Propheten von der Regierung beschützt wurden, wurden die meisten vom Volk abgelehnt und waren, wie Ether, gezwungen sich aus Angst um ihr Leben zu verstecken. Ethers Prophezeiungen sahen über die Verzweiflung der endgültigen Vernichtung seines Volkes hinaus auf das zukünftige Schicksal des Landes der Jarediten. Er sah es als den Ort des Neuen Jerusalem voraus, „das aus dem Himmel herabkommen und das hohe Heiligtum des Herrn werde“ (Ether 13:3).
Die letzte von Ether beschriebene Schlacht fand am Hügel Rama statt, demselben Ort, wo Mormon später die heiligen Berichte der Nephiten vergrub (Ether 15:11). An dem Krieg waren zwei riesige Armeen beteiligt, und die Feindseligkeiten dauerten mehrere Tage an, bis alle Soldaten und einer der Könige tot waren. Ein erschöpfter Koriantumr ließ seinen Sieg über Schiz darin gipfeln, dass er ihn enthauptete. Beispiele aus dem Nahen Osten für die Enthauptung von Feinden finden sich in früher Kunst und Literatur, wie auf der Narmer-Palette, und die Enthauptung gefangen genommener Könige wird im altertümlichen Mesoamerika repräsentiert (Warren, S. 230-33). Koriantumr wurde später vom Volk Zarahemla (Mulekiten) entdeckt, bei denen er „neun Monde“ lebte (Omni 1:21). Ethers Tafeln (historische Berichte), zusammen mit den zerfallenen Überresten vom letzten jareditischen Kampf, wurden später von einer Gruppe verschollener Nephiten, die nach der Stadt Zarahemla suchten, gefunden (Mosia 8:8-11).
Ether schreibt über die Vernichtung seines Volkes, aber sie stellte nicht notwendigerweise die Ausrottung der gesamten Bevölkerung dar. Man darf vermuten, dass ein Großteil der Normalbevölkerung nicht den zwei Armeen angehörte und daher diese Kriege überlebte. Das Volk der Jarediten wurde niedergeschlagen und zerstreut, aber wahrscheinlich nicht ausgerottet, da ausdrückliche Charakteristiken der Jarediten-Kultur (besonders Eigennamen) später in der Nephiten-Kultur zu erkennen sind (CWHN 5:237-41; Sorenson, S. 119).
Die Ähnlichkeit zwischen der Geschichte der Jarediten und der der Nephiten ist beeindruckend. Aber die Ähnlichkeit ist vielleicht hauptsächlich eine literarische Gepflogenheit, die Moroni benutzte, um die zwei Völker zu vergleichen. Außer ähnlichen Epen von Menschen, die über das Meer geführt wurden, um Reiche aufzubauen, die eines Tages niederfielen, aufzuweisen, waren die zugrundeliegenden Kulturen wahrscheinlich ziemlich unterschiedlich. Zum Beispiel gehen die jareditischen Gesetze und Regierungsformen dem Gesetz des Mose voraus, und somit war ihr Rechtssystem älter als das der Israeliten und Nephiten.
Die Botschaft, die Moroni der Geschichte der Jarediten und der Nephiten entnimmt, ist jedoch gleich: Gott offenbart sich beiden Völkern. Er gab beiden ein Land der Verheißung, wo ihr Wohlstand von ihrer Rechtschaffenheit abhing. Beide fanden ihren Niedergang aufgrund von Bosheit und geheimen Verbindungen, und das Ende beider ist im Buch Mormon enthalten, um diese unter Schwierigkeiten gelernte Lektion zu vermitteln. Dazu sagte Moroni: „Denn der Herr wirkt nicht in geheimen Verbindungen, auch will er nicht, dass der Mensch Blut vergieße, sondern vom Anfang des Menschen an hat er das in allem verboten (Ether 8:19).
BIBLIOGRAPHIE
Hugh Nibley bespricht die Jarediten in The World of the Jaredites and There Were Jaredites, in Band 5 von CWHN, siehe auch CWHN 6:329-58, überarbeitet von D. Honey, „Ecological Nomadism Versus Epic Heroism in Ether“, Review of Books on the Book of Mormon 2 (1990):143-63.
Für das epische Genre siehe H. Munro Chadwick, The Growth of Literature, 3 vols. (Cambridge, England, 1932-1940), besonders Band 1, Samuel Noah Kramer, „New Light on the Early History of the Ancient Near East“, American Journal of Archaeology 52 (1948):156-64, David M. Knipe, „Epics“, in Encyclopedia of Religion, Band 5, S. 127-32 und T. G. Panches, „Heroes and Hero-Gods (Babylonian)“, in James Hastings, Hg., Encyclopedia of Religion and Ethics, Band 6, S. 642-46 (New York, 1951).
Bezüglich des Königtums im Nahen Osten des Altertums siehe Henri Frankfort, Kingship and the Gods (Chicago, 1948). Eine englische Übersetzung der Geschichte von Noachs leuchtenden Steinen kann man finden in Louis Ginzberg, Hg., The Legends of the Jews, Band 1, S. 162-63 (Philadelphia, 1937).
Über mögliche altertümliche Verbindungen zwischen der Alten und der Neuen Welt lesen Sie John L. Sorenson und Martin H. Raish, Pre-Columbian Contact with the Americas Across the Oceans: An Annotated Bibliography (Provo, Utah, 1990). Siehe auch Cyrus H. Gordon, Before Columbus: Links Between the Old World and Ancient America (New York, 1971), Carroll L. Riley, et al., Hgg., Man Across the Sea: Problems of Pre-Columbian Contacts (Austin, 1971), besonders die Kapitel von Sorenson. Siehe auch E. James Dixon, „The Origins of the First Americans“, Archaeology 38, Nr. 2 (1985):22-27, Thor Heyerdahl, Early Man and the Ocean (Garden City, N.Y., 1979) und Bruce W. Warren, „Secret Combinations, Warfare, and Captive Sacrifice in Mesoamerica and the Book of Mormon“, in S. Ricks und W. Hamblin, Hgg., Warfare in the Book of Mormon, S. 225-36 (Salt Lake City, 1990).
John L. Sorenson, An Ancient American Setting for the Book of Mormon (Salt Lake City, 1985), führt den Leser durch die Archäologie Mesoamerikas und schlägt mögliche Jarediten-Orte in zur etwa gleichen Zeit bewohnten Gebieten, während der frühen und mittleren vorklassischen Zeitalter in Mexiko, zu denen die Olmec-Zivilization zählt, vor.
MORGAN W. TANNER