Der siebte Glaubensartikel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage lautet: „Wir glauben an die Gabe der Zungenrede, Prophezeiung, Offenbarung, der Visionen, der Heilung, Auslegung der Zungenrede usw“. Alle solche himmlischen Begabungen kommen als Gaben des Geistes, d.h. durch die Gnade Gottes und die Wirkungsweise und Macht des Heiligen Geistes. Vorraussetzungen für den Empfang solcher Gaben sind die Verordnungen der Taufe und die Spendung der Gabe des Heiligen Geistes von einem bevollmächtigten Priestertumsträger. Außerdem muss man ernsthaft nach dem Erhalt der Gabe oder Gaben trachten und sich aufrichtig bemühen, die Gebote des Herrn zu halten.

Sicherlich kann der Geist eine jede Gabe gewähren, die ein spezielles Bedürfnis erfüllen würde. Daher kann man unmöglich eine vollständige Liste von Gaben empfangen, jedoch sind der Kirche viele verheissen worden. Durch das Neue Testament kennen Leser die folgenden sechs Gaben. Zwei haben mit der Zungenrede und ihrer Auslegung zu tun, oder mit der Macht eine nicht zuvor gelernte Sprache zu sprechen und die Fähigkeit eine solche Sprache zu deuten. Eine ist die Gabe der Prophezeiung, die sich manchmal im vorraussagenden Sinne äußert, jedoch noch häufiger in dem Sinne, dass „das Zeugnis Jesu der Geist prophetischer Rede [ist]“ (Offenbarung 19:10). Eine weitere Gabe sind Offenbarung oder die vom Himmel erhaltene Kenntnis, Weisheit oder Anleitung. Eine andere Gabe sind Visionen, oder sichtbare, geistige Erscheinungen wie sie die Propheten zu allen Zeiten empfingen und wie Joël es für viele andere in den letzten Tagen vorraussagte (Joël 2:28-29). Außerdem gibt es die Gabe des Heilens, oder die Macht den Kranken „die Hände auf[zu]legen“, so dass sie gesunden (Markus 16:18).

Gemäß den Schriften gehören die Gaben des Geistes mit zu den Zeichen, welche „die, die zum Glauben gekommen sind“ (Markus 16:17) bewirken werden. Einige der frühen Bekehrten der Kirche (1831-32) sehnten sich nach solchen versprochenen Gaben, jedoch mangelte es ihnen an Verständnis. Sie vertieften sich in geistliche Ausscheifungen, die in den Versammlungen von Anhängern benachbarter Erweckungsbewegungen stattfanden. Diese wurden damals recht häufig im Freien auf Wiesen und unbebauten Grundstücken angehalten.. In den ersten Tagen der Kirche in Kirtland, Ohio, beobachtete der Prophet Joseph Smith, dass „viele falsche Geister eingeführt wurden...man schloss sich vielen lächerlichen Dingen an...[welche] den Rückzug des Geistes Gottes verursachen [würde]“ (LPJS, S. 213-14). In Gemeinden ringsum Kirland erwähnte Parley P. Pratt insbesondere „anstößige“ geistige Handlungen, „ungehörige Gesten“ , und Menschen, die „in Verzückung gerieten und unnatürliche körperliche Verrenkungen praktizierten“ (Pratt, S. 61). Joseph Smith verurteilte solche Praktiken als unnatürlich und zwecklos, da sie keine Intelligenz vermitteln (LPJS, S. 204, 214). Die Autoritäten stellten sich rasch gegen solche flaschen Praktiken, welche die Kirche von den geistigen Verschwendungen des Christentums an der Grenze dissoziierten. Dabei forderten sie diejenigen Mitglieder zurück, die sie konnten und exkommunizierten diejenigen, die in ihren Fehlern verblieben.

Während der Entfaltung der Lehre der jungen Kirche empfing Joseph Smith Offenbarungen über die Gaben des Geistes, insbesondere die Offenbarung am 8. März 1831 (heute LuB 46). Die Offenbarung warnt zunächst vor der Täuschung durch falsche Geister und zählt dann die Gaben auf, ähnlich wie es Paulus für die Kirche des ersten Jahrhunderts und Moroni2 für die Kirche der Nephiten tat (Siehe 1 Korinther 12; Moroni 10). Mit zu den sechs oben erwähnten Gaben gehören Wissen, Weisheit, der Glaube geheilt zu werden, das Wirken von Wundern, Wissen in Bezug darauf, wie und welche Gaben angewandt werden und die Unterscheidung von Geistern, ob sie von Gott sind oder nicht. Außerdem wurden auch die Gabe des Zeugnisses des Geistes von Jesus Christus und seinem Sühnopfer für die Sünden der Welt und für manche die Gabe die Worte desjenigen zu glauben, der dieses Zeugnis ablegt, aufgelistet (LuB 46:14).

Die Offenbarung verheisst jedem glaubenstreuen Mitglied der Kirche der Heiligen der Letzten Tage mindestens eine Gabe. Bischöfe und andere präsidierende Beamte können je nach Beschaffenheit ihrer Berufungen über die Kirche zu wachen mehrere Gaben empfangen. Dazu gehört die besondere Gabe der Unterscheidung, um falsche von wahren Geistern zu unterscheiden. In Bezug darauf warnte Joseph Smith vor „dem allgemeinen Fehler anzunehmen, dass alle übernatürlichen Erscheinungen von Gott kommen“ und davor, dass sowohl böse als auch himmlische Geister beispielsweise in Zungen reden und die Zungenrede auslegen können. Um uns zu täuschen, könnten sie sogar den Erretter und seine bevollmächtigten Diener anerkennen (LPJS, S. 206-13, 229; auch Lukas 4:33-35; Apostelgeschichte 16:16-18).

Viele frühe Tagebücher von HLT berichten über Erfahrungen mit Gaben des Geistes: 1830 sah Newel Knight eine Vision des Himmels, scheinbar ähnlich wie das, was der Märtyrer Stephanus beschrieb („Newel Knight´s Journal“, S. 52-53). 1831 wurde Chloe Smith, die in Kirtland sehr schwach geworden und dem Tod nahe gekommen war, durch den Priestertumssegen von Joseph Smith in einem einzigen Augenblick vollständig geheilt (Pratt, S. 66-67). Bei einer Versammlung in Ontario, Kanada, im Jahre 1833 sprach Lydia Bailey (später Knight) in Zungen (Journal History, 19. Okt. 1833). 1836 verhieß Heber C. Kimball Parley und Thankful Pratt nach zehn Jahren kinderloser Ehe einen Sohn. Ein Jahr später wurde ihr Sohn geboren (Pratt, S. 130-31, 165). Schließlich wurden sowohl Führer der Kirche und die allgemeine Mitgliedschaft mit solchen Gaben gesegnet.

Nach Gaben des Geistes sollte man wegen ihrer segensreichen Wirkung und nicht wegen ihrer Bemerkenswertheit trachten (Siehe 1 Korinther 14). Wie Joseph Smith beobachtete, sind tatsächlich nur eine oder zwei der Gaben sichtbar, wenn man sie anwendet. Allgemein versteht man dementsprechend die Gabe der Zungenrede, aber Präsident Joseph F. Smith hob besonders ihren praktischen Aspekt hervor: „Ich benötigte einmal die Gabe der Zungenrede und der Herr gab sie mir. Ich war in ein fremdes Land geschickt worden, um das Evangelium Menschen zu predigen, deren Sprache ich nicht verstand. Folglich trachtete ich ernsthaft nach der Gabe der Zungenrede. Durch diese Gabe und durch Studium konnte ich hundert Tage nach meiner Landung auf diesen Inseln zu den Menschen in ihrer Sprache sprechen wie ich jetzt zu ihnen in meiner Muttersprache sprechen kann. Diese Gabe war dem Evangelium würdig. Sie diente einem Zweck“ (Smith, S. 201). Auf diese Weise genießen heute Missionare der HLT gelegentlich diese Gabe.

Auf der ganzen Welt berichten Heilige der Letzten Tage von einer Vielfalt von Gaben des Geistes im alltäglichen Verlauf ihres Lebens. Glaubenstreue Mitglieder empfangen durch den Geist allgemein die Gabe des Zeugnisses von Jesus Christus und seinem wiederhergestellten Evangelium. Diese individuellen Zeugnisse machen die Stärke der Kirche aus, viele empfangen die Gabe der Kenntnis von geistigen Dingen. Täglich legen Priestertumsträger kranken Familienmitgliedern oder Freunden auf ihre Bitte hin die Hände auf das Haupt (Siehe Jakobus 5:14-15) und übertragen die heilenden Kräfte des Himmels, gelegentlich mit sofortiger Wirkung. Männer, Frauen und Jugendliche empfangen Offenbarungen, wenn sie es benötigen und zu ihrem eigenen Nutzen, oder zum Nutzen ihrer Familien oder derjenigen, denen sie in ihren Kirchenberufungen dienen. Gewissermaßen laufen alle diese und andere Aktivitäten, die eine ähnliche geistige Bedeutung haben, privat im Zuhause oder im Herzen ab, ohne dass die Öffentlichkeit davon etwas merkt.

Die Kirche braucht alle geistigen Gaben (1 Korinther 12), aber das einige erstrebenswerter sind als andere zeigt sich in den Schriften von Paulus: Man muss nach den besten Gaben trachten. Die Gabe der Nächstenliebe zu empfangen und zu entwickeln hat für alle, die „einen anderen Weg, einen, der alles übersteigt“ (1 Korinther 12:31) ersehnen, eine besondere Bedeutung. Diese „reine Christusliebe“ ist ein grundlegendes Zeichen wahrer Jüngerschaft und eine Vorraussetzung für ewiges Leben, wofür man inständig beten soll und wofür man sich mit aller Herzenskraft bemühen muss (Moroni 7:47-48; 10:21; Ether 12:34). Paulus machtvolle Erklärung der Nächstenliebe (1 Korinther 13) erläutert dieses Merkmal noch genauer und bestätigt Liebe als das größte Gebot und das, was die Christen dringend benötigen. Jünger müssen diese Gabe besitzen und auch andere ersehnen (1 Korinther 14:1), während sie durch die Macht Gottes und durch die Gaben des Geistes Werke vollbringen (Moroni 10:25).

BIBLIOGRAPHIE

"Newel Knight's Journal." In Scraps of Biography. Salt Lake City, 1883.
Pratt, Parley P. Autobiography of Parley Parker Pratt. Salt Lake City, 1967.
Smith, Joseph F. Gospel Doctrine. Salt Lake City, 1977.

H. GEORGE BICKERSTAFF

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