Als King-Follett-Vortrag wird die Ansprache bezeichnet, die der Prophet Joseph SMITH am 7. April 1844 anläßlich einer Generalkonferenz der Kirche in Nauvoo, Illinois gehalten hat. Es handelt sich dabei um eine Gedenkrede für ein Mitglied der Kirche namens King Follett <Follett, King>, der am 9. März 1844 durch einen Unfall zu Tode gekommen war. Der King-Follett-Vortrag ist aufgrund der in ihm enthaltenen wichtigen theologischen Aussagen vermutlich eine der besten Ansprachen des Propheten. Sie war seine letzte Ansprache anläßlich einer Generalkonferenz und wurde drei Monate vor seinem Märtyrertod gehalten. Zu den wichtigsten darin angesprochenen Themenkreisen gehört das Wesen Gottes, die dem Menschen innewohnende Möglichkeit, Gott ähnlich zu werden, die Schöpfung, sowie das Band zwischen dem Menschen und seinen verstorbenen Vorfahren.
Joseph Smith hielt den King-Follett-Vortrag vor mehreren tausend Anwesenden in einem kleinen Wald westlich des Nauvoo-Tempels, und zwar in einem natürlich entstandenen Amphitheater, wo man Sitzbänke sowie eine Predigtkanzel aufgestellt hatte. Joseph Smith sprach zweieinviertel Stunden lang; vier erfahrene Schreiber (nämlich Willard Richards, Wilford WOODRUFF, William Clayton und Thomas Bullock) fertigten eine zusammenfassende Mitschrift an.
Das Frühjahr des Jahres 1844 war im Leben des Propheten eine Zeit voller Belastungen und Unruhe. Einerseits gedieh die Kirche sowohl in Nauvoo als auch im Ausland, der Bau des Nauvoo-Tempels machte raschen Fortschritt und die Menschen dienten in der Kirche voller Eifer und mit großem Erfolg. Andererseits hatten sich abgefallene Mitglieder der Kirche, sowie verschiedene politische Gruppierungen und andere Personen gegen Joseph Smith verschworen.
Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch lehrte Joseph Smith: “Wenn der Mensch das Wesen Gottes nicht begreift, dann begreift er auch sich selbst nicht” (LPJS, S. 351). “Das erste Prinzip des Evangeliums besteht darin, daß wir mit Gewißheit erkennen, wer Gott ist, und wissen, daß wir mit ihm sprechen können, wie ein Mensch mit dem anderen spricht” (LPJS, S. 354.) In Anklang an die Erste Vision <Vision, Erste>lehrte der Prophet das, was er als das “große Geheimnis” bezeichnete: “Wenn der Schleier heute zerisse und ... Gott ... sich dem Auge sichtbar machen würde, ... wenn ihr ihn heute sehen könntet, so würdet ihr ihn in menschlicher Gestalt erblicken: in Person und Erscheinung und auch in der Gestalt einem Menschen ähnlich, so wie ihr” (LPJS, S. 353).
Was die Schöpfung anbelangt, so lehrte Joseph Smith, daß sie nicht durch ein einfaches “Es geschehe” oder aus dem Nichts vollbracht worden sei. Die Rolle Gottes bestehe darin, “Gesetze wirksam werden zu lassen” (LPJS, S. 360), durch die nicht-organisierte Urelemente aufeinander abgestimmt und geringeren Intelligenzen das Vorrecht zuteil werde, Gott gleich Fortschritt zu machen.
Über das Potential des Menschen sagte der Prophet, Gott sei ewig und selbst-seiend und dasselbe treffe auch auf den Menschen zu. Der Vater sei im Laufe vieler Ewigkeiten des Fortschritts zu dem geworden, was er nun ist, und Christus habe nur getan, was er auch den Vater tun gesehen habe (vgl. Johannes 5:19), und er sei denselben Pfad gegangen und demselben Plan gefolgt. Da die gesamte Menschheit Gott zum Vater habe, bestehe das Potential des Menschen darin, ein “Erbe Gottes und Miterbe Jesu Christi” zu werden (LPJS, S. 355; vgl. Römer 8:17). So gesehen seien alle Kinder Gottes selbst Götter und Göttinnen im Keimzustand. Gehorsam gegenüber der Fülle des Evangeliums sei der Pfad der Vervollkommnung, durch die der Mensch “von einem niederen Grad zum nächsten, von einer geringeren Fähigkeit zur größeren schreitet - von Gnade zu Gnade, von Erhöhung zu Erhöhung ... bis man den Stand eines Gottes erreicht” (LPJS, S. 354, 355).
Hinsichtlich der Verbindung zwischen den Menschen und deren verstorbenen Vorfahren fragte der Prophet: “Läßt sich da nichts tun? - Keine Vorbereitung,- keine Errettung für unsere Väter und Freunde, die gestorben sind, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, die Anordnungen des Menschensohnes zu befolgen?” (LPJS, S. 361) Er beantwortete die Frage folgendermaßen: “Gott hat Vorkehrungen getroffen, daß jeder Geist in der ewigen Welt ... errettet werden kann, wenn er nicht die unverzeihliche Sünde begangen hat” (LPJS, S. 362). Dann erklärte er, daß sich dies sowohl auf dieses als auch auf das kommende Leben beziehe. Den Trauernden bezeugte der Prophet: “Wir haben von allen Menschen auf der Erde den meisten Grund zu großer Hoffnung und Trost in bezug auf unseren Verstorbenen; denn wir haben ihren ehrenwerten Wandel miterlebt und sie in den armen Jesu entschlafen sehen, und wer im Glauben gestorben ist, befindet sich jetzt im celestialen Reich Gottes (LPJS, S. 365).
Sodann sprach der Prophet einige Themen an, die für ihn damals von Belang gewesen waren: Morddrohungen, die er erhalten hatte; Letzten Tage, die Einsamkeit einer Führungsposition (“Ihr habt mein Herz nie gekannt”), sowie im Rückblick seine Erstauntheit über all das Geschehene. (“Ich mache niemand einen Vorwurf, wenn er meine Geschichte nicht glaubt. Hätte ich nicht selbst erlebt, was ich erlebt habe, ich könnte es selber nicht glauben.”[LPJS, S. 367, 368]) Dann schloß er seine Ansprache mit der Bitte um Frieden und erbat den Segen Gottes für die Anwesenden.
[Anmerkung: Die Zitate LPJS finden Sie in Lehren des Propheten Joseph Smith. Frankfurt am Main, 1983.]
BIBLIOGRAPHIE
Cannon, Donald Q. “The King Follett Discourse: Joseph Smith’s Greatest Sermon in Historical Perspective.” BYU Studies 18, Winter 1978, S. 179–192.
Cannon, Donald Q. und Larry E. Dahl. Hrsg., The Prophet Joseph Smith’s King Follett Discourse: A Six-Column Comparison of Original Notes and Amalgamation. Provo, Utah, 1983.
Hale, Van. “The Doctrinal Impact of the King Follett Discourse.” BYU Studies 18, Winter 1978, S. 209–225.
Larson, Stanley. “The King Follett Discourse: A Newly Amalgamated Text.” BYU Studies 18, Winter 1978, S. 193–208.
DONALD Q. CANNON