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UTAH EXPEDITION

Der sogenannte “Utah-Krieg” von 1857 bis 1858 war der größte Militäreinsatz der Vereinigten Staaten zwischen dem amerikanischen Bürgerkrieg und dem Mexikanischen Krieg. Dabei standen sich die Mormonenmiliz (die sogenannte NAUVOO-LEGION <Nauvoo-Legion>) und die Armee und Regierung der Vereinigten Staaten in einem unblutigen, jedoch kostspieligen Konflikt feindlich gegenüber, der durch den stümperhaften Versuch der amerikanischen Regierung unter Präsident James Buchanan <Buchanan, James, US-Präsident> entstanden war, Brigham YOUNG <Young, Brigham> als Gouverneur des UTAH-TERRITORIUMS abzulösen. Der Krieg verzögerte zwar die Einsetzung Alfred Cummings <Cumming, Alfred> als Gouverneur, konnte diese jedoch letztlich nicht verhindern und hatte große Auswirkungen auf das Utah-Territorium, die Mitglieder der Kirche im Westen und die gesamte Kirche. Der eigentliche Konflikt war durch Mißverständnisse entstanden, die über längere Zeit dahinschwelten und durch die große Entfernung zwischen Utah und Washington noch verschlimmert worden. Wäre die transkontinentale Telegraphenleitung schon 1857 fertig gewesen und nicht erst 1861, dann wäre es sicherlich nicht zur Utah-Expedition gekommen.

Die Entscheidung, Brigham YOUNG als Gouverneur abzusetzen, war angesichts der amerikaweiten Reaktion auf die MEHREHE <Mehrehe>, die 1852 von der Kirche öffentlich bekanntgegeben worden war, sowie der Behauptung der Republikaner im Wahlkampf von 1856, daß die Demokraten “die beiden Relikte des Barbarentums”, nämlich die Mehrehe und die Sklaverei befürworteten, unvermeidlich gewesen. Die eigentliche Vorgangsweise der amerikanischen Regierung hingegen ist bis heute unverständlich. Präsident Buchanan und dessen Kabinett waren offenbar von Berichten des Richters W.E. Drummond <Drummond, W.E.> und anderer ehemaliger Beamter des Utah-Territoriums dahingehend beeinflußt worden, daß die Heiligen der Letzten Tage prinzipiell jeden Gouverneur ablehnen würden, der kein Mitglied der Kirche sei. Deshalb wurde auf Details gar nicht lange eingegangen, sondern die Postzustellung unterbunden, und 2.500 Soldaten unter dem Befehl von Albert Sidney Johnston <Johnston, Albert Sidney, Befehlshaber der US-Expeditionstruppe> wurden nach Salt Lake City in Marsch gesetzt, um Cumming nach Utah zu begleiten.

Die Erinnerung an noch nicht lange zurückliegende Schwierigkeiten mit Soldaten und vielleicht auch der Eifer der Reformationsbewegung von 1856 (siehe REFORMATION VON 1856–1857) ließ die Kirchenführung das unangemeldete Anrücken der Armee als religiöse Verfolgung interpretieren, und sie entschloß sich, Widerstand zu leisten. Der amtierende Gouverneur Brigham Young verhängte den Ausnahmezustand und mobilisierte die NAUVOO-LEGION, um den Vormarsch der Truppen durch die Taktik der “verbrannten Erde” aufzuhalten. Störaktionen wie die Inbrandsetzung von drei Proviantwagen und das Erbeuten hunderter Stück Vieh zwang Johnstons Truppen und die ihn begleitenden Beamten in Camp Scott und Eckelsville zu überwintern, und zwar in der Nähe des abgebrannten Fort Bridger, ca. 160 Kilometer über gebirgiges Gelände östlich von Salt Lake City.

Während des Winters verstärkten beide Seiten ihre Streitkräfte. Gegen die fast einstimmige Opposition der Republikaner genehmigte der amerikanische Kongreß die Mobilisierung zweier Freiwilligenregimenter, und Präsident Buchanan, Verteidigungsminister John B. Floyd <Floyd, John B., US-Verteidigungsminister> und der Oberbefehlshaber der amerikanischen Armee Winfield Scott <Scott, Winfield, Oberbefehlshaber der amerikanischen Armee> entsandten 3.000 zusätzliche Soldaten zur Verstärkung der Utah-Expeditionstruppe. Währenddessen wurden die Siedlungen in Utah dazu aufgerufen, eintausend Männer für den Feldzug im Frühjahr auszurüsten. Voraussagen der bevorstehenden Feindseligkeiten kamen aus Kirchenversammlungen, Camp Scott und der amerikanischen Presse.

Dem widerspricht jedoch das Vorhandensein überzeugenden Beweismaterials, aus dem klar hervorgeht, daß Brigham Young keineswegs eine militärische Auseinandersetzung im Sinn hatte, denn er und andere Kirchenführer ließen immer wieder verlauten, daß sie die Siedlungen lieber aufgeben und abbrennen würden, bevor sie den Feinden, wie früher in Missouri und Illinois, erlauben würden, diese zu besetzen.

Brigham Young baute auf eine diplomatische Lösung, denn er wandte sich schon früh um Vermittlung an Thomas L. KANE <Kane, Thomas L.>, den einflußreichen Rechtsanwalt aus Pennsylvanien, der bereits seit zehn Jahren der Kirche freundschaftlich gegenüberstand. Kurz nach Weihnachten erlaubte Präsident Buchanan Oberst Thomas Kane als inoffizieller Vermittler über Panama und Kalifornien nach Utah zu reisen. Kane kam gegen Ende Februar in Salt Lake City an und stellte fest, daß die Kirchenführer zwar eine friedliche Lösung anstrebten, jedoch großen Argwohn hegten. Als sich die ersten Kontakte von Kane mit General Johnston als erfolglos erwiesen, schien die Besorgnis der Kirchenführer berechtigt gewesen zu sein.

Die Folge dieser Besorgnis war der “Auszug nach Süden.” Am 23. März 1858 veranlaßte Präsident Young die Heiligen der Letzten Tage, ihre Siedlungen im Norden Utahs zu verlassen und notfalls abzubrennen, sollte die Armee anrücken. Man begann sofort mit der Evakuierung der Siedler. Anfangs nahm man an, der “Auszug nach Süden” sei höchstwahrscheinlich endgültig, aber als Nachricht kam, daß Kane Alfred Cumming überzeugt hatte, ohne die Armee nach Salt Lake City zu kommen, wandelte man die Evakuierung in ein taktisches und provisorisches Manöver um. Dennoch war dieser Auszug weit größer als die vormalige Flucht der Mormonen aus Missouri und Illinois, denn ungefähr 30.000 Menschen zogen mindestens achtzig Kilometer südlich in die Stadt Provo und andere Ortschaften in Mittel- und Süd-Utah, wo sie bei Mitgliedern der Kirche oder in Behelfsunterkünften untergebracht wurden, bis der Utah-Krieg vorüber war.

Als Kane und Cumming Anfang April in Salt Lake City ankamen, übergab Brigham Young <Young, Brigham übergibt Cumming sein Amt als Gouverneur> dem neuen Gouverneur sein Amt und begann schon bald darauf, mit ihm kollegial zusammenzuarbeiten. Der “Auszug nach Süden” wurde jedoch fortgesetzt, wahrscheinlich weil die Regierungsvertreter einerseits auf den Einmarsch von Johnstons Soldaten bestanden, andererseits jedoch nicht garantieren konnten, daß diese friedfertig einrücken würden.

Indessen reagierte Präsident Buchanan auf die zunehmende Kritik und beauftragte Lazarus Powell <Powell, Lazarus> und Ben McCulloch <McCulloch, Ben> eine Amnestieerklärung nach Utah zu bringen. Beide kamen Anfang Juni an und stellten fest, daß die Kirchenführung gewillt war, Gouverneur Cumming sowie eine dauerhafte Garnison gegen Zusicherung von Frieden und Amnestie zu akzeptieren. Am 26. Juni 1858 marschierte Johnstons Armee durch das fast menschenleere Salt Lake City und errichtete 70 Kilometer südwestlich der Stadt das Garnisonslager “Camp Floyd” <Floyd, Camp, US-Garnison>. Bald darauf kehrten die Flüchtlinge zurück, und der Utah-Krieg war beendet.

Als Resultat der Utah-Expedition mußte die Regierung rote Zahlen im Verteidigungsbudget und eine empfindliche politische Schlappe hinnehmen. Da Gouverneur Cumming fair und unparteiisch war, wurde er bei den Heiligen der Letzten Tage bald beliebter als bei den Soldaten. Camp Floyd und die nahegelegene Ortschaft Fairfield waren die ersten größeren von Nichtmormonen bewohnten Ortschaften Utahs. Obgleich die Garnison zu Beginn des amerikanischen Bürgerkrieges geschlossen wurde, bedeutete der dreijährige Aufhalt tausender Soldaten und Schlachtenbummler das Ende vom Traum eines Zion, das von den Ungläubigen der Welt abgeschirmt und möglichst weit entfernt lag.

Für die Heiligen der Letzten Tage in Utah hatten die Anstrengungen und finanziellen Aufwendungen sowohl auf ihren Wohlstand als auch auf ihre Gesinnung negative Auswirkungen. Im Laufe der Verteidigungsmaßnahmen wurden einige der abgelegenen Mormonensiedlungen im heutigen Kalifornien, Nevada, Wyoming und Idaho aufgegeben, die Missionsarbeit in Europa wurde unterbrochen, die Einwanderung eingeschränkt und die Begeisterung und Disziplin, die durch die Reformation von 1856 entstanden war, nahmen merklich ab. Den Heiligen der Letzten Tage unfreundlich, ja sogar feindlich gesinnte Soldaten und Schlachtenbummler beeinflußten die Wirtschaft, die Politik und das tägliche Leben. Der “Auszug nach Süden” gewann zwar die Sympathie der Presse, wirkte sich jedoch andererseits negativ auf das gesellschaftliche und religiöse Leben der Heiligen der Letzten Tage aus. Er trug auch nicht dazu bei, das Verständnis für die Lehren und Einrichtungen der Heiligen der Letzten Tage bei den meisten Amerikanern zu vergrößern.

Trotz der rechthaberischen Einstellung und der Stümperei der Zuständigen innerhalb der amerikanischen Regierung wurde die anfangs scheinbar unvermeidliche militärische Konfrontation schließlich doch noch friedlich beigelegt. Die Spannungen und Mißverständnisse, die der Lösung des Konflikts vorausgegangen waren, blieben jedoch bestehen, und es dauerte noch vierzig Jahre, ehe Utah als Bundesstaat in den amerikanischen Staatenbund aufgenommen wurde (siehe UTAH EIGENSTAATLICHKEIT).

BIBLIOGRAPHIE

Furniss, Norman F. The Mormon Conflict. Westport, Connecticut, 1977.

Poll, Richard D. Quixotic Mediator: Thomas L. Kane and the Utah War. Ogden, Utah, 1985.

Poll, Richard D. “The Move South.” BYU Studies 29, Herbst 1989, S. 65–88.

RICHARD D. POLL