(Nach der Beschreibung der Entwicklungen in Nauvoo, Illinois, nach dem Märtyrertod Joseph Smiths, befaßt sich dieser Artikel mit dem Auszug aus Nauvoo und in den Westen. Sodann konzentriert er sich auf die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die mit der Gründung eines neuen Gemeinwesens im “Great Basin” der westlichen USA unter Brigham Youngs Führung einhergingen. Die Organisation der Kirche, die Mehrehe und der Tempelbau werden erläutert.
Ein besseres Verständnis des Alltagslebens der damaligen Zeit und was es bedeutete, in jenen Tagen als Heiliger der Letzten Tage zu leben, vermittelt der Artikel PIONIERZEIT, LEBEN UND RELIGION IN DER PIONIERZEIT. Den eigentlichen Auszug aus Nauvoo behandeln die Artikel WESTEN, DER AUSZUG NACH DEM WESTEN; ROUTE DER MORMONENPIONIERE IN DEN WESTEN, HISTORISCHE SEHENSWÜRDIGKEITEN, COUNCIL BLUFFS, HLT-ORTSGEMEINDEN IN IOWA und “DIES IST DER ORT”-DENKMAL. Die Entwicklung der Mormonensiedlungen wird in den Artikeln WIRTSCHAFTSGESCHICHTE DER KIRCHE, DIE WIRTSCHAFT IN DER PIONIERZEIT, EINWANDERUNG UND AUSWANDERUNG, “HANDCART-COMPANIES”, STADTPLANUNG, DESERET-ALPHABET sowie Artikel über Pioniersiedlungen in Arizona, Colorado, Idaho, Kalifornien, Nevada, New Mexico und Wyoming beschrieben.)
Der Märtyrertod von Joseph und Hyrum Smith <Smith, Josephs und Hyrums Märtyrertod> am 27. Juni 1844 war Vorläufer einer Zeit größerer Krisen. Unmittelbar nach dem Verlust ihres geliebten Propheten und der damit einhergehenden psychologischen Krise erlitten viele Heilige der Letzten Tage auch einen Glaubensschock. Gab es denn jemand, der seine Stelle einnehmen konnte? Würde der Herr noch immer mit seiner Kirche sein? Es war niemandem sofort klar, wer die Führung der Kirche übernehmen sollte. Sidney RIGDON <Rigdon, Sidney> - Joseph Smiths Erster Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft? Das Kollegium der Zwölf Apostel unter Brigham Youngs <Young, Brigham> Führung? Oder ganz wer anderer? Gleichgültig wer die Führung der Kirche übernehmen sollte - er mußte mit Spannungen innerhalb der Kirche als auch mit mächtigen Feinden von außerhalb fertigwerden.
Zum Zeitpunkt der Ermordung Joseph Smiths befanden sich die meisten Mitglieder des Kollegiums der Zwölf Apostel in den amerikanischen Oststaaten auf Mission. Sidney Rigdon, der noch kurz zuvor von Nauvoo nach Pittsburgh gereist war, kehrte am 3. August zurück und erhob Anspruch auf seine Stelle als Kurator der Kirche. Drei Tage später kamen einige Apostel, darunter auch Brigham Young zurück, um an einer für den 8. August anberaumten Sitzung teilzunehmen, in der die Kurator-Frage besprochen werden sollte. Rigdon machte als erster seine Ansprüche geltend. Danach sprach Brigham YOUNG, der den Standpunkt vertrat, es sei die Aufgabe des Kollegiums der Zwölf, die Kirche anstelle von Joseph Smith zu führen und auf das Fundament zu bauen, das dieser errichtet habe. Die Mehrheit war dafür, die Zwölf Apostel in dieser Aufgabe zu unterstützen. Viele behaupteten, daß Brigham Young während seiner Rede verklärt worden sei, mit der Stimme des toten Propheten gesprochen und ihm in Aussehen und Gebärde ähnlich gesehen habe.
Die Abstimmung von 8. August klärte ein für allemal die Frage nach der Amtsnachfolge, denn außer dem Kollegium der Zwölf konnte niemand beweisen, daß er vom Propheten die Vollmacht dazu erhalten oder das uneingeschränkte Vertrauen des Propheten genossen habe. Bei der Abstimmung über die künftige Führung der Kirche fiel die Entscheidung auf das Kollegium der Zwölf Apostel unter der Führung Brigham Youngs; dies führte aber nicht sofort zur Umbildung der Ersten Präsidentschaft. Das sollte erst später nach Fertigstellung des Tempels und der Suche nach einem neuen Hauptsitz der Kirche im Westen geschehen, da sie diese Aufgaben gemeinschaftlich als Kollegium wahrnehmen wollten. Die Abstimmung fiel auch nicht zur Befriedigung jener aus, die zwar als Heilige der Letzten Tage leben wollten - aber ohne die neuen Lehren aus der Nauvoo-Zeit, die ihnen zu problematisch erschienen und die die Zwölf Apostel auch weiterhin beibehalten wollten (z.B. die Wichtigkeit des Tempels, neue Lehren wie die MEHREHE und die Lösung kirchlicher und zeitlicher Fragen unter der Führung des Priestertums). Einige Abtrünnige folgten kurzfristig diesen selbsternannten neuen Kirchenführern, aber viele fielen einfach ganz vom Glauben ab. Jahre später vereinigten sich mehrere abtrünnige Gruppen in der REORGANISIERTEN KIRCHE JESU CHRISTI DER HEILIGEN DER LETZTEN TAGE <Reorganisierte Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage>, die sich von den Vorstellungen und Zielen Joseph Smiths aus der Nauvoo-Zeit und den Zwölf Aposteln in Utah wesentlich unterscheidet. (Siehe ABTRÜNNIGE GEMEINSCHAFTEN.)
Die wichtigste Priorität der Zwölf Apostel war die Fertigstellung des NAUVOO-TEMPELS <Nauvoo-Tempel>, während sie den Auszug nach dem Westen vorbereiteten (siehe WESTEN, DER AUSZUG NACH DEM WESTEN), der erst dann stattfinden sollte, wenn die Heiligen der Letzten Tage die Verordnungen des Tempels empfangen hätten. Die Mitglieder trieben den Bau des Tempels so schnell voran, daß bereits im Mai 1845 der Schlußstein gelegt werden konnte und das Gebäude im Dezember zum Vollzug der heiligen Handlungen bereitstand. Insgesamt empfingen 6000 Männer und Frauen die Tempelverordnungen, ehe sie in den Westen aufbrachen. Im Frühjahr 1845 begann die Kirchenführung mit den Vorbereitungen für den Auszug nach dem Westen. Der Tempel war nun beinahe fertiggestellt. Als sich im September der Pöbel gegen die außerhalb Nauvoos gelegenen Siedlungen wandte, gab die Kirchenführung bekannt, daß alle Heiligen der Letzten Tage schon bald Nauvoo verlassen würden.
Acht der Zwölf Apostel unterstützten Brigham Young bei der Entscheidung, Nauvoo zu verlassen, und zwar waren es dieselben acht, die in den Jahren 1840/1841 unter seiner Führung auf Mission gewesen waren. Ebenso unterstützte ihn der RAT DER FÜNFZIG <Rat der Fünfzig>. Der von Joseph Smith im März 1844 ins Leben gerufene Rat der Fünfzig hatte vor Joseph Smiths Tod zwei Aufgaben zu bewältigen gehabt, nämlich die geheimen Verhandlungen mit der Republik Texas über den Erwerb neuer Siedlungsgebiete, sowie die Unterstützung des Wahlkampfes, als Joseph Smith für das Amt des amerikanischen Präsidenten kandidierte. Über drei Viertel des ursprünglichen Rates der Fünfzig unterstützte Brigham Young, aber die Apostel William Smith <Smith, William fällt von der Kirche ab>, John E. Page <Page, John E. fällt von der Kirche ab>, Lyman Wight <Wight, Lyman fällt von der Kirche ab> sowie der Pfahlpräsident des Pfahles Nauvoo, William Marks <Marks, William fällt von der Kirche ab>, fielen von der Kirche ab und distanzierten sich völlig vom Tempel und dem Auszug nach dem Westen. Der Rat der Fünfzig half bei der Organisation des Auszugs aus Nauvoo mit, und nach der Ankunft in Utah bei der Errichtung einer wirtschaftlichen und politischen Theokratie.
Der Auszug nach dem Westen begann im Februar 1846, noch ehe die Feindseligkeiten erneut ausbrechen konnten. Den ganzen Frühling und Sommer rollten Wagenkolonnen über die Prärie von Iowa. Kaum hatten die Heiligen der Letzten Tage Iowa erreicht, als sie am 26. Juni von einem Offizier der US-Armee eingeholt wurden, der 500 Freiwillige für den Krieg gegen Mexiko rekrutieren wollte. Obwohl dies von manchen als unnötige Schikane der amerikanischen Regierung gegen die flüchtenden Mormonen betrachtet wurde, handelte es sich dabei jedoch um eine geheime Abmachung mit dem amerikanischen Präsidenten Polk <Polk, James, amerikanischer Präsident> (siehe MORMONENBATAILLON). Obwohl ihnen durch das Mormonenbataillon 500 starke Männer abhanden kamen, brachte es ihnen doch dringend benötigte 70.000 US-Dollar, die der Unterstützung der Soldatenfamilien und dem allgemeinen Fonds, durch den der Auszug finanziert wurde, zugute kamen.
Weil die Abreise aus Nauvoo und der Treck durch Iowa den Großteil der Reisezeit in Anspruch genommen hatten, bereiteten sich die Heiligen der Letzten Tage auf die Überwinterung am Missouri vor. Am Westufer des Missouri, dem heutigen Ort Florence (einem Vorort von Omaha) in Nebraska, sowie am Ostufer in Kanesville (dem späteren COUNCIL BLUFFS), errichteten sie WINTER QUARTERS <Winter Quarters>, ein Ort, der nur aus Übergangsquartieren bestand. Hier setzten sie die Vorbereitungen für ihre Auswanderung in die Beckenlandschaften der westlichen USA fort. Am 14. Januar 1847 gab Brigham Young <Young, Brigham organisiert den Auszug> die Offenbarung bekannt, laut der sich die Heiligen “in Abteilungen [von hundert, fünfzig und zehn] organisieren sollen - mit dem Bündnis und Gelübde, alle Gebote und Satzungen des Herrn zu befolgen.” (LuB 136:2,3.) Am 5. April 1847 verließ der erste Pionierzug unter Brigham Youngs Führung Winter Quarters.
Nach einer dreimonatigen Reise erreichten Kundschafter das Tal des Großen Salzsees. Drei Tage später, am 24. Juli 1847 (siehe PIONIERGEDENKTAG), betrat Brigham Young das Tal. Am 28. Juli legte er die Stelle für den künftigen Bau des Tempels fest und teilte den 157 Pionieren mit, “daß dies der richtige Ort sei”, was bedeutete, daß die Heiligen am Salzsee eine dauerhafte Bleibe gefunden hatten.
Nach seiner Rückreise von Utah nach Winter Quarters im Oktober 1847 stellte BrighamYoung den Zwölf Aposteln die Frage nach der Umbildung der Ersten Präsidentschaft. Obwohl es keine schriftliche Offenbarung gibt, aus der hervorginge, daß die Zwölf Apostel die Erste Präsidentschaft umbilden dürften, betrachteten dies viele aufgrund der Offenbarung aus dem Jahre 1835, die sich auf die Vollmacht des Kollegiums der Zwölf in Verbindung mit der Ersten Präsidentschaft bezieht (LuB 107:21–24), für selbstverständlich. Die Zwölf Apostel bestätigten Brigham Young <Young, Brigham als Präsident der Kirche bestätigt> als Präsidenten der Kirche und Heber C. Kimball <Kimball, Heber C.> und Willard Richards <Richards, Willard> als seine Ratgeber. Dies wurde von allen Mitgliedern der Kirche noch im selben Monat anläßlich einer besonderen Konferenz in Kanesville, Iowa, und im darauffolgenden Jahr in Salt Lake City bestätigt.
In Utah begann Brigham Young sofort mit der Umsetzung von Joseph Smiths Traum, für die Heiligen der Letzten Tage eine wirkliche Heimat aufzubauen. Dazu gehörte auch die Schaffung eines Staates, in der die Kirche eine entscheidende Rolle spielen durfte. Dieses theokratische System äußerte sich unter anderem darin, daß vom Herbst 1847 bis September 1848, als Brigham Young wieder in das Salzseetal zurückkehrte, der Hoherat der Kirche unter der Leitung von Joseph Smiths Onkel, John Smith <Smith, John>, sowohl für kirchliche als auch zeitliche Probleme im SALZSEETAL zuständig gemacht wurde. Von da an übernahmen die Zwölf Apostel und der Rat der Fünfzig wieder die Führung.
In den letzten Monaten des Jahres 1848 begann der Rat der Fünfzig mit Überlegungen hinsichtlich der Einrichtung einer permanenteren Regierung. In der Annahme, daß das “Great Basin”schließlich doch ein Territorium der USA werden würde, wurde darüber beraten, wie sinnvoll es sei, schon jetzt im US-Kongreß einen Antrag auf Aufnahme in die Vereinigten Staaten entweder als Territorium oder als Bundesstaat zu stellen. Zunächst tendierte man in Richtung Territorium, aber schon bald, nämlich im Juli 1849, stellte man nach Texas und Kalifornien den Antrag auf Aufnahme als Bundesstaat der Vereinigten Staaten und leitete die provisorische Gründung des Staates Deseret ein. (Siehe DESERET.) Brigham Young wurde zum Gouverneur gewählt. Die meisten Ämter in Verwaltung und Justiz wurden mit anderen Kirchenführern besetzt. Im Dezember 1849 wurde die Regierung gegründet, und von diesem Zeitpunkt an existierte der Staat Deseret <Deseret, der Staat> bis zum 28. März 1851 als autonomer Staat, als dieser offiziell aufgelöst und vom UTAH-TERRITORIUM <Utah-Territorium> abgelöst wurde, das bereits 1850 als Bestandteil eines Kompromisses ausgehandelt worden war (siehe EIGENSTAATLICHKEIT DES BUNDESSTAATES UTAH).
Der Staat Deseret umfaßte eine gewaltige Fläche, die den heutigen Bundesstaat Utah, den Großteil Nevadas und Arizonas, über ein Drittel Kaliforniens sowie Teile Oregons, Idahos, Wyomings, Colorados und New Mexicos umfaßte. Um dieses Gebiet verwalten zu können, rief Brigham Young ein großangelegtes System der KOLONISATION <Kolonisation des Westens> ins Leben, durch das bis zu seinem Tod im Jahr 1877 beinahe 400 Siedlungen gegründet worden waren. Außerdem wurde ein gut funktionierendes Missionssystem eingeführt, insbesondere auf den BRITISCHEN INSELN und in SKANDINAVIEN, wo Tausende bekehrt wurden, von denen bis zur Jahrhundertwende über 90.000 nach Utah auswanderten. Die Auswanderung wurde von der Kirche gefördert, organisiert und durchgeführt. Wer sich die Auswanderung nicht leisten konnte, wurde von der Kirche durch den AUSWANDERUNGSFONDS unterstützt, der vom Staat Deseret 1850 ins Leben gerufen worden war. Während der darauffolgenden 37 Jahre wurde durch diesen Fonds mittels privater und kirchlicher Spenden ca. 26.000 Personen bei der Einwanderung aus Europa in die Rocky Mountains geholfen.
Der Staat Deseret stellte die größtmögliche Annäherung an das von Joseph Smith entworfene theokratische Regierungsmodell dar. Alle wichtigen Verwaltungsposten waren von Kirchenbeamten besetzt. Nachdem die von der US-Regierung eingesetzten Richter im Jahr 1851 abgezogen wurden, wurde Nachlaßgerichten, deren Richter zugleich Bischöfe der Kirche waren, Befugnisse im Zivil- und Strafrecht erteilt. Dies geschah in der Absicht, sich vor erneuten VERFOLGUNGEN schützen zu können. In späterer Zeit waren die Erfolge dieser theokratischen Gesellschaft Anlaß zu weniger gewalttätigen jedoch gefährlicheren Auseinandersetzungen mit der amerikanischen Gesellschaft.
Untrennbarer Bestandteil der ständigen Konflikte mit der US-Regierung war die von der Kirche praktizierte MEHREHE <Mehrehe>. Obwohl diese auch schon vor dem Auszug nach dem Westen doch eher geheim praktiziert worden war, gab die Kirchenführung dies vor 1852 nicht öffentlich zu. Im August jenes Jahres verkündete Elder Orson Pratt <Pratt, Orson verkündet die Mehrehe offiziell> anläßlich einer Sonderkonferenz der Kirche in Salt Lake City die Lehre von der Mehrehe <Mehrehe, ab 1852 offiziell gelehrt>. Kurze Zeit später wurde eine lange Offenbarung über die ewige Ehe und die Mehrehe, die Joseph Smith am 12. Juli 1843 niedergeschrieben hatte (LuB 132), veröffentlicht. Da glaubenstreue Brüder die Mehrehe als religiöses Gebot betrachteten, vertraten die Heiligen der Letzten Tage die Ansicht, daß die Mehrehe durch die in der amerikanischen Verfassung garantierte Religionsfreiheit geschützt sein müßte. Die Mehrehe war in den USA gesetzlich nicht verboten und der im Territorium als Körperschaft geltende Kirche stand das Recht zu, “Ehen in Übereinstimmung mit den Offenbarungen Jesu Christi zu schließen” (Arrington und Quinn, S. 261). In manchen Siedlungen lebten bis zu einem Viertel der HLT-Einwohner in Mehrehe. Die meisten in Mehrehe lebenden Männer hatten bis zu vier Ehefrauen.
Die ersten Jahre hindurch war das Leben in ihrer neuen Heimat im Westen ziemlich dürftig. Dem milden Winter der Jahre 1847/1848 folgte ein frostiger Frühling und ein entmutigender Sommer. Der Großteil der Ernte wurde durch die Dürre und Grillen vernichtet. Viele glaubten, daß sie die Rettung wenigstens eines Teiles ihrer Ernte nur den vielen Möwen zu verdanken hatten, die in großen Scharen kamen und die Grillen auffraßen (siehe MÖWENDENKMAL, DAS WUNDER DER MÖWEN). Nach dem schrecklichen Winter von 1848/1849 brachten die Heiligen der Letzten Tage aber immer wieder genügend große Ernten ein, um den Winter überstehen zu können. Das Jahr 1849 brachte unerwartete Einnahmen, als Hunderte nach Kalifornien reisende Goldsucher durch Utah zogen und Handelsgüter, ihre geschwächten Tiere und sogar Mehl gegen örtliche Produkte tauschten. Die ersten Siedlungen waren nun bereits groß genug, um die weitere Besiedelung der Rocky Mountains voranzutreiben.
Die Heiligen der Letzten Tage gründeten Dutzende Kolonien, zuerst aber nur innerhalb der Grenzen des heutigen Utah. Zuerst wurde ein Kerngebiet besiedelt, das sich nördlich und südlich von Salt Lake City entlang der Westseite der Berge erstreckte. Die nächsten Kolonien entstanden in den höheren Gebirgsregionen, wie dem Cache- und Heber-Tal. Fast zur gleichen Zeit entstanden infolge besonderer Umstände - wie dem Bedarf an Eisen - auch in entfernteren Gebieten Kolonien (Parowan im Januar 1851; Cedar City im November 1851). Andere Kolonien entstanden als Folge der Einrichtung von Rastlagern auf Reiserouten in den Westen (San Bernadino, 1851; Fort Bridger, das 1855 erworben wurde), durch die Mission zu den Indianern (Fort Lemhi im heutigen Idaho; Las Vegas in Nevada, Fort Supply im heutigen Colorado, 1853; und die Mission Elk-Mountain im mittelöstlichen Utah, alle 1855 gegründet), durch den Anbau bestimmter Produkte in warmen Klimazonen, so z.B. Baumwolle und Zucker (St. George, 1861) sowie später durch die Suche nach Unterschlupf für Familien, die in Mehrehe lebten.
Der wichtigste Hauptgrund für die Errichtung weiterer Kolonien war die Notwendigkeit, für die stetig wachsende Zahl von Landwirten mehr bebaubares Land zu finden. Daher war ab 1880 so gut wie das ganze bebaubare Ackerland in Utah, Nord-Arizona, das südwestliche Colorado, das nordwestliche New Mexico, das westliche Wyoming und das südöstliche Idaho vergeben. Häufig wurden neue Gebiete durch “Missionsberufungen” kolonisiert, bei denen Siedler gebeten wurden, im Auftrag der Kirche in einer bestimmten Gegend eine Siedlung zu gründen. Sobald die Mutterkolonie auf festen Beinen stand, wurden die umliegenden Gebiete von der heranwachsenden Jugend kolonisiert.
Die Gründung des Mormonenstaates im amerikanischen Westen vollzog sich nicht ohne Konflikte und Probleme. Der langen Dürre des Jahres 1855 folgte eine Grillenplage. Die dadurch entstandene wirtschaftliche Unsicherheit trug vermutlich zur Intensität der REFORMATION der Jahre 1856 und 1857 bei, einer Zeit der inneren Einkehr und religiöser Neuverpflichtung. Die scharfen und teilweise sogar wüsten Predigten dieser Zeit hatten die Pioniere bereits in einen Zustand starker Gemütserregung versetzt, als im Frühjahr 1857 der amerikanische Präsident Buchanan <Buchanan, James, amerikanischer Präsident> im Glauben an übertriebene Berichte über einen angeblichen Aufruhr unter den Mormonen 2500 US-Soldaten in geheimer Mission nach Utah entsandte. Ohne jede Voruntersuchung enthob Buchanan Brigham Young <Young, Brigham als Gouverneur entlassen> seines Amtes als Gouverneur, zu dem Young sogar nach Verkündung der Lehre von der Mehrehe im Jahr 1852 wieder gewählt worden war. Unglückseligerweise ging Buchanan geheim vor und ließ sogar die Posttransporte nach Utah einstellen, um seinen Truppen einen Überraschungsvorteil zu verschaffen.
Nach Erhalt einer Bestätigung über das Vorhaben der Regierung wies Brigham Young alle Missionare an, nach Utah zurückzukehren. Er ließ die Missionen schließen und befahl, die abseits gelegenen Kolonien zu verlassen. Da die Heiligen der Letzten Tage Verfolgungen mehr als gewohnt waren, betrachteten sie das Heranrücken der Truppen in Richtung Utah als Auftakt zu Plünderungen, Vergewaltigungen und Gemetzeln. Während der Vorbereitungen zum bewaffneten Widerstand machte sich im ganzen Territorium eine Hysterie breit.
Als die Vorhut der UTAH-EXPEDITION Fort Bridger erreichte, entdeckte sie, daß die Heiligen der Letzten Tage die Widerstandstaktik der “verbrannten Erde” praktizierten. Überfalltrupps der Mormonen überfielen und verbrannten die Nachschubwagen der Armee und zerstörten den Proviantnachschub vor den Augen der vorrückenden Soldaten. Der frühe Wintereinbruch ließ die Soldaten im Morast versinken, wodurch Vermittler wie Thomas L. KANE <Kane, Thomas L.> Gelegenheit zum Verhandeln fanden. In der Zwischenzeit befahl Präsident Brigham Young, die Siedlungen im nördlichen Utah zu verlassen und ordnete den “Auszug in den Süden” an. Wenn die Heiligen der Letzten Tage ihre neue Heimat schon verlassen mußten, so wollten sie das Land so verwildert verlassen wie sie es vorgefunden hatten. Die Vermittlungsgespräche zeigten im Frühling erste Erfolge - gerade als die Armee ihren Marsch auf Utah erneut fortsetzen wollte. Alfred Cumming <Cumming, Alfred, Gouverneur des Utah-Territoriums> wurde zum Gouverneur bestellt, und am 12. Juni 1858 wurde Brigham Young von der Anklage des Aufruhrs freigesprochen. Zwei Wochen später führte General Albert Sidney Johnston <Johnston, Albert Sidney, General der Utah-Expedition> seine Truppen durch ein verlassenes Salt Lake City und errichtete in Camp Floyd, sechseinhalb Kilometer südlich der Stadt, ein einsames Armeelager. Der Utah-Krieg erhielt den passenden Beinamen “Buchanan’s Blunder” <Buchanan’s Blunder> [engl. blunder = Schnitzer, Pfusch].
Ein schrecklicher Auswuchs der Kriegshysterie war das MOUNTAIN-MEADOWS-MASSAKER <Mounain-Meadows-Massaker> vom September 1857, bei dem örtliche Beamte in Süd-Utah gemeinsam mit Indianern einen Siedlertreck, der sich auf dem Weg nach Kalifornien befand, massakrierten. Die Tatsache, daß Brigham Young befohlen hatte, die Reisenden unbehelligt durch Utah ziehen zu lassen, ist vollständig dokumentiert. Sein Befehl kam jedoch zu spät, um die Morde zu verhindern, und ein an Ort und Stelle konstruiertes Vertuschungsmanöver ließ das Verbrechen als alleinige Tat der Indianer erscheinen. Als Behauptungen laut wurden, daß auch Weiße an der Tat beteiligt gewesen wären, drängte Brigham Young den neuen Gouverneur auf Untersuchung der Hintergründe des Verbrechens, aber Gouverneur Cumming vertrat den Standpunkt, daß weiße Mittäter ohnehin unter die Generalamnestie des Jahres 1858 fallen würden. Sobald mehr Einzelheiten zutage traten, wurden die Haupttäter aus der Kirche ausgeschlossen und einer von ihnen, John D. Lee <Lee, John D.>, wurde von einem Bundesgericht schuldiggesprochen und zum Tode verurteilt.
Trotz des Bürgerkriegs zeigte die amerikanische Bundesregierung Interesse an den Vorgängen im Utah-Territorium. Im Jahr 1862 wurde im Osten der Stadt Salt Lake City der Militärstützpunkt Fort Douglas gebaut, und zwar unter der Führung des überzeugten Mormonengegners Patrick Edward Connor <Connor, Patrick Edward, errichtet Fort Douglas>. Connor und dessen Truppen hatten die Aufgabe, die Transportverbindungen zu überwachen; sie betätigten sich aber auch als Herausgeber des aggressiv-mormonenfeindlichen Blattes Union Vedette <Union Vedette, mormonenfeindliche Zeitung>, förderten den Bergbau und die Einwanderung von Nicht-Mormonen in das Territorium. Im Jahr 1863 griffen Connors Truppen im nördlichen Cache-Tal die Northern-Shoshone-Indianer am Bear River an und töteten dabei 250 Männer, Frauen und Kinder.
Das Jahrzehnt nach dem Utah-Krieg war für die Kirche eine Zeit starker Expansion. Im Jahr 1862 erließ der Kongreß ein Gesetz, durch das die Mehrehe in den Territorien untersagt wurde und die Kirche ihre Körperschaftsrechte verlor. Das Gesetz wurde aber erst nach dem Urteil im Fall REYNOLDS GEGEN DIE VEREINIGTEN STAATEN aus dem Jahr 1879 durchgesetzt. Tausende und abertausende HLT-Einwanderer kamen nach Utah, und Brigham Young förderte weiterhin die Gründung von Kolonien, um ihnen eine neue Heimat bieten zu können. Der stetige Zustrom von Nichtmormonen nach Utah und der Bau der transkontinentalen Eisenbahn boten einen Vorgeschmack auf künftige Probleme, die auf die HLT-Bevölkerung des “Great Basin” zukommen sollten.
Die Fertigstellung der transkontinentalen Eisenbahn brachte neue Möglichkeiten wie auch Herausforderungen mit sich. Brigham Young hatte schon vor langem das Ende der Isolierung der Heiligen der Letzten Tage vorhergesehen und auf gewisse Weise auch gefördert. In den Jahren 1852 und 1854 reichten die Heiligen der Letzten Tage beim Kongreß einen Antrag auf Verlegung der Eisenbahnroute <Eisenbahn in Utah> durch Utah ein, da die Eisenbahn eine gewaltige Erleichterung für die Einwanderer wäre und es der Kirchenführung ermöglichen würde, viele abseits gelegene Kolonien in das Eisenbahnnetz einzubinden. Als am 1. Juli 1862 das Eisenbahngesetz für die Pacific Railroad verabschiedet wurde, kaufte Präsident Brigham Young Aktien der neu gegründeten Eisenbahngesellschaft “Union Pacific Railroad Company” im Wert von zehntausend Dollar. Im Jahr 1865 wurde er Vorsitzender dieser Gesellschaft.
Obwohl die Eisenbahn den Einwanderern die Reise nach Utah erleichterte, förderte sie ebenfalls die Einwanderung von Nichtmormonen. Das Ende der Isolation stellte auch eine Bedrohung der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit Utahs dar. Zwecks Förderung der ortsansässigen Wirtschaft und Abbremsung der starken Konkurrenz durch Nichtmormonen hatte die Kirchenführung lange damit gerungen, die Einfuhr von Produktionsgütern aus dem amerikanischen Osten zu verhindern. Nun leitete sie eine mächtige Werbekampagne ein, um den Verkauf importierter Luxusgüter, u.a. von Tee, Kaffee, Alkohol und Tabak einzudämmen. Die aus dem Jahr 1833 stammende Offenbarung des Propheten Joseph Smith, in der vom Gebrauch dieser Dinge abgeraten wurde, wurde ab sofort besonders betont.
Trotz Brigham Youngs langjährigem Widerstand gegen den Ausbau des Edelmetallabbaus hatte der Bau der Eisenbahn ein Aufleben des Interesses am Abbau der reichen Edelmetallvorkommen in Utah zur Folge. Unter der Führung zahlreicher prominenter HLT-Geschäftsleute und Intellektueller wie William Godbe <Godbe, William>, Edward W. Tullidge <Tullidge, Edward W.> und Eli B. Kelsey <Kelsey, Eli B.> entstand in der Kirche eine neue Bewegung, die gegen die “Autokratie des Priestertums” gerichtet war. Diese Männer veröffentlichten im Utah Magazine <Utah Magazine-Zeitschrift> überzeugende, für den Abbau der Edelmetallvorkommen in Utah werbende Artikel, nur um die Wirtschaft in Kirchenhänden halten zu können. Brigham Young betrachtete die Zukunft aus einer anderen Perspektive und beschuldigte die “Godbeaner”, dadurch die Herrschaft von Nichtmormonen in Utah zu fördern. Godbe, dessen Mangel an theologischer Orthodoxie ein zusätzliches Problem darstellte, wurde aus der Kirche ausgeschlossen. Auch wenn Brigham Young Godbes Ideen ablehnte, so war ihm doch die Realität der neuen wirtschaftlichen Situation bewußt, und er ließ mehrere Programme zur Verstärkung der religiösen Solidarität und wirtschaftlichen Unabhängigkeit vom Stapel.
Zu Brigham Youngs neuen Programmen gehörte unter anderem im Jahr 1867 die Gründung der SCHULE DER PROPHETEN <Schule der Propheten>. Die ursprüngliche Schule der Propheten war im Jahr 1833 von Joseph Smith gegründet worden, und zwar um die Erwachsenen zu bilden und sie auf den Tempel vorzubereiten. In Utah gehörte nun zu den theologischen Gesprächen noch ein Wirtschaftskursus dazu. In der Schule der Propheten wurden Grundbesitzer über den Rechtsweg zur Vergrundbücherung ihrer Ländereien informiert, es wurde um Arbeit und Geld für den Bau neuer Eisenbahnnebenlinien geworben, es wurden örtliche genossenschaftliche Produktions- und Vertriebsunternehmen gegründet und für die Senkung der Löhne geworben, um den Export von Gütern aus Utah zu erleichtern. Es wurde der Boycott von Unternehmen feindseliger Nichtmormonen organisiert und die Mitglieder zum Halten des Wortes der Weisheit verpflichtet. Die Schulen schlossen mit den Eisenbahngesellschaften Union Pacific und Central Pacific einen Vertrag ab, die Trassensteigung der transkontinentalen Eisenbahn in Utah anzulegen, wodurch der Zustrom von Arbeitern, die nicht der Kirche angehörten, eingedämmt werden und die Heiligen der Letzten Tage zu Geld kommen sollten. Innerhalb weniger Jahre verschwanden die Schulen der Propheten wieder, und zwar aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten.
Von größerer Dauerhaftigkeit als die Schulen der Propheten erwiesen sich die Organisationen, die Brigham Young für die Frauen und Jugend der Kirche ins Leben rief. Zwischen der Neugründung der Frauenhilfsvereinigung <Frauenhilfsvereinigung, Neugründung in Utah> im Jahr 1867 und Brigham Youngs Tod zehn Jahre später breitete sich die FHV unter der Führung von Eliza R. SNOW <Snow, Eliza R., Präsidentin der Frauenhilfsvereinigung>, die den örtlichen Bischöfen bei der Gründung der Frauenhilfsvereinigung in den einzelnen Gemeinden half, im ganzen Territorium aus. Abgesehen von ihren karitativen Aufgaben arbeitete die FHV mit den Schulen der Propheten zusammen, förderte die HEIMARBEIT und riet vom Kauf aller Importwaren ab. Zu den bedeutendsten Leistungen der Frauenhilfsvereinigung zählen die Einführung der Getreidebevorratung, die Gründung der SEIDENINDUSTRIE <Seidenindustrie>, die Gründung der Zeitschrift Woman’s Exponent <Woman’s Exponent Zeitschrift>, der Bau von FHV-Gebäuden in fast allen Siedlungen, die Gründung eines Kommissionswarenhauses zum Verkauf der aus Heimarbeit stammenden Artikel und die höchst beeindruckende Art der Förderung der medizinischen Ausbildung für Frauen. Die Leitungen der Frauenhilfsvereinigung waren auch im Kampf um das Frauenwahlrecht aktiv. Im Jahr 1870 wurde in Utah an zweiter Stelle nach Wyoming das Frauenwahlrecht <Frauenwahlrecht in Utah eingeführt> eingeführt.
Im Jahr 1869 gründete Brigham Young eine Organisation für Mädchen, die den langwierigen Namen “Young Ladies’ Department of the Cooperative Rentrenchment Association” trug. Er forderte die Mädchen dazu auf, alles Extravagante zu meiden und “damit aufzuhören, Händler zu unterstützen, die Euer Geld für feine Gewänder aus unserem Territorium in die Oststaaten schicken.”(Susa Gates Young, History of the Young Ladies Mutual Improvement Association of the Church, S. 9, Salt Lake City, 1911.) Die Gemeinschaftliche Fortbildungsvereinigung junger Damen, in die diese Organisation später umbenannt wurde, widmete sich kulturellen, gesellschaftlichen und kirchlichen Aktivitäten.
Nach Fertigstellung des Baus der transkontinentalen Eisenbahn <Eisenbahn in Utah> im Jahr 1869 konnten die Eisenbahngesellschaften Union Pacific und Central Pacific ihren Zahlungsverpflichtungen für den Bau der Trassenneigung nicht nachkommen. Die wirtschaftlichen Verluste für die Mormonen waren horrend: 500.000 Dollar in bar sowie die Verluste der Zulieferer, Händler und Arbeiter. Mit dem Versuch, diese Einbußen wieder wettzumachen, förderte die Kirchenführung den Bau von Eisenbahnlinien innerhalb des Territoriums, wobei das Eisen, die Baugeräte und Betriebsmittel im Wert von einer halben Million Dollar verwendet wurden, die die bankrotte Union Pacific als Ersatzleistung für ihre Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung gestellt hatte. Obwohl diese Eisenbahnlinien Vorteile für Utah mit sich brachten, machte ihr Erfolg die Bitterkeit der Heiligen der Letzten Tage wegen des Rückschlages im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau nicht völlig wett.
Zusätzlich zu seinem verstärkten Aufruf, die Heimmanufaktur und den Boycott gegen Händler, die nicht der Kirche angehörten, noch mehr zu erweitern, entwickelte Brigham Young <Young, Brigham> ein genossenschaftliches Einkaufssystem. Im Oktober 1868 gründete er das genossenschaftliche Kaufhaus “Zion’s Cooperative Mercantile Institution” (ZCMI) <ZCMI>, “um Waren hierher zu bringen, sie zum tiefstmöglichen Preis zu verkaufen und den Profit unter der Bevölkerung aufzuteilen” (Arden Olsen, History of the Mormon Mercantile Cooperation in Utah, S. 80. Dissertation, University of California, Berkeley, 1935.) Infolge großer Unterstützung wurde das neue Kaufhaus zu einem gewinnträchtigen Unternehmen, das auch heute noch das größte Einzelhandelskaufhaus in Salt Lake City betreibt. In vielen Siedlungen wurden ZCMI-Filialen errichtet, aber ebenso genossenschaftliche Gerbereien, Getreidemühlen, Molkereien, Fleischereien, Banken, Eisenhütten, Sägewerke, Wollspinnereien und Baumwollspinnereien. Dadurch gelang es den Heiligen der Letzten Tage noch ein Jahrzehnt lang, der “Steuerung von außen” einen Riegel vorzuschieben, für die der Bau der Eisenbahn bereits ein Omen gewesen war.
Der erstaunliche Erfolg des Genossenschaftswesens zeigte Brigham Young, daß die “Vereinigte Ordnung Henochs”, die schon lange sein Ziel gewesen war, nun machbar wäre. Im Winter der Jahre 1873/1874 rief Brigham Young die Vereinigte Ordnung <Vereinigte Ordnung> ins Leben, die von der Erinnerung an die Versuche der dreißiger Jahre getragen war, den Grundsatz der WEIHUNG in die Praxis umzusetzen. Ebenso wirkte der Erfolg der Genossenschaft in Brigham City anregend, wo unter der Leitung von Elder Lorenzo SNOW <Snow, Lorenzo> die Stadt zu 85 Prozent von außen unabhängig geworden war und so gut wie die gesamte Landwirtschaft, das Bauwesen, die Fertigung und den Warenhandel örtlich abwickelte. Beinahe die gesamte Einwohnerschaft des Ortes war in den verschiedenen Abteilungen der Genossenschaft angestellt und wurde anstatt durch Bargeld in Form von Naturalleistungen entlohnt. Die Genossenschaft in Brigham City war so erfolgreich, daß die Wirtschaftskrise von 1873 den Ort so gut wie unberührt ließ.
Nachdem Brigham Young die VEREINGTE ORDNUNG ins Leben gerufen hatte, wurde sie in über 200 Siedlungen in Utah, im südlichen Idaho, nördlichen Arizona und Nevada eingeführt. Da die praktische Durchführung den örtlichen Führern überlassen war, entwickelten sich einige verschiedene Systeme. Manche waren gänzlich kommunal, so z.B. der Ort Orderville <Orderville> im südlichen Utah. In den größeren Städten, wo streng genossenschaftliche Siedlungen unmöglich waren, richteten die Kirchengemeinden genossenschaftliche Betriebe ein, wie z.B. Farmen und Fabriken, und tauschten dann die Erzeugnisse untereinander aus. Die praktische Durchführung der Vereinigten Ordnung Henochs variierte zwar, aber sie stellte das aufrichtige Bemühen der Menschen dar, “eins” zu werden, so wie die Offenbarung dies verlangte. Wie fast alle freiwilligen Unternehmen dieser Art, scheiterten auch diese an internen Schwierigkeiten und am Druck von außen. Das Unternehmen “Vereinigte Ordnung” wurde 1877 aufgegeben; einige Gemeinschaften (z.B. Orderville) setzten sie jedoch noch zehn Jahre lang fort.
Knapp vor seinem Tod im Jahr 1877 war es Brigham Young noch vergönnt, die Erfüllung eines seiner heiligsten Wünsche zu sehen - die Fertigstellung eines Tempels in Utah. Die volle Bedeutung der Tempel und ihrer Verordnungen gehen auf die Nauvoo-Epoche der Kirche zurück, als Joseph Smith die Taufe für Verstorbene, die ewige Ehe und verschiedene religiöse Unterweisungen und Bündnisse - Endowment genannt - einführte. Seit der Nauvoo-Tempel <Nauvoo-Tempel> im Jahr 1846 hatte aufgegeben werden müssen träumte Brigham Young von einem Tempel im Westen. Gleich nach seiner Ankunft im Salzseetal im Jahr 1846 hatte er in Salt Lake City ein Grundstück dem Bau des Tempels geweiht. Der Bau dieses imposanten Gebäudes nahm jedoch vierzig Jahre in Anspruch. In der Zwischenzeit wurden die heiligen Handlungen im sogenannten “Endowment-Haus” <Endowment-Haus in Salt Lake City> vollzogen, das 1855 errichtet worden war. Nach dem Beschluß der Kirchenführung, im Süden Utahs einen kleineren Tempel zu errichten, weihte Brigham Young am 6. April 1877 den St. George-Tempel <Young, Brigham weiht den St. George-Tempel.. In den zehn Jahren nach seinem Tod wurden noch vor der Weihung des Salt-Lake-Tempels im Jahr 1893 zwei weitere Tempel in Utah fertiggestellt, nämlich die Tempel in Logan <Logan-Tempel> und Manti <Manti-Tempel>.
Nach der Weihung des St.George-Tempels rief Brigham Young eine massive Neuorganisierung der Kirche ins Leben, die besonders auf örtlicher Ebene stattfand und bei der die Aufgaben des Priestertums neu festgelegt wurden. Es gab keine Gemeinde und keinen Zweig, die nicht davon betroffen gewesen wäre. Die meisten Gemeinden erhielten neue Führungsbeamte.
Zum Zeitpunkt seines Todes am 29. August 1877 hatte Brigham Young die Heiligen der Letzten Tage zu einem Höhepunkt ihres Daseins in ihrer Zufluchtsstätte in den Bergen geführt. Seine letzten Worte “Joseph! Joseph! Joseph!” waren des Mannes würdig, der sein Leben - nach eigener häufiger Aussage - als Apostel Jesu Christi und Joseph Smiths gelebt hatte. In seiner oft unbeugsamen Art hatte Brigham Young vierzig Jahre lang daran gearbeitet, Joseph Smiths Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Heiligen der Letzten Tage waren zu einer vereinten wirtschaftlichen und politischen Macht geworden, auch wenn sie angesichts des unablässigen Drucks der US-Bundesregierung schon bald zum Nachgeben gezwungen werden sollten. Viel wichtiger war jedoch, daß sie durch ihr mutiges Annehmen aller Herausforderungen und das Umsetzen ihrer Träume in die Tat inmitten einer Wüste ein starkes und fest zusammenhaltendes Volk geworden waren. Sie waren den Grundsätzen des Evangeliums treu geblieben, koste es, was es wolle, und hinterließen ein Erbe, das auch heute noch die Heiligen der Letzten Tage weltweit zu inspirieren vermag.
BIBLIOGRAPHIE
Allgemeine Werke, die sich mit diesem Abschnitt der Kirchengeschichte befassen:
Arrington, Leonard J. Brigham Young, American Moses. New York, 1985.
———. Great Basin Kingdom. Cambridge, Mass., 1958.
Campbell, Eugene, Establishing Zion: The Mormon Church in the American West, 1847–1869. Salt Lake City, 1988.
May, Dean L. Utah: A People’s History. Salt Lake City, 1987.
Kurze Artikel zum selben Thema:
Arrington, Leonard J. und Quinn, D. Michael, “The Latter-day Saints in the Far West, 1847–1900” bei F. Mark McKiernan, Alma R. Blair und Paul M. Edwards, Hrsg., The Restoration Movement:Essays in Mormon History, Lawrence, Kansas, 1973, S. 257–270.
Außer den zahlreichen Artikeln zu diesem Thema in den Zeitschriften Journal of Mormon History, BYU Studies, Dialogue, Sunstone und Utah Historical Quarterly weisen wir auch auf folgende themenbezogene Artikel hin:
Richard E. Bennett. Mormons at the Missouri 1846–1852. Norman, Oklahoma, 1987 (Zeit bis zur Besiedelung Utahs).
Wallace Stegner. The Gathering of Zion. New York, 1964 (ein Klassiker über die Auswanderung nach Utah).
Leonard J. Arrington, Feramorz Y. Fox und Dean L. May. Building of the City of God: Community and Cooperation Among the Mormons. Salt Lake City, 1976 (Genossenschaftliche Projekte).
Norman F. Furniss. The Mormon Conflict, 1850–1859, New Haven, Conn., 1960 (die beste, umfassende Analyse des Utah-Kriegs).
LEONARD J. ARRINGTON
DEAN L. MAY