Um bei der geistigen Entwicklung ihrer Mitglieder zu helfen, hat die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ein System eingerichtet, das Beratung, Rehabilitation und, wo nötig, Disziplinarverfahren beinhaltet.
Mitglieder sind dem Herrn gegenüber rechenschaftspflichtig für ihre Lebensführung. Die persönliche Würdigkeit ist Vorbedingung beim Genuss von vollen Segnungen der Kirchenmitgliedschaft. Der Richter dieser Würdigkeit ist in den meisten Fällen der Bischof einer Gemeinde. Er ist dazu bestimmt „Richter in Israel zu sein” (LuB 107:72). Er soll „dessen Volk richten, nämlich nach dem Zeugnis der Gerechten und mit der Hilfe seiner Ratgeber—gemäß den Gesetzen des Reiches, die durch die Propheten Gottes gegeben werden” (LuB 58:18). Generalautoritäten und Pfahl-, Missions-, Distrikts- und Zweigpräsidenten können unter bestimmten Bedingungen ebenfalls richterliche Verantwortungen ausüben. Der Begriff „Bischof” in diesem Artikel bezieht sich gewöhnlich auf jeden Kirchenbeamten in einer solchen richterlichen Rolle.
Bischöfe fungieren als Richter und auch als Ratgeber, wenn sie freiwillige, vertrauliche Bekenntnisse von Mitgliedern hören. Sie müssen auch die Würdigkeit eines Mitglieds bestimmen, bevor sie den Tempelempfehlungsschein unterschreiben, der es Mitgliedern erlaubt, an Tempelverordnungen teilzunehmen. Außerdem beurteilen Bischöfe die Würdigkeit, bevor sie Personen als Vollzeitmissionare empfehlen, bevor sie Beamte und Lehrer in Kirchenorganisationen berufen oder bevor sich ein Mitglied bei einem kircheneigenen College oder einer kircheneigenen Universität einträgt. Obwohl der nötige Grad an Würdigkeit in diesen verschiedenen Situationen etwas variiert, konzentrieren sich die meisten Würdigkeits-Interviews auf Fragen in Bezug auf das persönliche Verhalten wie Moral und Keuschheit, Zehntenzahlen, Beachten des Wortes der Weisheit, das Unterstützen örtlicher und allgemeiner Kirchenführer, Gehorsam gegenüber Evangeliumsgeboten und allgemeine Aktivität in der Kirche.
Weil Bischöfe sich hauptsächlich um die geistige Entwicklung jedes Mitglieds sorgen, haben sie einen weiten Spielraum im Urteilen und im Erteilen von Rat, der dem Mitglied am besten beim geistigen Fortschritt und, wo nötig, bei der Umkehr helfen kann. Ein Bischof mag einfach ein Bekenntnis einer umkehrwilligen Person akzeptieren, ohne eine Strafe aufzuerlegen. Er kann entscheiden, eine vorgeschlagene Kirchenberufung nicht auszusprechen. Oder er kann vorrübergehend andere Mitgliedschaftsvorrechte vorenthalten. In den ernsthaftesten Fällen kann ein Bischof Disziplinarsanktionen auferlegen. Diese können von informellen Beschränkungen auf Bewährung bis zu formalen Verfahren reichen, die in Gemeinschaftsentzug oder Exkommunizierung von der Kirche enden können.
Kirchendisziplin kann jeden beliebigen oder alle der folgenden drei Zwecke erfüllen:
1. Dem Übertreter bei der Umkehr und somit beim Empfangen des Sühnopfers Christi für persönliche Sünden helfen (siehe Gerechtigkeit und Gnade). Der Herr hat gesagt: „Wer auch immer gegen mich übertritt, den sollt ihr richten gemäß den Sünden, die er begangen hat; und wenn er seine Sünden bekennt vor dir und mir und in der Aufrichtigkeit seines Herzens umkehrt, dann sollt ihr ihm vergeben, und ich will ihm auch vergeben…. Und wer auch immer von seinen Sünden nicht umkehren will, der soll meinem Volk nicht zugezählt werden” (Mosia 26:29, 32; siehe auch LuB 64:12-13). In diesem Sinne ermutigen Bischöfe oft die Umkehr ohne notwendigerweise formelle Disziplinarverfahren. Allerdings mag in bestimmten Fällen ein Übertreter, wenn ein Bischof kein formelles Disziplinarverfahren einberuft, unfähig sein, die Änderung des Herzens und des Verhaltens zu erfahren, die notwendig sind um eine vollständige Umkehr zu erreichen.
2. Feindselige Abgefallene und Profiteure, die nicht umkehren wollen, identifizieren und somit unschuldige Personen vor Schaden schützen. „Wenn er aber nicht umkehrt, so soll er meinem Volk nicht zugezählt werden, damit er nicht mein Volk zerschlage” (3 Ne. 18:31).
3. Die Integrität der Kirche wahren.
Standardrichtlinien für das Abhalten von Disziplinarverfahren finden Kirchenbeamte im Handbuch Allgemeine Anweisungen. Disziplinarratssitzungen werden normalerweise nicht einberufen um Zivilstreitigkeiten unter Mitgliedern zu entscheiden (siehe LuB 134:10). Sie werden auch nicht einberufen, einfach weil ein Mitglied nicht zu den Kirchenversammlungen kommt oder in ähnlicherweise nachlässig ist. Darüber hinaus müssen Mitglieder, die darum bitten, dass ihr Name von den Mitgliedschaftslisten der Kirche aus persönlichen Gründen entfernt wird, die nichts mit grobem Missverhalten zu tun haben, nicht vor einem Disziplinarrat zu erscheinen, damit ihre Bitte erhört wird.
Wenn es Übertretungen gegeben hat, muss der Bischof jeden Fall gemäß den individuellen Umständen entscheiden, einschließlich des Ausmaßes der Umkehr des Mitglieds. Daher bürdet die Kirche Bischöfen keine starren Bedingungen auf. Stattdessen werden Bischöfe dazu angehalten, alle relevanten Faktoren abzuwägen und nach geistiger Führung zu streben, um die Zwecke der Kirchendisziplin zu erfüllen, wie es der Einzelfall erfordert. Wenn ein Bischof informelle Konsequenzen auferlegt, ist das Verfahren streng vertraulich und kein offizieller Kirchenbericht wird darüber erstellt.
An formalen Verfahren können eine dreiköpfige Gemeindebischofschaft oder eine 15-köpfige Pfahlpräsidentschaft mit Hohemrat beteiligt sein. Formale Disziplinarratssitzungen werden gewöhnlich nur für solch ungewöhnliches Verhalten wie Mord oder andere schwere Verbrechen einberufen. Dazu gehören Inzest, offene und schädliche Abtrünnigkeit und skandalöse oder deutlich sichtbare Übertretungen gegen das Gesetz der Keuschheit. Mitglieder, für die eine Disziplinarratssitzung einberufen wird, werden vorher über die Gründe für diese Sitzung in Kenntnis gesetzt und erhalten die Gelegenheit einer Anhörung. Obwohl keine rechtlichen Richtlinien diese Verfahren bestimmen, hält sich die Kirche an grundlegende Richtlinien der Fairness. Diese Verfahren werden offiziell durch ein schriftliches Protokoll verzeichnet. Sowohl die Anhörung als auch der formale Bericht werden als vertrauliche Information behandelt, und Disziplinarstrafen werden nur jenen Kirchenbeamten bekanntgegeben, die davon wissen müssen, es sei denn, der Übertreter stellt ein ernstes Risiko für uninformierte Kirchenmitglieder dar. Jemand, gegen den Disziplinarsanktionen erhoben wurden, hat das Recht Berufung einzulegen.
Eine formale Disziplinarratssitzung kann vier mögliche Resultate haben: (1) keine Wirkung; (2) eine formale Bewährung mit beschränkten Rechten; (3) Gemeinschaftsentzug oder (4) Exkommunizierung. Gemeinschaftsentzug ist ein zeitweiliges Aufheben der Mitgliedschaftsrechte. Eine Person mit Gemeinschaftsentzug bleibt weiterhin Kirchenmitglied, aber darf nicht den Tempel betreten, Kirchenberufungen erhalten, das Priestertum ausüben, am Abendmahl teilnehmen oder offen an öffentlichen Versammlungen teilnehmen. Eine exkommunizierte Person ist nicht mehr Mitglied der Kirche, und alle Priestertumsverordnungen und vorher erhaltenen Tempelsegnungen werden außer Kraft gesetzt. Exkommunizierte dürfen keinen Zehnten zahlen und keine Tempelgarments tragen, falls sie vorher ihr Endowment empfangen hatten. Sie dürfen jedoch Kirchenversammlungen besuchen. Exkommunizierte können später nach einer langwierigen und vollständigen Umkehr die Bedingungen für die Wiedertaufe erfüllen und danach eines Tages um die formelle Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Priestertums- und Tempelsegnungen bitten.
Die Genehmigung, Personen mit Gemeinschaftsentzug wieder in die volle Gemeinschaft aufzunehmen oder exkommunizierte Personen wieder zu taufen, muss von einem Disziplinarrat in dem Gebiet erteilt werden, wo der Anwärter wohnt. In manchen Fällen ist eine Freigabe durch die Erste Präsidentschaft notwendig. Die Verordnung der Wiederherstellung von Tempelsegnungen kann nur durch die Erste Präsidentschaft genehmigt werden.
Die Isolierung der Heiligen der Letzten Tage während der Siedlungsära im Great Basin gab damaligen Kirchengerichten eine weitreichendere Rechtsprechung, als es heute der Fall ist, zum Teil aufgrund eines seinerzeit fehlenden Staatsgerichtssystems. Zusätzlich schützen Kirchenrichtlinien in jüngster Zeit die Vertraulichkeit von Disziplinarentscheidungen in größerem Ausmaß. Zum Beispiel wurden bis in die 1970er Jahre hinein Entscheidungen über Exkommunizierungen und Gemeinschaftsentzug in der Gemeinde in Versammlungen des Melchisedekischen Priestertums bekannt gegeben, obwohl die Art der Übertretung gewönlich nicht erwähnt wurde.
Weil es von jeher der fundamentale Zweck der Kirchendisziplin gewesen ist, eher Seelen zu retten als nur zu bestrafen, werden Disziplinarratssitzungen als „Verfahren der Liebe” betrachtet. Sie bedeuten den ersten Schritt zu erneuter vollkommener Harmonie mit dem Herrn und seiner Kirche und nicht den letzten Schritt auf dem Weg aus der Kirche heraus.
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BRUCE C. HAFEN