Für Heilige der Letzten Tage sind vier Darstellungen des Baumes des Lebens von Bedeutung: im Garten von Eden, in Lehis Vision (1 Ne 8), in dem Gleichnis von Alma2, in dem er das Wort mit einem Samen vergleicht, der wachsen kann, „er wird ein Baum sein, der zu immerwährendem Leben hervorsprießt“ (Alma 32:28-43) und in dem sogenannten Baum des Lebens-Stein aus dem prä-hispanischen Mexiko.
Von frühester Zeit an haben Menschen in vielen Kulturen Bäume in Ehren gehalten, weil sie majestätisch sind und im Vergleich zum Menschenleben unsterblich zu sein scheinen. Unter den ersten Orten, die für heilige Rituale genutzt wurden, befanden sich Haine. Viele Kulturen stellten sich vor, dass die Zweige eines Baumes den Himmel tragen und die Wurzeln in die Unterwelt führen und der kräftige Stamm eine Verbindung zwischen den beiden Reichen bildet. Die wichtigste Eigenschaft, die dem Baum des Lebens von denen zugeschrieben wird, für die ein solches Symbol existiert, war die Fähigkeit, denen, die von seiner Frucht aßen, Unsterblichkeit zu verleihen. Der Baum des Lebens stand im Garten Eden (Gen 2:9) und ist ein Standardsymbol in altertümlichen Tempeln und auch in den Tempeln der Heiligen der Letzten Tage. Er wird am Ende da sein und der Herr verheißt: „Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens“ (Off 2:7).
Lehis Vision vermittelt eine unvergessliche Botschaft über die Notwendigkeit, „dem Wort des Herrn Beachtung zu schenken und darauf bedacht zu sein, seine Gebote jederzeit in allem zu halten“ (1 Ne 15:25). Lehi sah in seiner Vision an einer lebendigen Quelle einen Baum, „dessen Frucht begehrenswert war, um einen glücklich zu machen“ (1 Ne 8:10). Der Baum stand für „die Liebe Gottes“ (1 Ne 11:25). Zu dem Baum führte ein Pfad, auf dem viele Menschen liefen, aber viele von ihnen gingen in dem finsteren Nebel verloren. Eine „eiserne Stange“ führte an dem Pfad entlang. Aber nur diejenigen, die „auf ihrem Weg vorwärts[strebten] und [sich] dabei beständig an der eisernen Stange fest[hielten]“, erreichten den Baum und aßen von der begehrten Frucht.
Alma nutzte das Bild vom Baum des Lebens, um zu lehren, wie man sich Glauben an das Wort Gottes aneignet, welches er mit einem Samenkorn verglich. Wenn es ins Herz gepflanzt und „mit großem Eifer [genährt wird]“, wächst es in dem Glaubenden zu derselben süßen und reinen Frucht, die Lehi beschrieb. Durch Eifer und Geduld kann man sich „an dieser Frucht laben, selbst bis ihr satt seid, so daß ihr nicht hungert, und auch [nicht] dürste[t]“ (Alma 32:42). Andere alte Texte beschreiben zudem die Gläubigen als die Bäume im Paradies Gottes (Ps 1:3; Gedicht des Salomo 11).
In den 1950ern weckte die Entdeckung einer prä-kolumbianischen Skulptur das Interesse unter Heiligen der Letzten Tage. Die Skulptur zeigt eine komplexe Baum des Lebens Szene, die vergleichbar ist mit denen, die man im Nahen Osten gefunden hatte. Izapa Stela 5 wurde zwischen 100 v.Chr. und 100 n.Chr. geschaffen und stellt einen großem Baum in voller Blätterpracht dar, mit Früchten beladen und von mehreren Personen und Objekten umringt, darunter Wasser. Einige Forscher sind der Überzeugung, diese Szene sei eine Abbildung von Lehis Vision. Andere sind sich weniger sicher, da die Szene einige Gegenstände enthält, die schwer zu verstehen sind, z.B. Dreicke und U-förmige Elemente. Die aufwendige Kleidung und Kopfbedeckungen der Menschen, die unterschiedlichen Gegenstände, die sie halten und eine Reihe anderer Elemente machen diese Schnitzarbeit, die einer der komplexesten dieser Zeit in Mexiko ist, außergewöhnlich schwer zu interpretieren.
Ein anderes verzwicktes Schnitzbild vom Baum des Lebens wurde in Mexiko gefunden. Es ist ein wunderschöner Sarkophagdeckel eines Grabes im Tempel der Inschriften in Palenque. Einst dachte man, er stelle eine Gottheit dar. Heute glaubt man, es zeige einen König namens Pacal (was Schutz oder Schild bedeutet) zum Zeitpunkt seines Todes. Während er auf die Erde fällt (durch das Gesicht des Ungeheuers verkörpert), steigt der heilige Kapokbaum gen Himmel empor, auf ihm der göttliche Schlangenvogel, flankiert von zwei ovalen Kartuschen, die symbolisch für die Sonne stehen.
Ob solche Kunstwerke mit dem Buch Mormon in Zusammenhang stehen oder nicht, die Überbleibsel der Kulturen des Nahen Ostens (CWHN 6:254-55; 7:189-92) und Mesoamerikas zeigen, dass der Baum des Lebens in vielen Gegenden der Welt ein bedeutendes Bild war.
MARTIN RAISH