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DER AUSZUG NACH DEM WESTEN

DER AUSZUG NACH DEM WESTEN: PLANUNG UND PROPHEZEIUNG

Für Brigham YOUNG <Young, Brigham> und seine Mitarbeiter war der Auszug aus Nauvoo <Nauvoo, Auszug aus> im Jahre 1846 durchaus keine ihnen von Feinden der Kirche aufgezwungene Katastrophe, sondern ein vorausgesagtes und vorordiniertes Ereignis - ein Schlüssel zum Verständnis der Kirchengeschichte und ein notwendiger Auftakt zu größeren Ereignissen, die sich künftig begeben sollten. Aus späterer Sicht haben Wissenschaftler, die sich mit dem Mormonismus befaßt haben, den Auszug und die KOLONISATION der großen Täler im Westen der USA ebenfalls als den mit Abstand wichtigsten Einfluß auf die Entwicklung der Heiligen der Letzten Tage zu einem “besonderen” Volk angesehen. Populärwissenschaftliche Historiker führen den Auszug der Heiligen der Letzten Tage aus Nauvoo fast ausschließlich auf die zunehmenden Gewalttaten, die Ausschreitungen des Pöbels und die Verfolgungen zurück. Die Auffassung, daß der Auszug einem Volk, das keine andere Wahl hatte, aufgezwungen wurde, ist beschränkt und läßt sowohl komplexere Gründe für den Auszug außer Betracht als auch die Tatsache, daß dieses Ereignis für den Glauben der Heiligen der Letzten Tage sehr wichtig ist.

Bereits zu Beginn der Kirche und nach jedem aufeinanderfolgenden Ortswechsel schien es die Kirche immer weiter in den Westen zu ziehen. Schon 1832 wurde in Veröffentlichungen der Kirche ihre Bestimmung mit dem amerikanischen Westen verknüpft. Ein Brief aus dem Jahre 1840 enthält eine Prophezeiung des Propheten Joseph SMITH <Smith, Joseph> über “einen sicheren Ort in den Rocky Mountains, der [für die Heiligen der Letzten Tage] bereitet ist” (Esplin, S. 90). Während der ganzen Nauvoo-Periode sammelte der Prophet Informationen und traf Vorbereitungen für ein “Zion der Letzten Tage”, das in den höchsten Bergen der Rocky Mountains gegründet werden würde (siehe Jesaja 2:2–3). Mehrere Tagebücher enthalten Eintragungen über Anweisungen Joseph Smiths an das Kollegium der Zwölf Apostel, die eine Expedition in den Westen unternehmen sollten, um dort eine neue Heimat für die Heiligen der Letzten Tage zu finden.

Obgleich der Prophet den Plan nicht ausführen ließ und seine Ermordung drei Monate später dessen Ausführung verzögerte, waren Brigham Young und die anderen Apostel fest davon überzeugt, daß es ihre Aufgabe sei, die Kirche in den Westen zu führen, sobald der NAUVOO-TEMPEL <Nauvoo-Tempel> fertiggestellt war und die Mitglieder dort ihre Begabung empfangen hatten. Das heißt: Selbst wenn der Kirche in Illinois keine Gewalt angetan worden wäre, so hätte der Auszug in den Westen und die Kolonisation des Westens dennoch stattgefunden.

Obgleich die meisten Mitglieder, die in der blühenden Stadt Nauvoo seßhaft geworden waren und die Stadt nicht gerne verlassen wollten, wenig von den künftigen Plänen und Joseph Smiths Prophezeiung wußten, waren diese außerhalb der Kirche kein Geheimnis. Im Jahre 1845 tadelte Thomas Ford <Ford, Thomas, Gouverneur von Illinois>, Gouverneur des Bundesstaates Illinois, der das “Mormonen-Problem” unbedingt loswerden wollte, Brigham Young deswegen, weil dieser weiterhin dableibe, obwohl Joseph Smith den Auszug in den Westen vorgesehen hätte. Die Führer der Kirche hatten den Auszug nach Westen fest geplant; er kam für sie jedoch nicht in Frage, bevor die Heiligen der Letzten Tage im Nauvoo-Tempel ihre Begabungen empfangen hatten. Erst im Spätsommer 1845, als der Tempel fast fertiggestellt war, setzten sie ihre Reisepläne und Vorbereitungen wieder fort.

Als im September 1845 Gewalttätigkeiten ausbrachen, hatte Brigham Young bereits angekündigt, daß man mit den Tempelverordnungen im Dezember beginnen würde. Daher “kapitulierte” er vor dem Druck des Pöbels und verkündete den Heiligen der Letzten Tage und der Welt, daß er im kommenden Frühjahr mit seinem Volk in den Westen ziehen werde. Diese Verlautbarung führte zu ein paar friedlichen Monaten, die für Tempelverordnungen und Vorbereitungen genutzt wurden. Die Drohung erneuter Gewalttaten, falls die Mormonen nicht bald wegziehen würden, “erfüllte die Heiligen mit dem Geist der Sammlung” (wie Brigham Young sich ausdrückte), d.h. sie ermutigten die gesamte Kirche, schleunigst abzureisen. Man sah den Exodus auch als Erfüllung von Prophezeiungen aus der Heiligen Schrift, einschließlich Jesajas Vision <Jesajas Vision der Letzten Tage> der Letzten Tage: “Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker.” (Jes 2:2.) Orson PRATT <Pratt, Orson> bezeichnete den bevorstehenden Auszug als “direkte und buchstäbliche Erfüllung vieler alter als auch heutiger Prophezeiungen.” (MS 6:192, 1. Dez. 1845.) Sein Bruder Parley P. PRATT <Pratt, Parley P.> stimmte damit überein und sagte, es sei das Ereignis, “auf das Propheten vor alters hingewiesen haben.” (T&S 6:1011, 1. Nov. 1845.)

Die Predigten der Kirchenführer vermittelten zweierlei: Sowohl Dringlichkeit als auch Optimismus. Wenn die Heiligen der Letzten Tage vertrieben würden, so sei dies ihre Bestimmung. Präsident Young sprach von einer “außergewöhnlichen aber aufregend-interessanten Krise” und forderte die Mitglieder auf: “Wachet auf, wachet auf!” und akzeptiert “diesen glorreichen Notfall”. (T&S 6:1019, 1. Nov. 1845.) Orson Pratt sagte, man habe den bevorstehenden Auszug “lange erwartet, darum gebetet und ihn sich lange gewünscht.” Man stehe an der Schwelle “eines der großartigsten und herrlichsten Ereignisse”, das die Kirche “je erlebt habe”. (MS 6:191–192, 1. Dez. 1845.)

In zahlreichen Predigten, die aus der Nauvoo-Periode noch vorhanden sind, werden weitere Gründe für den Exodus angeführt. Der Umzug in den Westen werde es der Kirche ermöglichen, sich weiter auszubreiten und stärker zu werden. In der Wildnis des Westen könne die Kirche ihre göttliche Mission, den Lamaniten das Evangelium zu verkündigen, weit besser erfüllen. Die Massenauswanderung sei auch eine Prüfung, denn sie trenne den Weizen von der Spreu und sei ein Reinigungsprozeß, der die Kirche einigen und stärker machen werde.

Später, in den Rocky Mountains, erkannten die Pioniere den Auszug aus Nauvoo als Schlüssel zum Verständnis ihrer gegenwärtigen und künftigen Existenz.

[Siehe auch KIRCHENGESCHICHTE, ca. 1844–1877.]

BIBLIOGRAPHIE

Christian, Lewis Clark. “Mormon Foreknowledge of the West.” BYU Studies 21, Herbst 1981, S. 403–415.

Esplin, Ronald K. “‘A Place Prepared:’ Joseph, Brigham and the Quest for Promised Refuge in the West.” Journal of Mormon History 9, 1982, S. 85–111.

Leonhard, Glen M. “Westward the Saints: The Nineteenth Century Mormon Migration.” Ensign 10, Januar 1980, S. 6–14.

REED C. DURHAM JUN.