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APOKRYPHEN UND PSEUDOEPIGRAPHEN

Diese beiden Begiffe werden oft zusammen in modernen Forschungsberichten gefunden, obgleich sie in alten Zeiten verschiedene Bedeutungen hatten. „Apokryphen” beziehen sich in ihren verschiedenen Formen auf etwas, was versteckt oder verborgen ist, weil sie gewöhnlich für denjenigen, der sie verbirgt, von heiligem Wert sind. „Pseudoepigraphen” sind Schriften, die fälschlich einer berühmten oder wichtigen Persönlichkeit zugeschrieben wurden, oder es sind Schriften mit falschen Titeln. Solche Schriften werden nicht als echt betrachtet, wenigstens nicht im Sinne der Origialität betreffs des fälschlich zugeschriebenen Namens.

Während des zweiten Jahrhunderts vor Christi begannen einige christliche Autoren (z.B. Irenäus und Tertullian) den Begriff Apokryph als eine Bezeichnung für ein unechtes, gefälschtes Schriftstück zu gebrauchen. Beide Autoren und solche, die ihnen in dieser Weise folgten, versuchten, die geheimen und heiligen Schriften ihrer Gegner in Misskredit zu bringen. Sie betrachteten solche Personen als Ketzer. Somit wurden im Laufe der Zeit viele Schriften wegen ihrer Heiligkeit der allgemeinen Öffentlichkeit vorenthalten. Sie wurden von den Kirchenvätern abgelehnt und als unverlässlich und falsch gebrandmarkt, weil sie ihnen nicht gefielen.

Nachdem Jérôme die Bibel ins Lateinische übersetzt hatte (ca. 400 n. Chr.), wurden die Bücher, die in der griechischen Ausgabe des Alten Testaments, aber nicht in der hebräischen Ausgabe enthalten waren, als Apokryphen oder als Schriften unbestimmter Zuverlässigkeit bezeichnet. Diese Sammlung von Schriften wurde von den meisten Christen vor dem Konzil von Nizäa, aber nur von wenigen nach dem Konzil als Heilige Schrift angenommen. In den neuen Jahrhunderten haben die Katholiken im Allgemeinen diese Bücher mit dem Rest des Alten Testaments akzeptiert. Die Protestanten haben ihnen im Allgemeinen keinen biblischen Status zuerkannt. Zur Zeit Joseph Smiths ordneten einige Ausgaben der King James Bibel die Apokryphen zwischen dem Alten und Neuen Testament ein, und einige andere protestantische Versionen schlossen entweder die Apokryphen in das Alte Testament oder in den Appendix zur Bibel mit ein.

Als Joseph Smith mit der Übersetzung des Alten Testaments beschäftigt war (Siehe Joseph Smith Übersetzung der Bibel [ÜJS]), kam er zu den Apokryphen und bat Gott um Rat, was er mit den Apokryphen machen sollte. Die Offenbarung, die ihm als Antwort auf sein Gebet gegeben wurde, informierte ihn, dass sie auch „zum größten Teil richtig übersetzt seien” (LuB 91:1). Obwohl ihm gesagt wurde, die Apokryphen nicht zu übersetzen, erklärt die Offenbarung, dass derjenige, der vom Geist geleitet wird, „Gewinn daraus ziehen wird“. „Ohne den Heiligen Geist kann ein Mensch keinen Nutzen von ihnen haben“, wenn er die Apokryphen liest (LuB 91:5–6).

Seit dem neunzehnten Jahrhundert hat ein zunehmendes Verständnis für die Kultur des intertestamentalischen Judaismus und Helenismus gezeigt, dass die Apokryphen historisch wichtig und religiös wertvoll sind. Diese Schriften offenbaren einen Auferstehungsglauben, ewiges Leben und eschatologische Lehren über die letzten Tage. Der Fall Adams (Siehe Adam: Alte Quellen), Sünde, das jüdische Gesetz und das Bedürfnis der Rechtschaffenheit, sind alles Themen, die in den Apokryphen zu finden sind.

Hinzu kommt, dass in den letzten zwei Jahrhunderten viele Schriften entdeckt wurden, die scheinbar von alten Propheten oder Aposteln geschrieben wurden oder die in irgendeiner anderen Weise mit biblischen Texten verwandt waren (Siehe Verlorene Schriften). Viele dieser Schriften wurden von gewissen jüdischen oder christlichen Gruppen als heilig betrachtet, sie wurden aber in dem langen Prozess biblischer Kanonisation (hauptsächlich vom zweiten bis zum fünften Jahrhundert n.Chr.) abgelehnt. Wissenschaftler fügen diese Entdeckungen gewohnheitsmäßig den apokryphischen und pseudoepigraphischen Schriften hinzu. Die Verwendung dieser Terminologie für alte Texte im modernen Sinn (das heißt, gefälschte Schriften oder die einer falschen religiösen Person aus alter Zeit zugeschrieben wurden) offenbart ein modernes Vorurteil in Bezug auf ihre geistige oder historische Echtheit. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass moderne Wissenschaftler oft die meisten biblischen Bücher als nicht von Gott inspiriert betrachten oder nicht glauben, dass sie von den damit verbundenen Autoren geschrieben wurden.

Ein besonderer Aspekt der erweiterten Sammlung von Apokryphen befasst sich mit dem Kanon selbst. Jahrhunderte nachdem man sich entschieden hatte, welche Bücher in die Bibel mit aufgenommen werden sollten, begannen Menschen zu glauben oder zu lehren, dass die Bibel sowohl abgeschlossen (dass sie also all das enthält, was Gott durch Propheten und Apostel gegeben hatte) als auch unfehlbar sei (ohne Fehler mitgeteilt). Joseph Smith erhielt Verbesserungen für beide Ideen, einmal durch Offenbarung erhaltene zusätzliche Schriften, die ursprünglich von Propheten aus alter Zeit geschrieben wurden, und weiterhin durch Inspiration erhaltene Verbesserungen biblischer Texte. Zu den älteren Schriften, die er wiederherstellte, zählen das Buch Abraham und die Schriften von Mose (kanonisiert als das Buch Mose, das seinerseits auch eine Wiederherstellung einer älteren Schrift von Enoch an Mose enthält, Mose 6–7), Zitate älterer biblischer Propheten im Buch Mormon (wie etwa Joseph aus Ägypten und vier sonst unbekannte Schreiber: Zenos, Zenock, Neum und Ezias) und Schriften des Apostels Johannes aus dem Neuen Testament (LuB 7 und 93). Verbesserungen des biblischen Textes enthalten eine erweiterte Version von Matthäus 24 und wechselseitige Lesestoffe in Jesaja.

Moderne Offenbarungen führten nicht nur zur Wiederherstellung alter prophetischer Berichte und legten die Grundlage für den Kanon moderner Zeiten, sondern die Entdeckung vieler alter Texte zeigt, wie offen und verschieden der Kanon in früherer Zeit war. Eine frühe religiöse Tradition, die sich auf verschiedene Art und Weise und zu verschiedenen Zeiten wiederholte, bezeugt, dass es zwei Ebenen von heiligen Schriften gab: die eine für öffentliche Vorträge, und die andere beschränkte sich mehr auf den Gebrauch innerhalb einer Gemeinschaft von Gläubigen. In dieser Beziehung ist wohl eine Bemerkung angebracht, dass nämlich eine ähnliche Einschränkung des Gebrauchs für eine Gemeinschaft von Gläubigen im Buch Mose Erwähnung findet, wie es Joseph Smith offenbart wurde. „Zeige [diese Worte] niemanden außer denen, die da glauben” (Mose 1:42, 4:32). Einige Texte, die vor Kurzem gefunden wurden, tragen den Titel „Apokryphen”, der im alten Sinne für heilige oder verborgene Schriften gebraucht wurde. Wissenschaftler verfügen über keine bestimmten Methoden, mit deren Hilfe sie imstande wären zu beweisen, ob diese Schriften korrekt überliefert wurden, weil in alten Zeiten viele solcher Schriften von den Empfängern der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht, und von denjenigen, die sie ablehnten, verdreht und verleumdet wurden.

In dieser großen Sammlung von Schriften, die sich sowohl auf das Alte als auch auf das Neue Testament beziehen, werden viele verschiedene Themen diskutiert, und einige findet man mehrmals. Offenbarung, in der Art Apokalyptischer Texte, ist vielleicht das am meisten auftretende Element: zahlreiche apokryphische Texte nehmen für sich in Anspruch, die Mysterien oder Geheimnisse, die den Menschen vom Himmel offenbart wurden, zu besitzen. Testamente von Patriarchen erscheinen oftmals in den apokryphischen Schriften des Alten Testaments. Und Instruktionen, eschatologische Warnungen, rituelle Passagen und kosmische Visionen von dem auferstandenen Jesus an seine Jünger sind in vielen Apokryphen im Neuen Testament überliefert. Die Literaturart, die diese Themen umfasst, wird oft als Gnostische Literatur bezeichnet, und Wissenschaftler betrachten allgemein den Gnostizismus in apokryphischen Texten als eine Fusion vieler diverser Elemente (Hellenismus, Judaismus, mystische Religionen und Christentum, um nur einige zu nennen) in einer komplexen und mystisch religiösen Bewegung. Es erfordert ein umfangreiches Studium, um alle Fragen über den Ursprung, die Genauigkeit, die Bedeutung und die Wichtigkeit der apokryphischen Literatur zu beantworten. Zahlreiche Versionen der vierzehn Bücher der alttestamentalischen Apokryphen standen in Joseph Smiths Zeit zur Verfügung, entweder in separaten Veröffentlichungen oder im modernen Druck der Bibel wie etwa die Jerusalem Bibel oder die Neu England Bibel.

Joseph Smith war den modernen Auffassungen bezüglich der Apokryphen weit voraus, wenn er durch Offenbarung die Heiligen der Letzten Tage warnte, beim Lesen solcher Werke geistige Führung zu erbitten, um den Wahrheitsgehalt in denselben zu erkennen.

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C. WILFRED GRIGG