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Apokalyptische Texte

Apokalypse ist ein griechisches Wort und bedeutet Offenbarung, und das Adjektiv apokalyptisch beschreibt eine literarische Gattungsart, die sich mit visionären oder wahrsagerischen Erfahrungen befasst. Obgleich solche Schriften von alters her bekannt sind (Beispiele enthalten Abschnitte von Jesaja, Ezekiel, Daniel und der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament) haben Funde apokryphischer Texte seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts das wissenschaftliche Interesse auf diesem Gebiet vergrößert. Die apokalyptische Tradition war eine von jenen, die die frühe christliche Kirche im dritten bis zum Ende des fünften Jahrhunderts ablehnte. Sie wurde allerdings in der modernen Zeit durch diese Auffindung neu zum Leben gebracht. Die Bedeutung der Offenbarung in der Wiederherstellung des Evangeliums durch den Propheten Joseph Smith macht das Studium apokalyptischer Texte genauso wertvoll für die Heiligen der Letzten Tage, wie es auch das Interesse der Wissenschaftler erregt.

Die Verwandschaft zwischen den kanonisch prophetischen und den apokalyptischen jüdischen und christlichen Quellen ist sehr eng. Einige der Hauptmerkmale der Offenbarungsliteratur sind wie folgt:

1. Der Seher gibt oftmals einen kurzen, autobiographischen Bericht, in dem er seine anfänglichen Erfahrungen und wichtigen persönlichen Ereignisse eingehend berichtet.

2. Der Empfänger einer Vision ist oftmals, aber nicht immer, ekstatisch. (Der Geist verlässt während der Vision augenblicklich den Körper.)

3. Der Prophet mag auf eine Reise durch den Himmel genommen werden.

4. Besuche der Geisterwelt, des Himmels und der Hölle sind üblich.

5. Die Lehren, die während einer solchen Erfahrung mitgeteilt werden, sind geheim. Dem Propheten wird aufgetragen, sie für sich selbst zu behalten oder sie einer Gemeinschaft von Gläubigen mitzuteilen. (Die Erfahrung kann mitgeteilt werden, aber das meiste, was gelernt wurde, kann nicht enthüllt werden.)

6. Gewöhnlich wird ein Bericht über das Leid, das die Rechtschaffenen ertragen müssen, gegeben.

7. Die Herkunft einer neuen Gesellschaftsordnung aus dem Himmel in den Letzten Tagen wird beschrieben.

8. Meistens wird ein angelus interpres, ein himmlischer Bote, gesandt, um die Vision zu erklären und zu interpretieren.

9. Nach dem Erhalten solcher Visionen ist der Prophet fast immer überwältigt und muss eine geraume Zeit warten, um seine Kräfte wieder zu erlangen, oder aber er wird durch die rechte Hand der Göttlichkeit schnell aufgerichtet.

Obgleich Wissenschaftler das Genre apokrypischer Literatur besonders seit 1950 spezifisch identifiziert und studiert haben, erkennen Forscher der Wiederherstellung jeden Aspekt dieser alten literarischen Form im Leben und in den Schriften des Propheten Joseph Smith vor 1844. Die Berichte der Ersten Vision enthalten eine autobiographische Einleitung, genau wie Visionen von Nephi im Buch Mormon und von Abraham in der Köstlichen Perle. Im 1. Nephi 11 wurde Nephi vom Geist des Herrn auf einen hohen Berg entrückt (ein sehr populäres Thema in Offenbarungen) und Mose, Alma II, Joseph Smith und andere sprechen davon, dass sie von den Visionen, die sie erhielten, überwältigt wurden (Mose 1:10, Mosia 27:19, JS-Lg 1:20). Enoch (Mose 7, auch 1. Enoch), Mose (Mose 1) und Joseph Smith (z.B. LuB 76) beschreiben Reisen in und durch ewige Räume und berichten über die unendliche Schöpfung Gottes und über viele Orte, wo Menschen schlussendlich wohnen können. Die gleichen Propheten und andere, deren Berichte im Buch Mormon zu finden sind, berichten über Visionen der letzten Tage, über Kriege und Zerstörungen unter den Menschenkindern und über den endlichen Sieg Gottes. Gemäß der apokalyptischen Tradition werden die Einzelheiten solcher Visionen mit dem Versprechen versiegelt, dass sie zu gegebener Zeit, die der Herr bestimmt, den Rechtschaffenen gegeben werden. Engel erschienen Joseph Smith, um ihn zu belehren und ihm vieles zu erklären, auch wie er die Tafeln, die er in einer Vision sah, finden und hervorbringen konnte und wie er die Taufe mit der ihm von einem Boten Gottes gegebenen Vollmacht korrekt vollziehen sollte. Im Buch Mormon sah Nephi eine Vision, verdeutlicht durch die Hilfe eines Engels, der auf Einzelheiten der Apokalypse hinwies und sie erklärte. Diese typischen Beispiele zeigen, wie die apokalyptische Tradition genauso mit dem System der Wiederherstellung als auch mit den Traditionen des alten Judaismus oder des frühen Christentums verwoben ist.

BIBLIOGRAPHIE

Hellholm, David, Hg. International Colloquium on Apokalypticism (1979: Upsala, Schweden). Tübingen, 1983.
Koch, Klaus. Ratlos vor der Apokalyptik. Gütersloh, 1970.
Nibley, Hugh W. „Last Call: An Apocalyptic Warning from the Book of Mormon“. In CWHN 8:498-532.

C. WILFRED GRIGGS