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ABFALL VOM GLAUBEN

Heilige der Letzten Tage glauben, dass jedes Mal ein Abfall passiert, wenn eine Einzelperson oder Gemeinschaft die Offenbarungen und Verordnungen Gottes ablehnt, das Evangelium Jesu Christi abändert oder gegen die Gebote Gottes rebelliert und dadurch die Segnungen des Heiligen Geistes und göttlicher Vollmacht verliert. Das Auftreten von Offenbarungsgemeinschaften, Abfall vom Glauben und Wiederherstellungen geschah im Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte in einer Reihe von Dispensationen von der Zeit Adams und Henochs (Mose 7) an bis in die Gegenwart zyklisch. Heilige der Letzten Tage sehen einen historischen „großen Abfall“ und folgenden Verlust der Vollmacht, der in der Zeit des Neuen Testaments begann und sich über die Jahrhunderte der unmittelbar anschließenden Jahrhunderte ausdehnte. Obwohl Heilige der Letzten Tage den großen Abfall nicht so sehr betont haben sondern mehr, dass die Kirche eine Wiederherstellung durch Offenbarung ist, deutet die Notwendigkeit einer Wiederherstellung an, dass nach dem Tod Christi und der Apostel allmählich wichtige Grundsätze und Verordnungen aus der anfänglichen christlichen Kirche verloren gegangen sind.

Das englische Wort „apostasy“ leitet sich vom griechischen apostasa oder apstasis ab („Abtrünnigkeit, Revolte“, im politischen Sinn von Herodot und Thukydides benutzt) und findet sich in einem religiösen Kontext in der Septuagint und im Neuen Testament (z.B. Jos. 22:22 und 2 Chr. 29:19, 2 Thess. 2:3 besagt, dass vor dem zweiten Kommen Christ eine apostasa kommen muss). Es kann die intransitive Bedeutung von „entfernt stehen“ haben oder die aktive von „dazu bringen, entfernt zu stehen“. Demnach kann der Abfall eine aktive, kollektive Rebellion oder ein „Abfallen sein“.

Christus sagte Joseph Smith in seiner ersten Vision (1820), dass alle [damals] existierenden Kirchen vom Wege abgekommen waren, sowohl in ihren Lehren als auch in ihren Praktiken, obwohl sie eine „äußere Form der Frömmigkeit“ hatten (JS-Lg 1:18-19). Daher war eine „Wiederherstellung“ des Evangeliums notwendig.

Zusätzlich hatte der Prophet Nephi I im Buch Mormon (1 Ne. 11- 14; 2 Ne. 28, Morm. 8) eine Vision der frühen christlichen Kirche und ihrer zwölf Apostel, gegen die die „Scharen der Erde“ und das Haus Israel kämpften (1 Ne. 11:34-35). Er sah eine „große und schreckliche Kirche“ voraus, die wahre Christen und die Armen verfolgte und deren Mitglieder durch solche Dinge wie Stolz, sich selbst in kostbare Gewänder zu kleiden und sich an Unzucht zu ergötzen, motiviert waren (Siehe Große und schreckliche Kirche). Diese Kirche änderte schleichend die Einfachtheit des Evangeliums, schaffte Bündnisse ab, entfernte wichtige Schriften und leugnete, dass Wunder möglich sind. Dieser Abfall kann in der Allegorie des Zenos mit der Zerstreuung Israels in Verbindung gebracht werden, als alle Bäume im Weingarten des Herrn verdorben waren (Jakob 5:39-48). Ferner findet er seine Parallele im katastrophalen Abfall der Nephiten in der Neuen Welt (1 Ne. 12:15-19, 4 Ne. 1:24-46).

Jedoch war diese „große Kirche“ gemäß Nephi nicht eine spezifische Kirche. In seiner apokalyptischen Vision sieht er nur zwei Kirchen, und „wer also nicht zur Kirche des Lammes Gottes gehört, der gehört zu jener großen Kirche“ (1 Ne. 14:10). Das ist typologisch und symbolisch für viele historische und soziale Bewegungen (2 Ne. 27:1). Selbst jemand, der nur dem Namen nach ein Anhänger der Kirche Christi ist, kann zu einem Mitglied jener „großen Kirche“ werden, falls er von Stolz, Wohlstand, Prestige und deren Zubehör getrieben wird (Siehe weiter 1 Ne. 8:27-28).

Während ihrer gesamten Geschichte haben Heilige der Letzten Tage über historische Ereignisse in Verbindung mit dem „großen Abfall“ geschrieben und Theorien über dieses Thema aufgestellt, das sie in mehreren Restorationisten-Schriften des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts behandeln (Siehe Restorationismus, Protestantisch). 1833 bezog sich Joseph Smith auf Markus 16:17-18 und 1 Korinther 12: „Durch die vorangegangenen Zeugnisse können wir die christliche Welt betrachten und sehen, dass der dortige Abfall von der apostolischen Einrichtung erfolgte“ (LPJS, S. 18). Oliver Cowdery schrieb in der ersten Ausgabe des Messenger and Advocate (1834) über den Abfall. 1840 sprach Orson Pratt über „einen allgemeinen und schrecklichen Abfall von der Religion des Neuen Testaments“ (Listen to the Voice of Truth, 1.1). Er betonte besonders das Fehlen bindender Verordnungen aufgrund der fehlenden Priestertumsvollmacht, wofür die Taufe ein Schlüsselbeispiel darstellt. Pratts Ansicht nach hatten alle Kirchen vor der Wiederherstellung auf eine Weise unrecht, was Lehren und Riten anging, selbst wenn sie auf anderen Gebieten hätten recht haben können. Benjamin Winchester, ein früher HLT-Schreiber von Flugschriften, schrieb eine ausführliche Abhandllung anhand von Quellen aus dem Neuen Testament, um zu zeigen, dass ein Abfall prophezeit worden war (A History of Priesthood, Philadelphia, 1843, S. 72-96). In den 1850er und 1860er Jahren bezog man sich in HLT-Predigten oft auf „den großen Abfall“ (O. Pratt, JD 12:247) und „das große Abfallen“ (W. Woodruff, JD 8:262).

Diese Idee, sich von der etablierten Religion abzuspalten, weil sie nicht mit dem Christentum im Neuen Testament übereinzustimmen scheint, hat deutliche protestantische Untertöne. Aber die HLT-Ansicht unterscheidet sich von typischen protestantischen Haltungen durch ihre Betonung auf den Verlust und die Wiederherstellung einer exklusiven, klar dargelegten Priestertumsvollmacht, korrekte Verordnungen und fortdauernde Offenbarung. Im Gegensatz dazu verlassen sich Protestanten in der Regel hauptsächlich auf eine biblische Neuinterpretation.

1909 schrieb James E. Talmage The Great Apostasy, in der er Stellen aus dem Neuen Testament sammelte, die Heilige der Letzten Tage zitiert hatten, um zu zeigen, dass ein großer Abfall durch Jesus Christus, Paulus und andere Apostel und Propheten vorausgesagt worden war (esp. Mt. 24:4-13, 23-26, Apg 20:29-30, Gal. 1, 2 Thess. 2:7-8, 1 Tim. 4:1-3, 2 Tim. 3:1-6, 4:1-4, Judas 1:3-4, Offb. 13:4-9, 14:6-7 und im Alten Testament, Amos 8:11-12). Talmage zeichnete auch die Verfolgung der frühen Christen auf, die den Abfall beschleunigte und sagte, die ursprüngliche Kirche habe sich intern in verschiedener Hinsicht geändert. Er behauptete, dass die einfachen Grundsätze des Evangeliums mit den heidnischen philosophischen Systemen jener Tage vermischt waren (Trinitarianismus, der zum Bekenntnis von Nizäa führte, ein falscher Gegensatz zwischen Körper und Geist, der eine übertriebene Askese schuf), dass Rituale ohne Bevollmächtigung verändert und hinzugefügt wurden (einfache frühe christliche Riten wurden durch heidnisch beeinflusste Zeremonien ersetzt, die Taufe durch Unterauchen ging verloren, die Kindertaufe wurde eingeführt [Siehe weiter Moroni 8], die Kommunion wurde geändert) und dass die Kirchenorganisation geändert wurde. (Die Apostel und Propheten, die notwendige Grundlage für die Kirche Christi, erlitten den Märtyrertod und hinterließen eine Lücke, die nicht durch Bischöfe gefüllt werden konnte. So wies die mittelalterliche Kirche wenig Ähnlichkeiten zu der Organisation oder den Praktiken der Kirche im Neuen Testament auf.)

HLT-Lehren über den frühen christlichen Abfall empfingen im 20. Jahrhundert zusätzliche Unterstützung, da einige Gelehrte vorbrachten, dass die ursprüngliche Kirche als zentralisierte judäische Organisation begann, sich dem Problem eines hellenisierten/orientalischen, asketischen gnostischen Christentums gegenüber sah und wie ihr Feind wurde, um bestehen zu können. Genau die Idee eines zentralisierten  Christentums weicht vor dem Bild eines diversen und fragmentierten frühen Christentums, wo es schwierig zu bestimmen ist, was orthodox und was häretisch ist, was  Gnostik und was die „Hauptrichtung“ ist. Zum Beispiel behaupten Peter Brown und William Phipps, dass sich Augustins einflussreiche Lehre der Ursünde mit ihrem damit verbundenen Ritual der Säuglingstaufe aus dem gnostischen Hintergrund ableitete und in Wirklichkeit häretisch war, während Pelagius' Opposition zu diesen Ideen orthodox war. Aber Augustins Lehren siegten und beeinflussten weiterhin die westliche Theologie und Kultur. Eine weitere frühe christliche Lehre, die im westlichen Christentum nicht überlebte, war die Vergöttlichung, obwohl sie im Mittelpunkt des östlichen Christentums verblieb.

Ein komplexes religiöses und kulturelles Milieu förderte und transformierte das frühe Christentum. Viele Faktoren müssen beachtet werden, wenn man diese Transformation des Christentums analysiert. Zum Beispiel haben einige ausschließlich die griechische Philosophie und den Einfluss der Philosophie auf den Gnostizismus für das Auftreten des großen Abfalls verantwortlich gemacht. Aber die Askese (d.h., ein Hass des Körpers, der Sexualität, der physischen Welt) spielte eine Hauptrolle im Abfall der frühen Kirche, und extreme Askese ist charakteristisch für den Orient. Außerdem scheint ein Großteil der griechischen Philosophie mit dem Evangelium im Einklang zu stehen. Elder Orson F. Whitney bezeichnete Platon und Sokrates als „Diener des Herrn“, obwohl in „geringerem Sinne“ als die Propheten (CR [April 1921]:33).

Das Konzept eines historischen Abfalls von der frühen Christenheit kann eine Barriere zwischen Heiligen der Letzten Tage und anderen darstellen, denen Beziehungen zwischen verschiedenen Glaubensgemeinschaften wichtig sind. Aber Heilige der Letzten Tage urteilen nicht vorschnell über diese Ereignisse. Vieles von geistiger Bedeutung geschah während des Mittelalters und in anderen christlichen Kirchen. Brigham Young betonte, dass gute Männer vor der Wiederherstellung „den Geist der Offenbarung“ hatten, und sagte, dass John Wesley ein so guter Mann „wie jeder andere auf dieser Erde“ war (JD 7:5, 6:170, 11:126). Präsident Young war überzeugt, dass alle Kirchen und Religionen „mehr oder weniger Wahrheit“ besitzen (JD 7:283), und er ermahnte die Heiligen, Wahrheiten zu suchen und sie anzunehmen, wo immer sie zu finden sind. In Konferenzansprachen haben Generalautoritäten, einschließlich Präsident Spencer W. Kimball und Präsident Thomas S. Monson berühmte Personen wie Billy Graham und Mutter Teresa zitiert oder gepriesen. 

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TODD COMPTON